»Höchste Alarmstufe für den Bürger«

Wilhelm Schlötterer über den Fall Mollath, die Unabhängigkeit der Justiz und fehlende Rechtsstaatlichkeit

  • Lesedauer: 7 Min.

nd: Herr Schlötterer, das Landgericht Regensburg hat das Wiederaufnahmeverfahren im Fall Mollath abgelehnt. Warum?
Schlötter: Mit der Begründung, es liege keine vorsätzliche Rechtsbeugung vor. Diese Entscheidung selbst steht unter dem Verdacht einer weiteren massiven Rechtsbeugung und sie ist meines Erachtens von langer Hand vorbereitet worden.

Inwiefern?
Die Staatsanwaltschaft Regensburg wurde durch die Ministerin Beate Merk angewiesen, ein Wiederaufnahmeverfahren einzuleiten. Die Staatsanwaltschaft hat dann einen Entwurf vorgelegt, der von oben nicht gutgeheißen wurde, insbesondere deshalb, weil darin schwere vorsätzliche Rechtsbeugungen des Vorsitzenden Richters festgestellt wurden.

»Von oben« heißt?
Vom Generalstaatsanwalt und dieser hat mit Sicherheit in Absprache mit dem Justizministerium gehandelt. Das heißt: Beate Merk ist unmittelbar dafür verantwortlich. Dieser erste Antrag wurde von der Spitze der Justiz verworfen, die Staatsanwaltschaft Regensburg musste einen neuen Entwurf vorlegen, der dann nochmals reduziert wurde. Es blieb ein dritter Antrag, der von oben so entschärft worden war, dass zwar von Verfahrensverstößen, aber nicht mehr von Rechtsbeugung die Rede war. Und so kommen wir zu dem paradoxen Ergebnis, dass Mollath, obwohl das der Einweisung zugrunde liegende Urteil ein eindeutiges, krasses Fehlurteil ist, weiterhin in der Psychiatrie sitzen soll.

Welche Chancen gibt es im Moment auf eine Entlassung?
Der Anwalt von Gustl Mollath, Herr Dr. Strate, hat beim Oberlandesgericht Nürnberg Rechtsmittel eingelegt. Dieses wird darüber entscheiden - aber ich gehe davon aus, dass das erst nach der Landtagswahl passieren wird. Eilig hat man es ganz offensichtlich nicht.

Der Termin der Landtagswahl spielt also eine Rolle?
Ich habe von Anfang an den starken Eindruck gehabt, dass man die Entscheidung über die Freilassung von Gustl Mollath über die Landtagswahl hinaus verschieben will. Und das hat man nun hiermit erreicht. Denkbar ist, dass das Oberlandesgericht ihn danach freilässt und ein Wiederaufnahmeverfahren einleitet. Oder das Oberlandesgericht bestätigt die Entscheidung des Landgerichts, dann bleibt nur noch die Möglichkeit, dass Mollath vom Vollstreckungsgericht Bayreuth freigelassen wird, weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei einer weiteren Fortdauer der Unterbringung verletzt sei. Oder dass das Bundesverfassungsgericht demnächst so entscheidet.

Die Justizministerin zeigt sich öffentlich inzwischen beinahe pro Mollath. Wird sie die Affäre überstehen?Ich hoffe nicht. Die Frau ist als Justizministerin, aber auch als Mitglied des Kabinetts untragbar. Wenn Politiker ihre Pflichten so schwer verletzen, wie dies Frau Merk getan hat und noch tut, dann ist für den Bürger höchste Alarmstufe angesagt.

Merk betont die Unabhängigkeit der Justiz. Wie unabhängig ist die Justiz in Bayern tatsächlich?
Frau Merk spiegelt hier etwas vor, was nicht zutrifft. Die Richter sind dazu anzuhalten, die Gesetze zu beachten, wenn sich ein entsprechender Verstoß zeigt. Und wenn dieser Verstoß sogar vorsätzlich erfolgt ist, dann ist ein Strafverfahren gegen diese Richter einzuleiten. Eine Justizministerin darf und muss sogar Urteile oder andere Entscheidungen auf Rechtsbeugung hin prüfen, wenn ein entsprechender Verdacht besteht. Und der Verdacht ist ja hier ganz massiv angezeigt.

Die Unabhängigkeit der Justiz in Bayern ist also eine Mär?
Die Staatsanwälte sind weisungsabhängig, aber auch in ihrer Beförderung abhängig vom Justizministerium. Die Richter sind zwar weisungsunabhängig, aber ihre Beförderung hängt genauso vom Justizministerium ab. Was bedeutet, dass das Verhalten eines Richters durchaus seine Beförderung beeinflussen kann. Dieses Problem ist bekannt und darum hat die Beratende Versammlung des Europarats im September 2009 die Bundesrepublik aufgefordert, hier eine Änderung herbeizuführen und die Justiz unabhängig zu strukturieren. In Bayern kommt hinzu, dass es im Gegensatz zu anderen Bundesländern keine externen Vorschlagsgremien gibt, die die Richter zur Beförderung vorschlagen.

Sie kennen den Fall seit 2009 und haben ihn auch in Ihrem Buch »Wahn und Willkür« analysiert. Sehen Sie eine Verschwörung?
Das Wort »Verschwörung« evoziert die Vorstellung, dass man sich an einen runden Tisch zusammensetzt und darüber berät, wie man jemandem übel zusetzt. Das wäre hier zu simpel. Ich würde eher von einer konzertierten Aktion sprechen. Hier haben zweifellos mehrere Menschen in gleichem Sinne, mit gleicher Stoßrichtung zusammengewirkt. Das mögen sogar unterschiedliche Motive gewesen sein, aber das Ergebnis war offensichtlich so von allen beabsichtigt, zumindest von den meisten, die mitgewirkt haben.

Wen würden Sie konkret benennen?
Da möchte ich vorsichtig sein. Aber es ist ganz klar, dass man nicht einfach per Zufall in der Psychiatrie landet, wenn man Schwarzgeldverschiebungen angezeigt hat. Man kann Angaben über Schwarzgeldverschiebungen nicht als paranoide Wahnvorstellungen einstufen, wenn man sich - wie hier - geweigert hat, diese Angaben überhaupt daraufhin zu überprüfen, ob sie richtig sind oder nicht. Diese Logik ist so simpel, dass alle, die an diesem Verfahren gegen Mollath beteiligt waren, das erkannt haben mussten und somit auch bösgläubig waren.

Also auch die Justizministerin?
Ich gehe davon aus, dass auch die Justizministerin das erkannt haben muss. Ihr Ministerium war wiederholt mit dem Fall befasst, und zwar schon bevor Mollath in der Psychiatrie landete. Und später hat das Justizministerium in diversen Briefen darauf hingewiesen, der Fall sei mehrfach umfänglich überprüft worden und es sei nichts zu beanstanden, insbesondere auch nichts am Verhalten der Staatsanwaltschaft. Nun ist es aber so, dass die Staatsanwaltschaft im Prozess beteiligt und in der Verhandlung präsent war, und genau wusste, dass die Angaben Mollaths über die Schwarzgeldverschiebungen nicht überprüft worden waren. Dennoch hat die Frau Merk unterstehende Staatsanwaltschaft im Prozess laut Protokoll vom 8. August 2006 die Einweisung Mollaths in die Psychiatrie beantragt. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der ist der Öffentlichkeit noch gar nicht bewusst. Und der belastet Frau Merk auf das Äußerste.

Handelte Merk unabhängig oder gibt es auch bei ihr eine Weisung von oben?
Im Rechtssinne ist sie keinen Weisungen unterworfen. Aber wenn ihr ein Ministerpräsident - ich nenne ihn jetzt mal Stoiber - sagt, sie solle das und das machen, dann wird sie sich wohl nicht widersetzen. Ob das hier tatsächlich erfolgt ist, weiß ich nicht, aber ich vermute in jedem Fall, dass eine Besprechung mit Stoiber über das Vorgehen stattgefunden hat. Dazu war die HypoVereinsbank, um die es hier vor allem ging, für die CSU-Spitze zu bedeutend.

Sie denken, dass Edmund Stoiber mit dem Fall befasst war?
Mollath hat seine schwerwiegenden Strafanzeigen auch mehrfach an Stoiber geschickt und hat keine Antwort erhalten. Das war rechtswidrig, weil Petitionen nach dem Petitionsrecht, das im Grundgesetz verankert ist, beantwortet werden müssen, und zwar nach sachgerechter Prüfung. Eine Petition darf also nicht im Papierkorb landen, darf nicht unbeantwortet bleiben und das Anliegen muss geprüft werden. Das ist den meisten Bürgern unbekannt.

Ist der Fall Mollath auch deswegen so kompliziert, weil sich der von ihm angezeigte Straftatbestand der Steuerhinterziehung mischt mit persönlich-privaten Motiven der Eheleute Mollath?
Nein, der Fall ist überhaupt nicht kompliziert, man stellt ihn bloß etwas verwirrend dar. Mollath wurde in die Psychiatrie eingewiesen wegen angeblicher paranoider Wahnvorstellungen bezogen auf seine Angaben über Schwarzgeldverschiebungen. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Richter haben sich aber entschieden geweigert, diese Angaben zu überprüfen. Das ist der Kernpunkt, denn ohne eine solche Überprüfung hätte man ihn nie und nimmer in die Psychiatrie einweisen dürfen.

Aber ihm wird auch Gewalttätigkeit vorgeworfen.
Mollath hat diese angeblichen Straftaten nicht begangen, die hat man ihm angehängt. Und selbst wenn wir eine solche Gewalttätigkeit unterstellen, wäre Mollath ohne die ihm angedichteten Wahnvorstellungen nicht in die Psychiatrie eingewiesen worden, er wäre nicht mal im Gefängnis gelandet. Er wäre - das hat ein Richter auch vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages ausgesagt - mit neun Monaten Gefängnis auf Bewährung davongekommen, höchstens. Das heißt, diese angeblichen Straftaten sind zu vernachlässigen, deswegen wäre er jetzt nicht seit mehr als siebeneinhalb Jahren in der Psychiatrie.

Helfen Sie Gustl Mollath eigentlich aus freien Stücken?
Ja, ich kriege kein Honorar. (lacht) Ich habe beim Studium der Unterlagen erkannt, dass dieser Mann völlig unschuldig ist und grob rechtswidrig und vorsätzlich in die Psychiatrie verbracht wurde und dort dahinschmachten sollte. Da sieht man sich als Mitmensch einfach in der Pflicht. Hinzu kommt vielleicht auch, dass ich im Berufsleben eine Verantwortung an hoher Stelle hatte. So etwas streift man ja nicht einfach ab, wenn man pensioniert ist. Man hat immer noch ein Verantwortungsgefühl.

Sind Sie ein Whistleblower?
Das kann man vielleicht so sehen. Aber eigentlich ist es mein Ziel, diesen Leuten, die für diese Straftaten verantwortlich sind, das Handwerk zu legen. Vor allem, weil diese Straftaten schlimmste Folgen hatten. Hier wurden Existenzen vernichtet, Menschen schwer geschädigt, auch gesundheitlich.

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