Der Ernst eines Möbelstücks

Die Deutschen & der Humor. Jakob Hein und Jürgen Witte finden die Geschichte einer Feindschaft

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Wenn Sie in Deutschland einen Literaturpreis bekommen wollen, dann ist eine SS-Mitgliedschaft weniger hinderlich als ein humorvolles Buch.» Schön, dass dieser lang herbeigesehnte Satz endlich einmal fällt. Es gibt viele solche lehrreichen Sätze in diesem Buch, zum Beispiel diesen: «Ein Buch ist nicht allein deswegen gut, weil es nicht lustig ist.» Oder den folgenden, der sich auf die seit Jahrzehnten eingeübte Routine in der hiesigen Literaturproduktion und -rezeption bezieht: «Stets mit großem Getöse fährt die Dampfwalze des Ernstes in der Landschaft des Geistes umher, keiner wagt es, sich ihr in den Weg zu stellen, und auf der von ihr geglätteten Straße fahren nicht selten Dummheit, Borniertheit und Belanglosigkeit hinterher.»

Bis heute gilt, wer komisch schreibt, in diesem Land als verdächtig, sein Werk als minderwertige Volksbelustigungskost. «Kunst kann das ja wohl nicht sein», sagt sich der deutsche Bürger dann, denn so hat man es ihm beigebracht: Was Kunst zu sein beansprucht, hat «schwer zugänglich» zu sein.

Hinzu kommt: Die Deutschen verstehen Humor - wenn sie ihn überhaupt verstehen - als etwas, das ordentlich sortiert in eine speziell dafür vorgesehenen Schublade in ihrem Aktenschrank liegt, in die man nur zu festgesetzten bestimmten Gelegenheiten mal einen Blick wirft. Sie «wollen an der richtigen Stelle zur richtigen Uhrzeit lachen, sie wollen vorher Bescheid gesagt bekommen, und sie wollen dafür richtig gekleidet sein», schreiben Jürgen Witte und Jakob Hein. Immerhin. Früher muss es noch weit schlimmer bestellt gewesen sein um uns. Kurt Tucholsky hat das einmal treffend festgestellt: Der «›deutsche Mensch‹ hat den tierischen Ernst einer Kuh, eines Hundes, eines Möbelstücks. Dergleichen lacht nicht. Von Selbstironie, diesem seltenen Artikel, will ich gar nicht reden.»

Insbesondere die Literatur wird in der Bundesrepublik traditionell als schwer ernste Angelegenheit verstanden. Die Deutschen halten sich als Nationaldichter schon seit jeher gern den Typus des eitlen Mahners und Warners, der in den Spätnachrichten zeigefingerhebend zu Maßhalten, Weltfrieden, ökonomischer Vernunft oder sonstwas rät und auf Anfrage jederzeit medienwirksam seine Unterschrift unter irgendeinen flammenden Appell an die Mächtigen setzt. Doch was sagt es uns über dieses Land, wenn Großmeister im Aufsetzen möglichst nachdenklicher Gesichtsausdrücke wie Durs Grünbein oder Verfasser dickleibiger Familiengeschichtsaufarbeitungs-, Geschichtstabubewältigungs-, Nachwende- und Herzschmerzromane, die wahlweise «packend geschildert» oder «auf mitreißende Weise erzählt» sind, als Dichter von Weltgeltung durchgehen, während Autoren wie Max Goldt, Eckhard Henscheid oder Gerhard Polt als Witzeerzählonkel abgetan werden?

Dass Deutschland unter den Staaten nicht gerade der amtierende Humorweltmeister ist, ist ein offenes Geheimnis. Ehefrau mit Nudelholz, Afrikaforscher im Kannibalenkochtopf, Schiffbrüchiger auf einer Insel mit Palme. Die Regel ist eine von allerlei Ressentiments, Klischees und den immergleichen geistlosen Wortspielversuchen genährte Humorfabrikation, befreit von Eleganz und Stil, die sich auch über die gegenwärtige sogenannte «Comedy»-Fernsehlandschaft und Fließbandscherzbuchproduktion hinaus erstreckt.

Am populärsten ist das erwartbare Scherzmuster: Frauen können nicht einparken, Männer sind fußball- und sexbesessen usw. Ein gewinnträchtiger Markt, auf dem flache Witze «gehandelt werden wie Salami oder Bierwurst» und der dazu führt, dass auf den «Humor»-Angebotstischen der Buchhandelsketten die Erzeugnisse von Figuren wie Eckhart von Hirschhausen oder Dieter Nuhr auf demselben Tisch liegen wie die von Heinz Strunk oder Wiglaf Droste.

Die Schriftsteller Jakob Hein und Jürgen Witte, beide Kenner und Liebhaber komischer Literatur, beide Mitglieder der Berliner Lesebühne «Reformbühne Heim & Welt», schreiben sich hier einiges von der Seele. Man merkt das. So beklagen sie zu Recht die fortgesetzte Verwirrung der Begrifflichkeiten Humor, Witz und Spaß, die alles andere als synonym sind, und die schreckliche Ahnungslosigkeit der humorbefreiten hiesigen Literaturkritik. «Schließlich wird der Analphabet kaum den Reiz eines großen Romans entdecken können.» Die Kritiker reagierten auf dieses Buch bisher wie beleidigte Leberwürste, als wollten sie seine Thesen bestätigen.

Witte und Hein machen ihrem Ärger darüber Luft, dass der Ernst als eine dem Humor übergeordnete Kategorie missverstanden wird und die Produzenten komischer Texte als eine Art Putzkolonne des Literaturbetriebs wahrgenommen und nicht vorgelassen werden ins «Restaurant mit den weißen Tischdecken, den livrierten Kellnern und der gedämpften Musik» (Max Goldt).

Sie analysieren, woran man erkennt, ob eine Sorte Humor etwas taugt, und warum Humor so oft gehasst, zensiert und verboten wird, von Rechten ebenso wie von vermeintlich Linken: weil er ideologiekritisch, dogmenzersetzend ist, weil er nicht verlogen sein kann, weil er das Peinliche und Lächerliche ans Licht zerrt.

Die Autoren machen etwa einen kleinen Exkurs durch die deutsche Humorgeschichte, im Laufe dessen sie feststellen, dass der Humor in der DDR politisch instrumentalisiert wurde und in der Bundesrepublik der Restauration diente. Die Deutschen lachen schon immer gern die anderen aus, wollen aber partout nichts Lächerliches an sich selbst entdecken. Nirgendwo wird das sinnfälliger als an den Nachkriegskabarettbühnen beider deutscher Staaten, die jeweils stets nur über die Missstände im sozialistischen oder kapitalistischen Feindesland spotteten, kaum aber über die Unzulänglichkeiten im jeweils eigenen Staatswesen.

Und man kann Wittes und Heins zeitweilig aus ihrem Essay herauszuhörende Verbitterung ja verstehen: Kein Literaturpreis weit und breit, der nicht regelmäßig zielsicher an Leute vergeben wird, die entweder bleiernen Trübsinn verbreiten, eine prätentiöse Prosa mit Goldrand fabrizieren oder gar nicht schreiben können. Kein Kritiker weit und breit, der die fließbandartige Trivialromanproduktion eines Martin Walser oder den verblasenen, mit Pathos getränkten Sums von Botho Strauß, der «Utta Danella der kulturellen Oberschicht» («Konkret»), einmal in Frage stellte und stattdessen die literarischen Weltentwürfe des Ror Wolf zur Kenntnis nähme.

Die Schöpfer komischer Literatur haben’s traditionell schwer hierzulande: Einst wurden sie eingesperrt oder ins Exil getrieben. Goebbels wünschte sich einen «Humor, der gutmütig, anständig und sauber ist», einen gebügelten, gescheitelten Streberhumor also, der zum röhrenden Hirsch an der Wohnzimmerwand passt und so komisch ist wie eine Kirchentagspredigt.

Dann hat man den komischen Künstlern erklärt, was Humor ist (geistreich bitteschön, nie verletzend!), dann wurden sie ignoriert, und dann hat man behauptet, das, was sie schüfen, sei keine Kunst, sondern «Unterhaltungsliteratur» (was ja genaugenommen hieße, dass als Kunst nur gelten darf, was keinesfalls in den Verdacht geraten kann, «unterhaltend» zu sein, was wiederum erklären würde, wie es zu einem nicht unerheblichen Teil dessen kommt, was in Deutschland als Kunst gilt). Dabei öffnet uns doch gerade die humorvolle Kunst «sanft die Augen für eines der schrecklichsten Geheimnisse des menschlichen Lebens: seine Sinnlosigkeit». Wer's noch nicht wusste: Beckett, Kafka und Thomas Bernhard schrieben komische Literatur.

Jakob Hein/Jürgen Witte: Deutsche und Humor - Geschichte einer Feindschaft, Verlag Galiani, 166 S., 16,99 Euro

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