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Schlechte Zeiten für Whistleblower

Daniel Domscheit-Berg sieht keine Enthüllungsplattform, die bei Enthüllungen guten Gewissens zu empfehlen wäre

  • Lesedauer: 5 Min.
In der letzten Woche feierte der Spielfilm »Inside Wikileaks« in Berlin Premiere, der die Freundschaft von Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg sowie ihren Bruch beschreibt. Daniel Domscheit-Berg, Informatiker und einst Pressesprecher der Internet-Enthüllungsplattform WikiLeaks, baute danach die Plattform OpenLeaks auf, seit 2012 engagiert er sich bei den Piraten. Mit ihm sprach Katharina Dockhorn.

Herr Domscheit-Berg, überrascht Sie, dass das Handy von Angela Merkel abgehört werden konnte?
Mich überrascht überhaupt nicht, dass nicht-verschlüsselte Telefonate von Frau Merkel überwacht werden. Davon bin ich bisher, wie vermutlich alle anderen Sachverständigen auch, ausgegangen. Mich verwundert wohl eher die Naivität einer Kanzlerin, die vorgibt hiervon überrascht zu sein. Die Maßnahmen gelten, soweit das bisher zu sagen ist, wohl ihrer unverschlüsselten Kommunikation, und man kann nur hoffen, dass nicht weitere Details zur Angreifbarkeit von verschlüsselter Kommunikation bekannt werden. Die beste Verschlüsselung bringt einem allerdings auch nichts wenn die Gegenstelle eines Telefonats kein entsprechendes Handy hat. Und das dürfte für so ziemlich jedes Telefonat außerhalb eines innersten Regierungszirkels gelten, denn Cryptophone-Technologie ist leider immer noch ziemlich unerschwinglich für normale Verbraucher.

Der Verbraucher setzt eher auf »Geiz-ist-geil« statt auf Sicherheit?
Das hat bei Preisen von mehreren Tausend Euro für die meisten Menschen wohl nichts mit Geiz zu tun. Normalerweise hat ein Endverbraucher ja auch erst mal keinen Kontakt zu Firmen, die sich mit ihren Produkten im digitalen Rüstungsmarkt positionieren. Das Bewusstsein für mangelnde Sicherheit entwickelt sich aber langsam. Als die Abhörstation der NSA in Bad Aiblingen Mitte der 1990er aufflog, hat das kaum einer mit den Festnetztelefonaten mit seiner Mutter in Verbindung gebracht. Heute hat jeder ein Handy. Und vielleicht müssen wir langsam fragen wieso es keinen Cryptophone-Markt für normale Endverbraucher gibt.

Lernen Politiker nicht aus Erfahrungen wie bei der Einführung des neuen Personalausweises, bei dem der Chaos Computer Club innerhalb weniger Tage bewies, dass er nicht fälschungssicher ist?
Das Telefon wurde ja in diesem Fall nicht durch die Regierung oder in deren Auftrag entwickelt und es war ja auch kein Cryptophone. Deren technische Standards werden aber von Apparaten und Firmen entwickelt, die Transparenz und Mitwirkung scheuen. Viel zu viele der technischen Geräte und Systeme die unser aller Leben auf allen Ebenen durchsetzen – von Handys über moderne Autos bis zu Technologien, die kritische Infrastruktur für Energie- oder Wasserversorgung schützen – werden hinter verschlossenen Türen entwickelt. Das muss sich ändern. Das wird sich aber nur dann ändern, wenn sich unsere Erwartungshaltung ändert, als Konsumenten wie auch als Bürger.

Was würden Sie denn raten, um bis dahin Daten zu schützen?
Vor 20 Jahren wurden wichtige Informationen in einem Brief mit Umschlag versandt. Heute verschicken wir E-Mails und sind uns gar nicht darüber bewusst, wie viele Leute diese Mitlesen können, da sie meist eben keinen Umschlag haben und eher einer Postkarte gleichen. Es ist ein schwieriger Grat, wie weit der Datenschutz in der digitalen Welt gehen sollte. Erstmals in der Geschichte der Menschheit ist eine Technologie auf Augenhöhe verfügbar, die Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft ist. Wer was zu sagen hat, kann gehört werden. Ich kann mit jedem Menschen in Kontakt treten und meinen Horizont erweitern. Wenn jetzt Angst entsteht, Informationen zu teilen und wir bei der Meinungsäußerung eine Schere im Kopf haben, ist dieses Potenzial bedroht. Das Entstehen eines globalen Bewusstseins, das wir so dringend brauchen, eines Austauschs auf Augenhöhe, ist direkt gefährdet durch die Aktivitäten der NSA. Denn es geht ihr natürlich nur darum, die exklusiven Interessen der Amerikaner gegenüber allen anderen zu sichern und diese globale Augenhöhe zu verhindern.

Nicht nur die NSA sammelt Informationen, auch Google & Co bereiten Daten für ihre Zwecke auf. Müssen die Bürger einen Identitätsverlust fürchten, wie der »Spiegel« kürzlich schrieb?
Wir könnten in die düsterste Zeit fallen, die die Menschheit bis dato gesehen hat. Ich habe Angst vor einer Maschine, die sich verselbstständigt und die keiner kontrollieren kann. Und dazu muss ich nicht einmal 100 Jahre zurückblicken auf die Relevanz einer Datenverarbeitung durch die Firma IBM für die Identifizierung von Juden im Dritten Reich. Snowden hat uns gezeigt, welche Ausmaße dieses System angenommen hat. Wir sollten nicht verpassen, rechtzeitig diese Symptome einzudämmen, bevor sich die Geschichte wiederholt. Denn es ist viel einfacher, etwas zu verhindern, als es rückgängig zu machen.

Wohin sollten sich Whistleblower denn nach dem Ende von WikiLeaks wenden?
Ich kenne keine Plattformen, die Whistleblowern wie Manning oder Snowden im Moment zu empfehlen wären. Keiner kann seine Hand dafür ins Feuer legen, dass die NSA keinen Zugriff auf Daten hat. Viele grundlegende Technologien des Internets sind wirklich kaputt im Moment, wir brauchen endlich den Willen, dass hier einiges auf einen zeitgemäßen Stand gebracht wird. Leider sind selbst Institutionen wie die Mozilla Foundation, die ohne Profitorientierung z.B. den Firefox-Browser anbietet, schwer zu bewegen, hier einiges grundlegend anzugehen.

Wen würden Sie sonst empfehlen?
Die klassischen Medien oder Institutionen wie Greenpeace.

Aber auch die klassischen Medien sind mittlerweile mit Konzernen verquickt, die deren Unabhängigkeit bedrohen.
Wenn der Gründer von Amazon die »Washington Post« kauft oder der Enthüllungsjournalist Glen Greenwald vom »Guardian« zu einer Plattform des Ebay-Gründers Pierre Omidyar wechselt, ist dies eine brisante Entwicklung. Was dabei rauskommt, wissen wir nicht, diese Zentralisierung ist für die Demokratie aber ungesund.

Wie bedauerlich ist angesichts des Skandals, dass die Piraten den Sprung ins Parlament nicht schafften?
Wir verlieren vier Jahre, in denen es außer den LINKEN und uns keine wirkliche Opposition gibt. Die anderen Parteien haben kein Interesse, den NSA-Skandal aufzuklären, da sie in Regierungsverantwortung mitgemacht haben. Das deutete sich bereits an. Dass Millionen Deutsche abgehört wurden, war nach ein paar Tagen Aufregung vergessen. Und nur weil Frau Merkel abgehört worden sein soll, ist jetzt die Aufregung groß und das Thema politisch wieder aktuell.

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