»Mindestlohn! Ausrufezeichen!«

DGB gegen gesetzliche Tarifeinheit / Buhrufe und Applaus für Ministerin Nahles

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit der Grundsatzrede des neuen Vorsitzenden begann der dritte Tag des DGB-Bundeskongresses in Berlin. Die Bundesarbeitsministerin begründete Ausnahmen vom Mindestlohn.

Der dritte Kongresstag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) begann startete etwas mau. Nach dem Grundsatzreferat des neuen Bundesvorsitzenden Reiner Hoffmann waren eher kritische Stimmen zu hören. »Keine Vision«, »nur Bekanntes, nichts Neues«, lautete die Kritik von KongressteilnehmerInnen. In seiner gut dreiviertelstündigen Rede wiederholte Hoffmann die zentralen Punkte, die er in den letzten Tagen und Wochen vertreten und medial auch verbreitet hatte: Neue Ordnung der Arbeit, Mindestlohn, europäische Perspektive, Ausweitung der Mitbestimmung, Ende der Austeritätspolitik, Abschaffung der kalten Progression.

Wer eine kämpferische oder visionäre Rede erwartet hatte, kam nicht auf seine Kosten. Hoffmann schilderte die kommenden Ziele. Beispielsweise: »Ich plädiere dafür, dass wir eine Mitbestimmungsoffensive starten«, sagte der neue DGB-Vorsitzende. Zur Initiative gehört zum einen eine Ausweitung der Mitbestimmung auf Unternehmen bereits ab 1000 Beschäftigten statt bisher ab 2000. Überdies macht sich Hoffmann, der lange in Brüssel beim Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) den Posten des Stellvertretenden Generalsekretärs inne hatte, stark für eine europäische Perspektive: »Und das heißt: Nach 20 Jahren europäische Betriebsräte und zehn Jahre Mitbestimmungspraxis in den europäischen Aktiengesellschaften wollen wir gemeinsam mit dem EGB die Mitbestimmungsstandards in der europäischen Gesetzgebung vorantreiben und ausbauen.«

In der folgenden Debatte um den Antrag A001 des DGB-Bundesvorstandes kam ein wenig mehr Stimmung auf. Ebenfalls darin enthalten waren die konkreten Punkte einer Neuordnung des Arbeitsmarktes. Zu diesem »Leitbild Gute Arbeit« gehören die erleichterte Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, die gesetzliche Eindämmung des Missbrauchs durch Leiharbeit und Werkverträge - beispielsweise das Verbot, LeiharbeiterInnen zum Streikbruch einzusetzen - oder die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Nach der Debatte und der Abstimmung über den Leitantrag, der auch eine strikte Ablehnung einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit beinhaltet, sollte diese das Streikrecht beeinträchtigen, sprach Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD).

Begrüßt wurde sie von der DGB-Jugend mit einer Blockade des RednerInnenpultes und minutenlangen Parolen für einen gesetzlichen Mindestlohn ohne Ausnahmen. Als Nahles in ihrer Rede sagte, dass sie für Ausnahmen für unter 18-Jährige sei und dies damit begründete, man dürfe keine Anreize für »falsche Entscheidungen« schaffen, wenn ein Jugendlicher mit schlechten Noten die Hauptschule beendet habe, erntete sie Buhrufe. Beifall gab es dann aber doch als sie ihre nächsten Vorhaben, etwa die Regulierung der Werkverträge ankündigte.

In der Regel laufen DGB-Kongresse eine ganze Ecke ruhiger und diskussionsärmer ab als die Kongresse der Einzelgewerkschaften. Vieles ist bei Delegiertenbesprechungen bereits geklärt, Streit selten. Beim Antrag B002 kam dann aber endgültig richtig Stimmung auf. Der Antrag ist überschrieben mit »Aktionen des zivilen Ungehorsams sind legitime Aktionsformen des DGB«. Die Antragsberatungskommission (ABK) riet den Delegierten, den Antrag der DGB-Jugend abzulehnen. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass diesen Empfehlungen nicht gefolgt wird.

Doch nachdem mehrere RednerInnen historische Beispiele von zivilem Ungehorsam vom 1. Mai 1886 über Rosa Parks über Anti-Akw-Proteste bis hin zu Blockaden von Naziaufmärschen angeführt hatten, schien die Stimmung zugunsten des Antrages gekippt. Eine Delegierte sagte: »Darauf hätten auch wir älteren Delegierten kommen können. Was haben wir denn früher gemacht, wenn nicht zivilen Ungehorsam?«

Als Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zum Mikrofon ging, trat gespannte Stille ein. Die GdP habe sich vor Jahrzehnten »als Arbeitnehmer und Teil der Gesellschaft« ganz bewusst für den Eintritt in den DGB entschieden. Es falle ihm aber schwer, als Polizist Regelverstöße zu akzeptieren. »Das kann ich nicht, und das darf ich nicht.« Es folgten weitere Beiträge, die sich für den Antrag aussprachen. In einer erneuten Beratung änderte die ABK ihre Meinung und formulierte einen Kompromissvorschlag, über den die Delegierten nach Redaktionsschluss abstimmten.

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