Bremse gegen »Mondmieten«

Renditejagd und knapper Wohnraum sorgen für Anwohnerfrust

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 6 Min.
Hamburg kämpft gegen die Aufwertung und steigende Mieten. Doch Wohnraum ist knapp. Wenn Neuvermietungsmieten nicht reguliert werden, machen skrupellose Vermieter Kasse - Altmieter zahlen 7,16 Euro pro Quadratmeter, Neumieter 19,13 Euro.

Üblicherweise unterscheidet man zwei Mieten. Da gibt es die Bestandsmiete, also den Teil des Haushaltsgelds, das Mieter in länger bestehenden Mietverhältnissen zahlen. Und dann die Neuvertragsmiete, also den Betrag, den Mieter bei Neuabschlüssen von Verträgen an ihren Vermieter auf den Tisch legen müssen. Hier ist die Diskrepanz erheblich. Liegt die Bestandsmiete in Hamburg bei 7,51 Euro pro Quadratmeter netto kalt, so wird bei Neuvermietungen eine so genannte Marktmiete von 9,50 Euro verlangt.

Neue Eingezogene müssen also 28 Prozent mehr für die angemietete Wohnung zahlen als sie vorher gekostet hat. Das ist nur der Durchschnitt. Aus Anzeigen und Immobilienportalen ist abzulesen, dass Neumieten von 11,83 Euro in der Hansestadt üblich sind. Zu diesem Schluss kommt die von SchülerInnen des Hamburger Gymnasiums Ohmoor jährlich erstellte Mietenstudie. In die Beratungen der Mietervereine kämen oft verängstigte MieterInnen, die schildern, dass ihre Nachbarwohnung zur fast doppelten Miete vermietet wurde, erzählt Siegmund Chychla, Stellvertretender Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg. »Müssen wir das auch bald zahlen?«, laute eine oft gehörte Frage.

Wohnraumanbieter wie das skandinavische Unternehmen Akelius GmbH nutzen die Wohnungsnot in Großstädten wie Köln, Frankfurt oder Hamburg aus und drehen kräftig an der Mietenschraube. Ein typisches Beispiel für die Renditejagd des seit einigen Jahren auch in der Hansestadt aktiven Investors ist das 1905 erbaute Objekt Eichholz 23-37 mit 122 Wohneinheiten am Rand des begehrten Portugiesenviertels in der Hamburger Neustadt. Dort, in Nummer 23, lebt die Rentnerin Bothilde Borck. Eingezogen ist die studierte Historikerin und Expertin für Mittelalter und Spätantike im Jahr 1983, nur eine alte Dame im Stockwerk unter ihr wohnt schon länger hier. Drei Jahrzehnte lang hat sich Bothilde Bork in ihrer Wohnung direkt unter dem Dach pudelwohl gefühlt, auch die Miete ist okay: 433,61 Euro netto kalt für rund 60 Quadratmeter - 7,16 Euro pro Quadratmeter. Die Warmmiete beträgt 542,01 Euro.

Als sie den Mietvertrag im Oktober 1983 unterschrieb, hatte das Viertel keinen guten Ruf, sagt die Historikerin: »Um die Ecke war nur eine dubiose Kaschemme, und wenn ich meine Adresse nannte, rümpften viele Leute die Nase.« Das Portugiesenviertel war damals eine Kleine-Leute-Gegend, in der viele Arbeiter wohnten. Dann baute Gruner + Jahr Mitte der 1980er-Jahre sein Verlagshaus am Hafenrand. Als die zahlungskräftigen Medienschaffenden kamen, entstand eine bunte Kneipen- und Gastroszene. Den nächsten Schub gab es durch die Wende, in deren Folge viele Ostdeutsche in die Hansestadt zogen. Mit dem Bau der HafenCity vis-à-vis steuert die Aufwertung des Portugiesenviertels ihrem Höhepunkt entgegen.

Akelius hatte das Potenzial des Quartiers früh erkannt und erwarb fast eine ganze Häuserzeile von der BV Hamburger Wohnimmobilien. Das veränderte alles, sagt Bothilde Borck: »Akelius geht systematisch vor. Sobald eine Wohnung leer ist, kommt ein Handwerkertrupp und beginnt mit den Umbaumaßnahmen. Sie schlagen die Kacheln in Bad und Küche ab, schließen die Wohnung an die Fernwärme an, tragen neuen Putz auf, und bauen zusätzliche Steckdosen ein.« Anschließend wird die Miete kräftig erhöht. Anfangs sei Akelius sehr aggressiv vorgegangen, sagt Borck. Heute pflegten die Sachbearbeiterinnen einen eher freundlichen Ton. »Das Unternehmen ist schlau und denkt langfristig. Die haben hier sehr viel aufgekauft, erhöhen nach jeder Aufhübschung die Miete und treiben so langfristig den Mietenspiegel in den von ihnen beherrschten Straßenzügen hoch.« Außerdem habe sie den Eindruck, sagt die Rentnerin, dass der skandinavische Investor notwendige Investitionen zur Instandhaltung mit Modernisierungen vermische: »Das ist sehr geschickt.«

Von den 122 Wohnungen am Eichholz sind nach Akelius-Terminologie 29 »Upgraded zu Akelius First Class«, also luxussaniert. Wer im Internet auf der Akelius-Website stöbert, erblickt Designerküchen, edelste Armaturen und Böden vom Feinsten. In Norddeutschland gehören der Akelius 3931 Wohnungen, die meisten davon in Hamburg.

Die Folgen dieser Geschäftspolitik müssen Mieter wie der im März 2013 eingezogene Eike Sprecher teuer bezahlen. Für seine 50,18 Quadratmeter große Drei-Zimmer-Wohnung im Eichholz 37 überweist der Student monatlich 1100 Euro warm an die Akelius, dazu kommen Strom-, Wasser- und Telefonkosten. Die Kaltmiete beträgt 960 Euro, das heißt: Der 22-Jährige zahlt 19,13 Euro pro Quadratmeter - deutlich mehr als so mancher Mieter in den Hamburger Edelstadtteilen Blankenese, Nienstedten oder Harvestehude. »Die Miete ist nicht gerechtfertigt«, ärgert sich der Maschinenbaustudent aus dem niedersächsischen Einbeck: »Aber wenn man nach Hamburg zieht, ist die Auswahl nicht so groß. Wer eine Wohnung braucht, hat kaum Optionen.« Weil viele Vermieter diese Situation ausnutzen und bei Neuvermietungen Mondpreise verlangen, bei denen finanziell Schwächere das Nachsehen haben, plädiert Sprecher für die Einführung der Mietenbremse: »Die würde diesem Preissteigerungsrennen ein Ende setzen.«

Mehr Glück als Eike Sprecher hatte der im Haus 29 lebende Dominik Albrecht, der 10,51 Euro pro Quadratmeter zahlt: Er hat den Mietvertrag für seine 45,59 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnung im Februar 2010 noch mit dem Voreigentümer BV Hamburger Wohnimmobilien GmbH abgeschlossen. Die Kaltmiete beträgt 479 Euro.

Diese Beispiele zum Auseinanderklaffen von Bestandsmiete und Marktmiete verdeutlichen, dass die von der Bundesregierung ausgearbeitete Mietenbremse kommen muss. Dem »Wildwuchs« der wegen Wohnungsknappheit erzielbaren Mieten müsse Einhalt geboten werden, fordert der Deutsche Mieterbund (DMB).

Es gibt Hoffnung: Der Gesetzgeber plant, dass bei Neuverträgen die Miete die Bestandsmiete, also die Mietenspiegelmiete, nicht um mehr als zehn Prozent übersteigen darf. Das müsse solange gelten, bis der Wohnungsmarkt ausgeglichen ist, fordern die Mieterverbände. Stehe nämlich der Wohnungsnachfrage ein ausreichendes Angebot an Wohnungen gegenüber, werde es Vermietern nicht mehr möglich sein, ihre »Mondmieten« zu verlangen: Sie würden auf ihren Wohnungen sitzen bleiben.

Dass eine verordnete Mietenbremse nicht den von den Grundeigentümerverbänden befürchteten Stillstand im Wohnungsneubau zur Folge hat, zeigt die Vergangenheit. In Hamburg gab es diese Mietenbremse viele Jahre. Durch das Wirtschaftsstrafgesetz waren Neumieten auf zwanzig Prozent über der Mietenspiegelmiete begrenzt. Trotzdem sind in dieser Zeit die meisten Neubauwohnungen in Hamburg entstanden.

Offenbar fühlten sich Investoren nicht gehindert, trotz der bestehenden Mietenbremse in den sieben Jahren von 1992 bis 1998 insgesamt 59 193 Wohnungen zu erstellen, und das angesichts weit höherer Finanzierungszinsen als heute. Jährlich wurden im Durchschnitt 8456 Wohnungen gebaut, Zahlen, die heute - ohne Mietenbremse - Utopie sind.

Tatsächlich besteht die Angst der Wohnungseigentümer vor der Mietenbremse nicht darin, dass zu wenige Wohnungen gebaut werden. Sie haben keine seriösen Argumente, sondern Sorge, ihre Pfründe im Abkassieren der Wohnungssuchenden zu verlieren. Auch besteht an einer Mietenbremse kein Interesse, weil durch den Ausschluss überhöhter Neuvertragsmieten, die die zukünftigen Mietenspiegel bestimmen, die rasanten Anstiege der Bestandsmieten verlangsamt werden. Mieterhöhungen für etwa 500 000 Mieterhaushalte in Hamburg würden dadurch moderater ausfallen, was nicht im Interesse der Vermieter liegt. »Lassen Sie jede Mieterhöhung, in Zukunft auch und besonders die Neuvertragsmiete, vom Mieterverein prüfen. Mieter haben die berechtigte Chance, viel Geld zu sparen«, sagt Siegmund Chychla.

Manche Bewohner zahlen eine überhöhte Miete aber offenkundig gerne, berichtet Bothilde Borck: »Eine Nachbarin, die mit ihrem Freund eine genauso große Wohnung wie ich gemietet hat, zahlt 1400 Euro warm - und ist stolz darauf, sich eine so teure Wohnung leisten zu können.« Der Traum eines jeden Vermieters ...

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