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Der raue Ton der Wirklichkeit

4. Brandenburgische Betriebsrätekonferenz in der Potsdamer Staatskanzlei

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Was erleben einfache Menschen wirklich, die in Brandenburg ihre Haut zu Markte tragen müssen? Die 4. Betriebsrätekonferenz am Mittwoch in Potsdam gewährte Einblicke in die Realität.

In der Potsdamer Staatskanzlei schilderte Katrin Grösch von der Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH in Nauen, was ostdeutsche Arbeitnehmer 25 Jahre nach der Wende hinzunehmen haben. »Die Produktion unserer Wäschetrockner ging nach Polen. Die Waschmaschinen-Frontlader werden jetzt in St. Petersburg produziert.« Mit jedem neuen Produkt in Nauen »mussten wir als Beschäftigte Federn lassen«. In einem sogenannten Zukunftspakt sei die Arbeitszeit zeitweilig von 40 auf 43 Stunden heraufgesetzt, der gewährte Urlaub von 30 auf 28 Tage gekürzt worden. Eine halbe Stunde bekam jeder Angestellte für eine virtuelle »Fortbildung« abgezogen. Menschen, die krank werden, würden je nach Länge der Krankschreibung bis zu vier Urlaubstage gestrichen. Das alles unter den Bedingungen einer »starken Arbeitsverdichtung«. Das frisch gewählte Betriebsratsmitglied sprach von einer »gespaltenen Belegschaft«. Viele Kollegen hätten Angst.

Dem Zalando-Standort bei Marquardt hat das letzte Stündlein geschlagen, er wird geschlossen. Betriebsratsmitglied Bastian Fauk berichtete, dass der Belegschaft noch ein Wachstum vorgegaukelt worden sei, obwohl die Kündigung des Mietvertrages längst beschlossene Sache war. »Was passiert mit den noch 100 Beschäftigten«, fragte er.

Obwohl er selbst Gewerkschafter sei, habe er sich heute doch für die Krawatte entschieden, sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in seinem Grußwort an die Betriebsräte. In den Unternehmen stehe ein Generationswechsel an, auf die kürzlich neu gewählten Räte warte »keine leichte Arbeit«. Woidke kritisierte die CDU dafür, dass sie Ostdeutschland zu einer »Billiglohnzone« umgestalten wolle. Unerwähnt ließ er dabei, dass sich die SPD auch in Brandenburg lange Zeit der LINKEN-Forderung nach einem Mindestlohn verschlossen hatte und dass die einstige SPD/CDU-Landesregierung bei Investoren dreist mit den niedrigen Löhnen im Land geworben hatte. Heute ist Woidke klüger: Lange habe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Ungerechtigkeit geherrscht, »dass derjenige Bewerber den Zuschlag bekam, der seine Angestellten am schlechtesten bezahlt hat«, sagte er.

Das von der rot-roten Landesregierung eingeführte Vergabegesetz mit der finanziellen Mindestanforderung sei ein »wichtiges Signal« gewesen, endlich zu einem festgesetzten Mindestlohn für alle zu gelangen, bestätigte der stellvertretende DGB-Vorsitzende des Bezirks Berlin-Brandenburg Christian Hoßbach. Mit der auch von den Gewerkschaften vorbereiteten Betriebsrätekonferenz sei die Möglichkeit gegeben, »ein Stück Wirklichkeit in die Staatskanzlei zu bringen«. Weil Unternehmen in Brandenburg in der Regel nicht tarifgebunden seien, müsse diese Bindung wieder hergestellt werden, forderte er.

Den sich abzeichnenden Fachkräftemangel führte Hoßbach unter anderem darauf zurück, dass zahlreiche junge Menschen nach 1990 vor der Arbeitslosigkeit in den Westen geflüchtet sind. Auch Woidke bestätigte, dass angesichts der deprimierenden Lohnaussichten lange die Regel gegolten habe: »Karriere macht man nur im Westen«. Auch mit dem ab 2017 für alle geltenden Mindestlohn werde sich niemand zurücklehnen können. Es werde spitzfindige Versuche geben, das zu unterlaufen.

Laut den Ergebnissen des kürzlich von Arbeitsminister Günter Baaske (SPD) vorgestellten Betriebspanels ist Brandenburg das Billiglohnland geblieben, das es seit 1990 gewesen ist. Wer in einem Betrieb des Landes angestellt ist, der verdient als Vollzeitkraft im Durchschnitt 1980 Euro brutto. In den vergangenen fünf Jahren habe sich damit der Lohn für diese Gruppe um ganze 100 Euro erhöht. Der Reallohn ist angesichts allgemeiner Verteuerung damit vermutlich sogar gesunken. Brandenburger verdienen im Schnitt 81 Prozent vom durchschnittlichen Westgehalt, das ist laut Panel-Übersicht auch schon 1997 so gewesen.

Immerhin sei, so Hoßbach, im öffentlichen Dienst unter der rot-roten Landesregierung die bisherige Konfrontation dem »respektvollen Umgang« miteinander gewichen. Und man sei in den Verhandlungen »zu vernünftigen Lösungen« gekommen. Die scheidende Regierung hat sich mit netten Gesten von ihrem öffentlichen Dienst verabschiedet: Für Polizisten mehr Geld, da mehr Zuschläge. Für Lehrer weniger Arbeit, da weniger Pflichtstunden.

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