Kein Bock auf Barbiewelt

Sport für Punks, aber nicht nur für sie: Anneke Lindner spielt Roller Derby

  • Lesedauer: 4 Min.
Junge Frauen, die Helme tragen und sich Wettrennen auf Rollschuhen liefern, bei denen es nicht zimperlich zur Sache geht: Das ist schon seit 70 Jahren Roller Derby. Die erste WM gewannen 2011 in Toronto die USA. Auch in Deutschland formieren sich immer mehr Gruppen für Roller Derby, wie die »Deadly Darlings« (Düsseldorf), die »The Pirate Brides Wuppervalley« (Wuppertal) oder die »Riot Rocketz« (Leipzig). Bei den Leipzigern ist Anneke Lindner dabei, 33, Leiterin einer Musikschule. nd-Mitarbeiter René Gralla ließ sich von ihr gerne überzeugen, dass Roller Derby richtig rockt.

nd: Zwischen Roller Derby und Punk soll es viele Berührungspunkte geben, jedenfalls wird das von den Frontfrauen des Sports gern behauptet. Was ist Punk an Roller Derby?
Lindner: Gefärbte Haare und dazu passende Klamotten, die sind für mich nicht Punk, sondern reine Äußerlichkeiten. Ich verstehe unter Punk eine innere Einstellung: sich einen freien, wilden und vielleicht auch mal kindlichen Geist bewahren, den Mut zu einer eigenen Meinung haben und Neues riskieren. Und genau das ist die richtige Haltung für Roller Derby. Wir haben keinen Bock auf die Barbiewelt der Schönheitswettbewerbe.

Manche Aktivistinnen, allen voran Ihre Kollegin Janina Meyer von den »Berlin Bombshells«, wollen diesen Sport sogar als feministisch definieren.
Aus meiner Sicht - das ist meine persönliche Meinung, einige Mädels in unserem Team würden mir wohl widersprechen - ist das kein feministischer Akt, auf Rollschuhen herumzufahren und sich dabei martialisch zu geben. Gegen welchen Widerstand muss ich mich dabei als Frau hierzulande schon durchsetzen? Bei Roller Derby ohne Schleier in Ägypten mag das was anderes sein.

Mit Vollkontakt ums Oval
Roller Derby ist ein Vollkontaktsport. Deswegen dürfen gegnerische Spieler nicht nur durch Abdrängen behindert, sondern auch umgeschubst werden. Treffer an Kopf, Hals, Rücken, Gesäß, Unterschenkel, Knie und Füßen sind verboten. Ein Team besteht aus bis zu 14 Aktiven (meist Frauen), von denen jeweils fünf Personen gleichzeitig auf die Bahn gehen. Ein Mitglied des Quintetts ist »Jammer« mit der Aufgabe, durch Überrunden der Gegenseite zu punkten. Die restlichen Vier müssen als »Blocker« den eigenen »Jammer« unterstützen sowie den gegnerischen Punktemacher behindern oder stoppen. Die Mehrheit der Aktiven misst sich heute auf einer ovalen flachen Bahn, dem »Flat Track«, mit den Abmessungen 30 mal 18 Meter. gra

 

Jetzt bauen Sie in Leipzig den Roller-Derby-Sport auf. Wie ist es dazu gekommen?
Vorher lebte ich einige Jahre in Hamburg und bin dort mit den »Harbor Girls« in Kontakt gekommen. Und als ich nach Leipzig umgezogen bin, habe ich Gleichgesinnte gesucht, weil es hier Roller Derby vorher noch nicht gab. Inzwischen sind wir mehr als 30 Mädels und ein paar Jungs.

Männer gehören auch dazu? Die scheinen im Roller Derby aber die Ausnahme zu sein?
Rollschuhe werden traditionell oft mit Mädchen verbunden. Deswegen braucht es seine Zeit, bis sich mehr Männer an Roller Derby herantrauen.

In Ihrem Sport wird auf Rollschuhen im Kreis gelaufen, und jeweils eine Spielerin aus den beiden Teams versucht zu punkten, indem sie die anderen überrundet. Was ist das Spannende daran?
Die kontrollierte Aggressivität. Du kannst in gewisser Weise einfach die Sau rauslassen. Und dazu die Geschwindigkeit, die du auf den Rollschuhen erreichst, das ist krass und macht total Spaß.

Roller Derby ist also Rempelei auf Rollschuhen?
Wer polemisch ist, könnte das sagen. Aber Rempeleien sind unkontrolliert, während wir ein striktes Regelwerk befolgen. Die Regeln musst du kennen, darfst keinen Egotrip fahren.

Beruflich leiten Sie eine Kindermusikschule, musizieren mit dem Glockenspiel und singen die »Wolke Pustebacke«. Andererseits sind Sie ein beinhartes Roller-Derby-Girl. Wie passt das zusammen?
Das ist doch überhaupt kein Widerspruch! Wie ich vorhin schon gesagt habe: Von meiner Geisteshaltung her bin ich ein Punk, und alle Kinder sind Punks, ohne Ausnahme. Schließlich gibt es keine Menschen, die inspirierender, anarchistischer, witziger und frei denkender sind als Kinder. Und die Kinder bringen mir täglich bei, ein Punk zu bleiben!

Sind Sie eher die Frau, die punktet - mithin »Jammer«, wie es in der Fachsprache heißt - , oder gehören Sie zu den »Blockern«, die ihre Gegnerinnen zu behindern versuchen?
Das weiß ich noch nicht. Erst einmal muss ich wie die übrigen Mitglieder der »Riot Rocketz« einen Test bestehen, um überhaupt zum Spielbetrieb zugelassen zu werden. Den werden Prüferinnen unseres Weltverbandes Ende des Jahres abnehmen. Aber später möchte ich gerne Jammer sein. Ich bin 1,74 Meter groß und wiege 55 Kilogramm, deswegen glaube ich, dass ich ein Aal sein werde, der sich überall durchschlängelt.

Um als Jammer zu punkten: Entscheidet Kraft oder Taktik?
Beides. Du beschäftigst die Gegnerinnen, die werden abgelenkt, und du rennst los, um den Punkt zu machen. Oder du treibst die anderen auseinander wie eine Schafsherde und öffnest dir eine Straße.

Welche Voraussetzungen muss jemand bei Ihnen mitbringen?
Jede und jeder kann kommen, egal ob dünn oder dick. Letztlich müssen die Betreffenden Durchhaltevermögen haben.

Wo trainieren Sie in Leipzig?
Momentan üben wir in einer Schulsporthalle, jedoch ist die zu klein für uns. Nun hoffen wir auf den Leipziger Kohlrabizirkus, einen Kuppelbau aus den 1920er Jahre. Das war früher eine Markthalle und wäre ideal.

Stichwort Stürze: Wie schützen Sie sich gegen Verletzungen?
Mit Helm, dazu Schoner für Ellenbogen, Handgelenke und Knie, außerdem ein Mundschutz.

Was sind Ihre sportlichen Träume?
Wie eine Band im Bus durch Europa fahren und Roller-Derby spielen.

Weitere Infos zu den »Riot Rocketz« aus Leipzig: www.rollerderby-leipzig.de

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