Triumph oder Wahn - die Krim-Brücke

Schon Dezember 2018 oder erst 2021 soll die Halbinsel einen Landweg nach Russland haben

  • Irina Wolkowa
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Halbinsel Krim hat den Anschluss an die Ukraine verloren und einen Landweg nach Russland noch nicht hergestellt.

Von Irina Wolkowa, Moskau

Meterdicke Betonpfeiler recken sich aus dem Meeresgrund in den blauen Abendhimmel. Sie tragen eine kühn geschwungene, von gleißendem Licht überflutete vierspurige Autobahn. Parallel dazu verläuft eine zweigleisige Eisenbahnstrecke für Hochgeschwindigkeitszüge. An den heikelsten Stellen wird sie von der Autobahn überwölbt. Mit einer Gesamtlänge von 19 Kilometern wird die Brücke, die die Krim mit dem russischen Festland verbinden soll, eine der längsten Brücken der Welt.

Wer bei der Präsentation des Projekts dabei war, glaubte sich nicht im 21. Jahrhundert, sondern in fernster Zukunft. Denn Russland fiel bisher - zumindest im zivilen Bereich - nicht durch Wunderwerke der Ingenieurkunst auf. Und selten hat in jüngerer Vergangenheit ein Projekt die Geister so gespalten wie die Brücke. Wohlmeinende feierten sie bereits als Triumph des Willens über die Gesetze der Physik. Kritiker aber machten sie als Ausgeburt von Größenwahn und nackter Verzweiflung nieder.

Zwar sind es nur knapp viereinhalb Kilometer, die die Krim im Osten von der Region Krasnodar im russischen Nordkaukasus trennen. Doch dazwischen liegt ein Sund: Die Straße von Kertsch, die das Schwarze und das weiter nördliche gelegene Asowsche Meer verbindet und die Krim zur Halbinsel macht. Zur Exklave, im Norden fest umschlossen von der Ukraine, zu der sie bis März gehörte. Kiew betrachtet sie weiterhin als Teil seines Staatsgebiets und drohte dunkel mit Rückeroberung und Siegesparade in Sewastopol, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist.

Das Brücken-Projekt ist daher Chefsache. Der Termin für die Fertigstellung - Dezember 2018 - müsse unter allen Umständen gehalten werden, forderte Russlands Präsident Wladimir Putin in seiner Jahresbotschaft an das Parlament Anfang Dezember erneut. Die Arbeiten sollen daher schon Anfang 2015 anlaufen. Derzeit sind auf der künftigen Großbaustelle indes nur Minenräumer am Werke. Die strategisch wichtige Straße von Kertsch war im Zweiten Weltkrieg heiß umkämpft. Die Wehrmacht hatte zwar die Krim besetzt, der Panthersprung zur kaukasischen Schwarzmeerküste und damit der Marsch zu den Ölfeldern an der Kaspi-See scheiterte jedoch am erbitterten Widerstand der Roten Armee.

Zwar will Russlands Regierung möglichst rasch den Generalaufragnehmer bestimmen. Doch einer der potentesten Bewerber - Putins Freund Gennadi Timtschenko, dem unter anderem der Baukonzern Stroitransgaz gehört - warf bereits das Handtuch. Er habe einen Ruf zu verlieren. Skeptisch ist auch die staatliche Konkurrenz. Die Baustelle, warnte Roman Nowikow, Chef des regionalen Straßenbaukonzerns Taman liege in einer seismisch aktiven Zone, in der mit Beben bis Stärke neun der Richter-Skala gerechnet werden müsse.

Die Hängebrücke hängt, titelte die »Nesawissimaja Gaseta« Mitte Dezember. Nicht nur wegen der Kosten: Derzeit jonglieren die Planer mit 228 Milliarden Rubel, die vor dessen Talfahrt stolze 50 Milliarden Euro waren. Russische Unternehmen schrecken vor allem die Tücken von Klima und Geologie ab, ausländische Konkurrenten die Sanktionen, die der Westen verhängte.

Im Winter toben orkanartige Stürme, dazu kommt mindestens alle fünf Jahre schwerer Eisgang mit meterdicken Schollen. Um ihrem Druck standhalten zu können, müssen die Bögen daher überdurchschnittlich lang, die Pfeiler extrem dick und robust ausfallen - und sehr fest im Gestein verankert werden. Doch in welcher Tiefe die Schlammschicht endet, die den Seeboden bedeckt, wissen die Geologen bisher nicht.

Schlamm und Eis wurden schon der Vorgängerin dieser Krim-Brücke zum Verhängnis. Zwar wurde sie nach der Befreiung der Halbinsel 1944 in rekordverdächtigen vier Monaten fertig. Das Material hatten schon die deutschen Besatzer herangekarrt und für den Bau wurden vor allem Gulag-Häftlinge eingesetzt, deren Arbeit wenig kostete. Doch Projektierungsfehler, schlampige Ausführung und ein scharfer Nordost, der Eis aus dem Asowschen Meer vor sich her trieb, sorgten dafür, dass die ersten Pfeiler schon drei Monate nach Inbetriebnahme wie Streichhölzer knickten. Am 11. Februar 1945 rollte der letzte Zug über die Brücke. Mit Josef Stalin als Passagier, der sich zuvor in Jalta mit den Westalliierten über die Nachkriegsordnung in Europa geeinigt hatte.

Damit sich das Brückendesaster nicht wiederhole, plädierten die Russischen Eisenbahnen (RZD) anfangs sogar dafür, Schienen wie Straßen nicht über, sondern unter Wasser zu verlegen. Die Tunnel-Idee scheiterte jedoch an weiteren Bedenken der Geologen. Die warnten vor tektonischen Brüchen und aktiven Untersee-Schlammvulkanen. Schwerlaster hätten die Röhre ohnehin nicht befahren dürfen. Und die Kosten wären nachgerade explodiert.

Durch Ineffizienz und Korruption wurde schon bei anderen Prestigeprojekten die Anfangskalkulation um ein Mehrfaches überzogen. Allein die Olympischen Winterspiele in Sotschi kamen den russischen Steuerzahler viermal teurer zu stehen als geplant. Seit russischen Unternehmen Zugang zum westlichen Finanzmarkt erschwert ist, eben auch wegen der Krim - klagen viele über Liquiditätsengpässe.

Mit der Brücke aber steht und fällt eine Integration der Krim, in deren Ergebnis die Schwarzmeerhalbinsel nicht nur von Transferleistungen aus dem russischen Haushalt unabhängig werden, sondern möglichst schnell viel Geld selbst verdienen soll. Vor allem mit Tourismus. Mit stundenlangem Warten auf die Fähre aber ist selbst die Geduld krisengestählter russischer Badegäste überfordert. Zumal bei Nebel und rauer See, wenn tagelang nichts mehr geht und sich die Autos schon mehrere Kilometer vor der Hafeneinfahrt stauen.

Am Wetter dürfte auch die Seilbahn scheitern, die Tüftler als Zwischenlösung vorschlagen. Gerüchte machen die Runde, nach denen der erste Zug doch wohl frühestens 2021 über die Brücke rollen wird. Pessimisten bezweifeln selbst das und verweisen auf die Adria-Brücke, die die Region um Dubrovnik, seit den jugoslawischen Erbfolgekriegen Exklave wie die Krim, mit dem Rest Kroatiens verbinden sollte. Dazwischen liegt ein 19 Kilometer breiter Streifen, der zu Bosnien/Herzegowina gehört. 2009 zogen Geologen in 150 Metern Tiefe die Reißleine. Nichts wies auf ein Ende der Schlammschicht hin. Danach ging das Geld aus.

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