Nicht die schönste Nacht

Wechselbäder und deutsche Interessen

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Zwischen Mittwochabend und Donnerstagmorgen entschied sich das Schicksal der Friedensinitiative von Berlin und Paris in Minsk.

Am späten Vormittag steigen die Kurse. Der deutsche DAX legt zu. »Frischer Rückenwind aus Minsk«, sagt ein Händler. An der Moskauer Börse schnipsen die Kurse sechs Prozent in die Höhe. »Minsk unterstützt den Rubel«, lautet eine russische Schlagzeile. »Dies war nicht die schönste Nacht meines Lebens, der Morgen ist aber gut, weil es uns trotz aller Schwierigkeiten gelungen ist, uns über das Wichtigste zu einigen«, so fasst Wladimir Putin am Donnerstag vor Journalisten rund 17 Stunden härtester Verhandlungen zusammen.

Vor Mitternacht hört man aus den Verhandlungen von Russlands Außenminister Sergej Lawrow, es laufe »besser als super«. Nicht weit nach Mitternacht sieht es nach Abbruch aus. Putin soll nicht mehr mitmachen. Doch es geht weiter. Das Abschlussdokument ist angeblich unterschriftsreif, der Minsker Gipfel steht vor einem Durchbruch. Dann scheitert die Einigung auf eine Waffenruhe. Die Separatisten wollen nicht. Schließlich verkündet Putin, dass eine Waffenruhe beschlossene Sache sei.

Ein höchst zufriedener Gastgeber sortiert die vier entscheidenden Teilnehmer für ein Foto vor den Landesflaggen. Die Stimmung scheint gelöster als am Vorabend. Der stets immer wieder gern als Despot gescholtene und gern gemiedene belarussische Präsident Alexander Lukaschenko kann mit seiner Landeshauptstadt gute Schlagzeilen machen. Wenn alles gut ginge, würde das zweite Treffen in Minsk zur Entschärfung des ukrainischen Konfliktes als Wendepunkt zum Besseren in die Geschichte eingehen. Wenn die Vereinbarungen denn halten und eingehalten würden.

Einen ungeschminkten Einblick in die Interessen der deutschen Wirtschaft gibt seit dem frühen Morgen Eckhard Cordes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Unternehmern und Geschäftsleuten in der Berliner Industrie- und Handelskammer. »Brücken bauen, Türen öffnen und offen halten« lautet sein Credo. Während in Minsk die Teilnehmer noch im Zickzack auf eine Einigung zusteuern, erläutert der Osteuropaexperte deutsche Sichten auf die Krise.

Cordes sieht im deutsch-russischen Verhältnis nach 10 bis 15 erfolgreichen Jahren eine »kritische Entwicklung« besonders für die Autobranche und den Maschinenbau, zweistellige Einbrüche im Warenaustausch. Bei den 6000 Unternehmen in Russland mit deutscher Beteiligung, die insgesamt 250 000 Beschäftigte haben, werden die wirtschaftlichen Aussichten laut einer Umfrage als »so düster wie noch nie« beurteilt. Die bisherige »deutsch-russische Erfolgsgeschichte« sei infrage gestellt, das Vertrauen sinke. »Eine schlechte Situation, wenn nicht sogar eine gefährliche.«

Mit den gegenseitigen Sanktionen sei die politische Krise »mitten in der Wirtschaft angekommen«, sagt Cordes. Aus dem Unterschied von 120 Milliarden Euro Export der Europäischen Union und 10 Milliarden Euro der USA nach Russland lassen sich auch Unterschiede in der Sanktionsdebatte erklären. »Ein isoliertes Russland wird kein einfacherer Partner. Im Gegenteil!«

Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft sei ein Kind des Kalten Krieges, erinnert dessen heutiger Vorsitzender. Dem Gremium sei es immer um »mehr als schnödes Geldverdienen gegangen«. Der Bau von Brücken, der Wandel durch Handel seien einem Wandel durch Annäherung vorausgegangen. Jetzt aber beginne Vertrauen, das über viele Jahre aufgebaut wurde, zu zerfallen.

Die Ukraine sieht er »als Opfer einer Vertrauenskrise zwischen Russland, der EU und den USA«. Auch die Krim - »Ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht!« - hätte anders behandelt werden können. Doch die Charta von Paris von 1990 über eine neue Weltordnung sei »an die Wand gefahren worden«. Die per Handschlag getroffene Übereinkunft zwischen dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse und seinem US-Kollegen James Baker, dass es keine Ostausdehnung der NATO geben werde, sei nicht eingehalten worden.

Nach Minsk kam Russlands Präsident am Vorabend als letzter und allein. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande bildeten mit dem ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko wenigstens vor den Kameras eine anscheinend verschworene Gemeinschaft. Das tat dem Mann aus Kiew sichtlich gut tut. »Wir sprechen mit einer Stimme«, kündigte er vor Verhandlungsbeginn an.

Später zeigte er sich unversöhnlich und kompromisslos. Sicher auch mit dem Blick in die eigene Hauptstadt, wo nicht nur sein Premier Arseni Jazenjuk den aggressiven US-Kurs fährt und damit Anhänger findet. Hatte Poroschenko noch in Kiew mit der Verhängung des Kriegsrechts über die ganze Ukraine gedroht, wollte er sich nun »keinen Ultimaten« beugen. Die Freilassung aller Geiseln und auch der in Russland angeklagten Pilotin Nadja Sawtschenko war ihm später als Erfolgsmeldung die Mitteilung an die Presse wert.

Er wollte nicht mit den Aufständischen der Ostukraine verhandeln. Auf die habe Putin Druck gemacht, lobten später Merkel und Hollande. Doch alles kann jederzeit platzen. Die Waffenruhe ab Sonntag 0.00 Uhr und auch die Kommunalwahlen in Donezk und Lugansk. Die lassen sich ohnehin erst für den Sommer ansetzen.

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