Flüchtlinge vor Gericht

Prozessauftakt gegen drei Sudanesen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt da diesen uralten Witz um Herrn Blöd, den Nachbarn von Herrn Keiner und Herrn Niemand. Vor Gericht klagt Ersterer: »Niemand hat versucht, mir etwas auf den Kopf zu werfen, Keiner hat es gesehen.« Darauf der Richter: »Sind Sie blöd?« - »Höchstpersönlich!« Zwar gibt es unter den Beteiligten am Gerichtsverfahren gegen drei Flüchtlinge am Amtsgericht Tiergarten weder Menschen mit dem Namen Keiner, noch solche, die Niemand oder Blöd heißen. Dennoch kommt die Aussage der vier Zeugen, allesamt Polizisten, dem Vorwurf des Herrn Blöd nahe. Blöd ist nämlich, dass die rasche Aufklärung des Falls aufgrund sichtbehindernder Laubbäume unmöglich ist.

Drei ehemalige Bewohner der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule sitzen seit Dezember 2014 in Untersuchungshaft. Den aus Darfur geflüchteten Männern wird vorgeworfen, während eines Polizeieinsatzes am 2. Juli 2014 vom Dach der Schule gezielt Betonteile, Steine und Glas auf die Beamten geworfen zu haben. Am Dienstag, dem ersten Verhandlungstag, wollten sich die Angeklagten nicht äußern.

Gesprächiger zeigten sich drei Polizisten und eine Polizistin, die an besagtem Tag im Einsatz waren. Was sie zu sagen hatten, interessierte vor allem Unterstützer der Angeklagten. Unter massivem Polizeiaufgebot und mit aufwendigsten Sicherheitsmaßnahmen trudelten sie noch in den schwer bewachten Saal, als bereits der erste Zeuge aussagte. Er sei mit seinen Kollegen beauftragt gewesen, an jenem Julitag »die Gebäude zu sichern«. Nach zehn Minuten sei plötzlich von rechts oben ein Ziegelstein auf den Boden geklatscht.

Danach hätten sich die Staatsschützer zurückgezogen (O-Ton der Polizistin: »Ich hatte Todesangst!«), Helme aufgesetzt und seien sofort zurückgekehrt. Anschließend, und darin sind sich alle Zeugen einig, seien neben einem zweiten Stein auch Glasscheiben, eine kleine weiße Holzkugel sowie aus den Fenstern der Schule weiteres Glas und ein Fahrradständer geflogen. Verletzt wurde bei dem 30 bis 45 Minuten andauernden Einsatz niemand, die Gegenstände landeten meterweit entfernt vom Standort der Beamten. Auch sei wegen der im Hochsommer sattgrün belaubten Bäume nicht erkennbar gewesen, wer die Gegenstände von wo auf wen oder was mit welcher Absicht geworfen habe.

Ein eingespieltes, etwa zehnminütiges Video, das einer der Zeugen von der Dachterrasse der gegenüberliegenden Firma »Hier im Kiez gGmbH« aufzeichnen durfte, zeigt jedenfalls mehrere Männer auf dem Schuldach, die Steine und Glas wahllos nach unten werfen. Dass sich zu diesem Zeitpunkt in dem polizeilich abgesperrten Areal Menschen befanden, konnte keiner der Zeugen bestätigen - auch nicht der als Zeuge geladene Kameramann in Polizeiuniform.

Die durch die Polizisten beschriebene »aggressive Stimmung« zur mutmaßlichen Tatzeit hat eine Vorgeschichte: Im Frühjahr 2012 organisierten Flüchtlinge einen Protestmarsch von Würzburg nach Berlin, um gegen Lagerunterbringungen und Residenzpflicht sowie für das Recht auf Arbeit und ein eigenständiges Leben einzutreten. In der Hauptstadt angekommen, errichteten sie am Oranienplatz ein Camp und besetzten im Dezember 2012 die besagte Kreuzberger Schule, die sich zur Heimstatt für Kulturprojekte entwickeln sollte.

Nach der gewaltsamen Räumung des Oranienplatzes drohte der Bezirk im Sommer 2014, auch die Schule zu räumen. Dieser Drohung sowie einer Absperrung und faktischen Verriegelung des Geländes durch teilweise mehrere hundert Polizisten folgte die Dachbesetzung der Bewohner, im Zuge derer sich auch die erwähnten Straftaten abgespielt haben sollen. Für die Fortsetzung des Verfahrens ist der 21. April angesetzt.

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