Und jetzt aber auf Stube

Für’s Spiel ist keine Zeit. Bitter ist das alles für den Debütanten dieser Folge. Matthias Dell über den Kölner Tatort »Dicker als Wasser«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Um das Ganze mal wie im Sportbericht anzugehen: Kaspar Heidelbach wird ab diesem Montag auf Platz 3 der Liste der Regisseure mit den meisten »Tatort«-Folgen geführt werden (gemeinsam mit Thomas Jauch). Die Kölner-Episode »Dicker als Wasser« (WDR-Redaktion: Frank Tönsmann) ist seine 18. Arbeit seit dem Düsseldorfer Debüt »Der Mörder und sein Prinz« von 1992 (Kommissar seinerzeit: Martin Lüttges Flemming, damals schon assistiert von Klaus J. Behrendts Ballauf). Heidelbach liegt damit nur hinter Hajo Gies (21 Folgen/1977-2009) und Hartmut Griesmayr (25/1979-2007). Der »Dicker als Wasser«-Drehbuchautor Norbert Ehry seinerseits teilt sich aktuell mit Felix Mitterer und Friedhelm Werremeier den 14. Rang in der Liste der »Tatort«-Drehbuchautoren mit 12 Filmen, seiner erste schrieb er 1979.

Die Preisfrage lautet nun, wie diese Zahlen zu interpretieren sind: Strahlt aus ihnen das satte Abendlicht einer Erfahrung, in der Konturen von so was wie Lässigkeit oder Souveränität klar zu erkennen sind? Oder sind sie Ausdruck von Erschöpfung in ambitionsloser Routine, die durch Jahre im Apparat, den wir ARD nennen, Drehpläne und Budget einzuhalten weiß, damit am Ende knapp 90 Minuten Film rauskommen, die dem, was die Zuschauerin am Sonntagabend nach dem kanonischen Vorspann erwartet, irgendwie ähnlich sehen?

Ersteres nicht, »gar keine Frage« (Matthias Sammer). Wobei es schon wieder beeindruckend ist, mit welch konsequenter Lustlosigkeit »Dicker als Wasser« den Sonntagabendkrimi als Erzählform durchrungst; man geniert sich als Betrachter fast ein wenig, weil einen das Gefühl nicht verlässt, dieser »Tatort« schaue in jeder Sekunde auf die Uhr seines Fertig-werden-Wollens und die eigenen, bescheidenen Erwartungen (spannender Fall, interessante Figuren, bisschen Atmo) störten dabei nur.

Das Buch wirkt, als wäre es von einem unterklassigen Krimi im Vorabend- oder Tagesprogramm übrig gewesen, bei dem jede Szene Handlung als Information verkauft und die Auftritte wie im Boulevardtheater runtergeschnurrt werden. Kommissar spricht Sohn ins Gewissen: Ihr Vater hat Ihre Mutter umgebracht (»Ihre Mutter war ihm nur noch im Weg«). Sohn geht zu Vater: Hast du Mutter umgebracht? So, und so die ganze Zeit. Es passiert dauernd irgendwas und in diesem Aktionsdomino hat die Folge fast Drive. Für das Problem, dass, wer so schnell handelt und so direkt erzählt, gewisse Motive auf der Strecke bleiben, hat »Dicker als Wasser« eine tolle Lösung parat: Die Gründe für das Handeln werden einfach immer miterzählt (fürs Spielen ist ja keine Zeit), die Fußnoten sind hier der Text.

Also etwa der Kommissar in besagter Szene zum Sohn, dessen Konflikt sein soll, dass er sich dem Verbrechervater zu verbunden fühlt (siehe Titel): »Sie können nicht immer vor der Wahrheit davon laufen. Ihr geliebter Vater ist ein Mörder. Er war bestimmt immer ein Vorbild. Machen Sie sich davon frei.« Was der Sohn tut, er lockt den Vater für den »letzten« Coup in eine Falle. Vater, angeschossen: »Hat mein Kleiner mich verraten.« Kommissar: »Übungsmunition, Eric hat die Patronen ausgetauscht.«

Leider ist das alles noch nicht schnell und blutleer genug dargeboten, sonst hätte diese Folge einen neuen Stil postheroischen Erzählens begründen können: der verfilmte Beipackzettel, in dem der Text, und nur der Text alles, aber wirklich alles erklärt. Immerhin bemüht sich Ludwig Trepte als Eric-Sohn, der sich freimachen soll, um eine adäquate Sprecherhaltung: Er flüsterraunt alle Sätze halbdramatisch.

Armin Rohde als Verbrechervater soll derweil einen Hannibal Lecter ähnlichen Gourmetkrimineller spielen (»Panna cotta, da stehste du doch drauf«), der mit abgelutschten Zitaten von George Best und Churchill um sich wirft, die der Kommissar gegenüber sicherheitshalber noch einmal zuordnet. Das führt zu dem Satz »Sie gefallen mir«, der komischerweise nicht mehr als Zitat markiert wird (Romy Schneider zu Burkhard Driest in »Je später der Abend«, 1974).

Bitter ist das alles für den Debütanten dieser Folge: Patrick Abozen soll von nun an als Tobias Reisser der Franzi-Nachfolger sein als Schenk-Ballauf-Assistent. War er in seiner Bewerbungsfolge vor einem Jahr auf schöne Weise wieselig-verdruckst, muss er nun die gleichen schlimmen Sätze wie alle sagen – mit einer Sprechhaltung, als wolle er sich am Landestheater Tübingen bewerben.

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?«

Etwas für den Grabstein (1):
»Der konnte jede haben«

Etwas für den Grabstein (2):
»Sie war selbst scharf auf Olli«

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