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Die Akropolis an TUI, Piräus an China

Europa soll wieder in ein funktionierendes Profitcenter umgewandelt werden. Das funktioniert nur mittels Ausplünderung. Über die Zukunft Griechenlands klärt Rainer Trampert auf.

  • Rainer Trampert
  • Lesedauer: 7 Min.

Barack Obama wundert sich, dass Europas Hegemon Deutschland nicht wie ein Patron herrscht, sondern wie ein mafiöser Geldeintreiber: Sie können ein Land, das »sich mitten in einer Depression befindet, nicht immer weiter ausquetschen«, bis es auseinanderbricht, und es gleichzeitig als Sperrwerk gegen Flüchtlingsbewegungen und NATO-Stützpunkt im Zentrum der Kriegsherde Libyen, Irak/Syrien, Islamischer Staat (IS), Ukraine nutzen wollen! Griechenland wird immer wichtiger. Die Türkei setzt sich von der NATO ab, kooperiert bisweilen mit dem IS, Moldawien und Georgien stehen vor ähnlichen Zerreißproben wie die Ukraine, und die Kriege des Südens rücken näher. Der IS greift auf Sinai Ägypten an und beschießt Israel. Auf der anderen Seite des Globus greift China nach Gewässern, Inseln und Schätzen, die von Nationen beansprucht werden, die mit den USA Schutzabkommen haben. Malaysias Verteidigungsminister warnt, dass Chinas Gebietsansprüche »zu einem der tödlichsten Konflikte unserer Zeit ... eskalieren« könnten. Die USA ziehen deshalb mit ihrem Militärtross in Richtung Asien und setzen auf eine größere »Verantwortung« Deutschlands. Einerseits wird Deutschland ab 2017 aufrüsten: Panzer, U-Boote, Logistik. Schon deshalb, weil es mit Russland gebrochen hat und perspektivisch Öl und Gas vom Golf und Seltene Erden aus Afrika holen muss - dort, wo Saudi-Arabien und der Iran ihre Stellvertreterkriege um die regionale Hegemonie ausfechten und der IS und andere Milizen ihr Unwesen treiben. Das ist allemal gefährlicher als ein Gasabkommen mit Russland.

Doch fällt der Blick der Bundesregierung auf Griechenland, sieht sie nur Schulden und Politiker, die sich nicht benehmen können. Das Sparangebot von Alexis Tsipras enthielt alles, wogegen 61 Prozent der Griechen gestimmt hatten. Aber Wolfgang Schäuble verlangte den »Grexit«, den Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone. Eine Demonstration der Macht, die in dem bereits zerrütteten Europa nun die Axt an Kerneuropa anlegte. Gegen den Rat der EZB, des IWF und aller EU-Institutionen wagte Deutschland den Bruch mit Frankreich und Italien, die ihrerseits ahnten, dass sie die nächsten sein könnten. Warum? Deutschland will ein Fanal setzen, das ganz Europa einschüchtern soll, folgt zweitens den ökonomischen Zwängen (dazu später) und ist drittens Getriebener seiner Ideologie, dieser seltenen Mischung aus Buchhaltung, Großmannssucht, Ressentiments gegen den Süden und gegen Menschen, die einen entspannten Eindruck machen sowie der Neigung, auf die zu treten, die unten liegen. Bevor Südeuropäer lachen und tanzen, sollen sie ihre Finanzen ordnen, Überstunden machen, Schulden begleichen und alles das tun, bei dem einem das Lachen vergeht. Die deutsche Propaganda erfand die »griechische Krankheit«, um das lebendige Leben zu diskriminieren und Deutsche, die die Lust am Leben überkommt, krank zu schreiben. - Kinder spielen auf der Straße! Kein Wunder, dass die Ostfront da eingebrochen ist, wo die Italiener standen!

Zur Person

Rainer Trampert, geb. 1946, ist Publizist. Er arbeitete fast zwei Jahrzehnte in der Erdölindustrie, war Betriebsrat bei Texaco und zwischen 1982 und 1987 Bundesvorstandssprecher der Grünen. 1990 verließ er die Partei.
 

Auch Oskar Lafontaine, die AfD und jede Menge Volkswirte favorisieren die Rückkehr zur Drachme. Griechenland werde dann mehr exportieren, divergierende Ökonomien passten nicht unter ein Währungsdach und Griechenland solle »die Eurozwangsjacke« abstreifen, um ein Gemeinwesen aufzubauen, »das selbst für seinen Unterhalt sorgen kann« (»FAZ«). Auch Berlin, Bremen und Ostdeutschland können nicht für ihren Unterhalt sorgen. Ostdeutschland liegt im Selbstversorgungsgrad (unverschuldet) unter den italienischen Abruzzen. Bis heute wurden 2000 Milliarden Euro spendiert, um Ostdeutschen ein adäquates Leben zu ermöglichen. Die Griechen würden Deutschland bei einem Totalausfall nur vier Prozent der Ostdeutschen kosten. Eine Relation, die über den Wert des Nationalen und des Europäischen Auskunft gibt. Das Risiko ist überschaubar. Die Tilgung der griechischen Schulden, für die Deutschland zu haften hätte, streckt sich bis 2057. Die Abschreibungen beliefen sich auf ein bis zwei Milliarden im Jahr. Schon Deutschlands Zinsvorteil ist höher. Viel höher ist die Wertabschöpfung aus dem übrigen Europa, die sich im deutschen Exportüberschuss spiegelt. Ungebremst strömt Kapital dahin, wo die Profitrate höher ist.

Der Grexit würde in Griechenland eine Hungerkatastrophe auslösen. Der Wert der Drachme fällt ins Bodenlose, die in Euro ausgewiesenen Auslandsschulden und Importpreise schießen in die Höhe, die »importierte Inflation« treibt die Kosten der Produktion und die Preise der Exportwaren nach oben, das Land steht vor der nächsten Abwertung, die Abwärtsspirale drehte sich weiter. Eine Kompensation entfällt schon deshalb, weil Griechenland doppelt so viel importiert wie es exportiert. Energie, Ersatzteile, Fahrzeuge, Medikamente, Nahrungsmittel aus dem Ausland werden unerschwinglich, die Wirtschaft kollabiert, im Land kommt es zu Parallelwährungen: Rentner, Arbeitskräfte, Soldaten, Polizei und andere Beamte bekämen Drachmen, Ärzte, Supermärkte, Vermieter, Apotheker verlangten Euro. Da die Armee sich ihre Verelendung nicht ewig mit ansehen würde, darf das deutsche Grexitbegehren als Spekulation auf einen Putsch interpretiert werden.

Wenn es mit der Abwertung getan wäre, müsste es Moldawien blendend gehen und hätte es der DDR immer blendend gehen müssen. Wäre die Angleichung der Wirtschaftskraft das Kriterium für die Einheitswährung, lebten wir heute noch in Kleinstaaten mit Zollschranken. Wie lange hätte Italien auf die Angleichung von Mailand und Kalabrien warten sollen? Die Wirtschaftskraft lässt sich nicht in Nord und Süd oder entlang nationaler Grenzen bestimmen, sie zerschneidet die Länder. An der Wirtschaftskraft gemessen müssten Mecklenburg-Vorpommern, Andalusien und die Abruzzen einen Währungsraum bilden oder Norditalien, Baden-Württemberg und Katalonien.

Deutschlands Vorherrschaft in Europa beruht auf seiner starken Wirtschaft, die ein Produkt der deutschen Tugenden »Arbeitsdisziplin, Präzision und Feigheit vor dem Herrn« ist, der ökonomischen Verflechtung aller mit Deutschland und Deutschlands hohem Haftungsanteil an Hilfsfonds oder an der EZB. Aber Deutschland ist auch der Hegemon im Krisengebiet des Weltkapitalismus. Sein Ziel, zu einer Weltmacht neben den USA und China aufzusteigen, lässt sich nur realisieren, wenn es ihm gelingt, Europa wieder in ein funktionierendes Profitcenter zu verwandeln. Deshalb soll unproduktives Kapital ausgemerzt, sollen Lebensrisiken privatisiert und Kulturen, die dem Kapitalismus noch Leben abtrotzen, beseitigt werden. Deutschland zieht permanent Beschäftigung, Mehrwert und Steuern aus Europa ab, entleert so seine Absatzgebiete und gefährdet die eigene Reproduktion. Das Modell, bei dem das profitable Zentrum seinen Abnehmern Geld und Kredit gibt, damit sie bei ihm einkaufen können, hat keine Zukunft. Außerdem ist Deutschland der größte Kapitalexporteur der Welt. Jedes Jahr fließen netto 150 bis 180 Milliarden Euro aus Deutschland ab nach Asien und Amerika, wo höhere Profitraten zu erzielen sind. Die Kompensation gelingt nur, so lange Deutschlands Mehrwertraub in Europa nicht ins Stocken gerät. Auch deshalb will Deutschland die Mehrwertproduktion in Europa durch hundert Spardiktate steigern und unbedingt vermeiden, dass seine Reproduktions- und Wettbewerbskraft durch Haftungsverluste (»Transferunion«) geschwächt wird.

Griechenland wird seine Niederlage in der Konkurrenz der Nationen teuer bezahlen. SYRIZA wird gespalten, die Querfront mit den Rechtspopulisten auseinanderfallen, die Bevölkerung ausgeplündert und das Staatsvermögen versteigert: Häfen, Eisenbahn, Flughäfen, Inseln, Fresken, Säulen, Museen. Die Akropolis an TUI, Piräus an die Chinesen. Die Abwicklung Griechenlands ist eine Tragödie und ein Lehrbeispiel. Erste Lehre: Marktwirtschaft ist die Übertragung der Naturordnung »fressen und gefressen werden« auf die menschliche Gesellschaft. Das Soziale hat die Arbeiterbewegung ihr abgerungen. Von sich aus selektiert sie in permanenter Konkurrenz Sieger und Verlierer zwischen Nationen, Unternehmen und Menschen. Das siegreiche Unternehmen frisst die verwertbaren Reste des unterlegenen Konkurrenten (Technik, Personal, Kunden), die siegreiche Nation versilbert Inseln und Häfen. China lauert bereits. Die Parteizeitung »China Daily« schreibt: »Griechenland besitzt alle geopolitischen Vorteile, die auch Hongkong aufweist. Warum also nicht Athen mit Hongkong zusammenbringen.« Piräus für den Warenumschlag, Kreta für den Ölumschlag. Zweite Lehre: Linke, die den Kapitalismus nur regierend verwalten, statt ihn zu stürzen, tun das zu seinen Bedingungen. Sie sind nur Spielball der realen Mächte und werden, wenn’s dem Gläubiger passt, vorgeführt bis zum totalen Gesichtsverlust, damit sein Stammpersonal wieder ans Ruder kommt. Dritte Lehre: Deutschland geht über Leichen.

Rainer Tramperts aktuelles Buch trägt den Titel »Europa zwischen Weltmacht und Zerfall«. Erschienen ist es im Schmetterling-Verlag. Im »Saarkurier« hieß es dazu: Rainer Trampert sei einer der »wenigen Aufklärer, die es in der Bundesrepublik noch gibt. Während die Mehrzahl seiner ehemaligen Kollegen als Sprachbaukästen in Talkshows oder Aufsichtsräten gelandet sind, blieb Trampert unversöhnt mit den Verhältnissen.« Im Internet: www.rainertrampert.de

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