Clownerie unterm Kirchendach

In Sachsen-Anhalt will die Kirche ungenutzte Sakralbauten nicht verfallen lassen. Sie bietet sie zum Verkauf an

  • Anne Schneemelcher, Großkayna
  • Lesedauer: 3 Min.
Uralte Gotteshäuser stehen im Netz zum Verkauf, weil der Kirche die Mitglieder fehlen. Einige Bauwerke zerfallen, andere werden zu Konzerthallen oder Hotels. Aus einer wurde gar eine Zirkusarena.

Manege frei im Kirchenschiff in Großkayna. Das Gotteshaus bei Halle in Sachsen-Anhalt hat als Sakralbau ausgedient und wird seit 2013 vom Zentrum für Zirkus und bewegtes Lernen genutzt. Kinder-Akrobaten bilden im ehemaligen Kirchenschiff Pyramiden, laufen auf Kugeln, jonglieren mit Bällen und werden in Clownerie und Theater unterrichtet.

Das 2000 Quadratmeter große Gelände war für den Verein ein Glücksgriff. Aus der Zeitung hatte man erfahren, dass es für 40 000 Euro verkauft werden soll. »Wir haben ein bisschen verhandelt und dann umgebaut«, sagt Jürgen Wiehl, Geschäftsführer und Zirkusdirektor. Statt kalter Steine im Kirchenschiff wurde ein Holzboden verlegt, erklärt er. Gekocht wird in der ehemaligen Sakristei, Gäste übernachten im Pfarrhaus. Das Gotteshaus ist zum Zirkus geworden, weil den Kirchen die Mitglieder ausgehen.

Statt auf Artisten setzt man in einem ehemaligen Gotteshaus zwischen Aschersleben und Staßfurt auf müde Gäste: Christiane und ihr Mann Klaus Gerner kauften nach der Wende in Warmsdorf eine 1884 erbaute neugotische Kirche. Nach jahrelanger Restaurierung eröffnete das Ehepaar 2009 eine Pension darin. Kirchturmuhren wurden zu Badfenstern, gegessen wird in dem Speiseraum, der sich über dem ehemaligen Altar befindet. 45 Euro bezahlen Übernachtungsgäste für ein Einzelzimmer und für die Erfahrung »Übernachten in einer Kirche«.

Werden Sakralbauten nicht mehr gebraucht, entscheiden sich die Gemeinden oft für einen Verkauf. Vorbei die Zeiten, in denen Kneipensäle zu provisorischen Kirchen umgebaut wurden. Das war nach 1945, als Hunderttausende von Katholiken in das Erzbischöfliche Kommissariat Magdeburg flüchteten. Vom privaten Wohnhaus bis hin zur Pension ist heute alles möglich. Nicht erwünscht ist die Nutzung als Bordell, Disco oder Kneipe. Das legt die katholische Kirche vertraglich fest, bestätigt Thomas Lazar, Sprecher des Bistums Magdeburg. Hauptsache kein Abriss, denn viele Kirchen stehen unter Denkmalschutz.

Neben dem katholischem Bistum verkauft auch die evangelische Landeskirche Anhalt Immobilien, weil sich Pastoren heute um mehrere Gemeinden kümmern, sagt Sprecher Joahnnes Killyen. Kirchen werden eher verpachtet, wie die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Dessauer Marienkirche. Von 1945 bis zur Sanierung 1990 standen lediglich die Grundmauern - ein Schandfleck für die Stadt, die das Gebäude übernahm und sanieren ließ. 1998 wurde mit Big-Band-Sound der neue Veranstaltungsort der Stadt eröffnet, in dem regelmäßig mehr als 300 Gäste Platz finden.

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Kirchen zu Konzerthallen werden. Seit fast 40 Jahren treten Künstler in der Ulrichskirche in Halle auf. Im Jahr erklingen dort bis zu 150 Konzerte. Chöre von den Philippinen reisten an, und im Dezember Schlager-Sternchen Stephanie Hertel. In Magdeburg wurde die Johanniskirche ein Veranstaltungsort - zeitweise tagte dort sogar der Landtag. In der Beunaer Hoppenhauptkirche (Saalekreis) werden neben Konzerten auch Tanz- und Malkurse im Kirchenschiff veranstaltet. Das Heimatfest des 1000-Einwohner-Ortes wird in dem ehemaligen Gotteshaus gefeiert, genauso wie das Oktoberfest. »Die Kirche ist zum Zentrum der Gemeinde Beuna geworden«, sagt Ronny Schöbel. Er ist Mitglied in dem Verein, der sich um die Barockkirche kümmert. Diese wurde 1725 erbaut, 1961 an die Katholische Kirche verkauft und verfiel anschließend - auch durch Erschütterungen, die 1989 vom Einsturz einer Kaligrube bei Völkershausen ausgingen. 2004 begann der Verein mit der Rettung der Kirche, weil seine Mitglieder an das Projekt glaubten - ganz ohne Religion.

Noch offen ist, was aus einem barocken Schmuckstück in Stöbnitz (Saalekreis) wird. Seit Ende letzten Jahres steht die Immobilie zum Verkauf. Architekten, die sich verwirklichen möchten, oder Künstler, die die Kirche als Atelier benutzen könnten, wären vorstellbar, sagt Simone Wilke vom Kreiskirchenamt Merseburg. Sie vermittelt zwischen Interessenten und der Gemeinde. Doch bisher liegen kaum Angebote vor. dpa/nd

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