Letzte Ruhe in zwei Speckgürteln

Von Nuthetal aus pendeln viele Einwohner zur Arbeit nach Berlin oder Potsdam

Der Berliner Speckgürtel wird mit jungen Familien assoziiert. Doch in der Gemeinde Nuthetal spielen Altern und Vergänglichkeit eine Rolle - nicht nur, weil sich dort der Friedwald Parforceheide befindet.

»Unsere Zukunft ist ein Märchenwald«, erklärt Forstingeurin Johanna Krause. Hier gehe es nicht darum, gleichförmig große Bäume mit dicken Stämmen wachsen zu lassen, um das Holz später zu Geld zu machen. Schön soll der Wald sein, möglichst romantisch aussehen. Wiedererkennbare Bäume sind gefragt, die sich auf individuelle Weise verzweigt haben. Mit einem Kollegen betreut die 33-jährige Krause den Friedwald Parforceheide. Dort werden seit dem Jahr 2012 Urnen unter Bäumen beigesetzt. Mehr als 50 derartige Standorte unterhält die Friedwald GmbH deutschlandweit - als Alternative zur Bestattung auf einem klassischen Friedhof.

Vielen naturverbundenen Menschen gefällt der Gedanke, dereinst in einem Wald die letzte Ruhe zu finden. Es werde auch wirklich die letzte Ruhestätte sein, betont die zierliche Friedwaldförsterin Krause. Diese Gewissheit besteht auf Friedhöfen selten und nie zu 100 Prozent. Aber die speziellen Urnen zerfallen an den Wurzeln, so dass eine Umbettung im Friedwald bereits nach kurzer Zeit nicht mehr möglich sei, erläutert Krause.

Der Friedwald Parforceheide befindet sich nahe der Autobahnabfahrt Potsdam-Drewitz bei Philippsthal. Das Dorf Phillipsthal gehört zur Gemeinde Nuthetal, so wie Bergholz-Rehbrücke, Fahlhorst, Nudow, Saarmund und Tremsdorf. Bei der Gemeindegebietsreform 2003 wurden die sechs Orte zusammengelegt. Nuthetal ist in mancher Beziehung eine Gemeinde wie viele andere auch, aber in gewisser Hinsicht dennoch ungewöhnlich.

Denn Nuthetal liegt nicht allein im Berliner Speckgürtel, sondern zugleich im Speckgürtel der Landeshauptstadt Potsdam. Viele Einwohner pendeln zur Arbeit. Die einen fahren dazu nach Osten in die Bundeshauptstadt, die anderen nach Norden, wo Bergholz-Rehbrücke an Potsdam grenzt. Es gibt außerdem einen kleinen Pendlerstrom in die umgekehrte Richtung. Denn die Mitarbeiter der Institute für Ernährung und Getreideverarbeitung leben heute meist nicht mehr in Bergholz-Rehbrücke, wie das früher oft der Fall gewesen ist.

Weniger als 5000 Einwohner lebten 1990 in Bergholz-Rehbrücke und in den umliegenden Dörfern. Heute seien es knapp 8800, erklärt Bürgermeisterin Ute Hustig (LINKE). Der sprunghafte Anstieg in den 1990er Jahren ist typisch für eine Gemeinde im Berliner Speckgürtel. Aber das Bevölkerungswachstum ist in Nuthetal jetzt an Grenzen gestoßen. Wohnungen sind nur noch schwer zu finden, Eigenheimgrundstücke auch nicht einfach zu haben. Die Gegend ist Wasserschutzgebiet. Das lässt eine Ausdehnung kaum zu. Saarmund wächst noch, Bergholz-Rehbrücke hält seine Einwohnerzahl. Die Dörfer schrumpfen. Dort geht es zu wie in ländlichen Regionen. Damit der Rufbus kommt, muss man sich vorher rechtzeitig als Fahrgast anmelden.

Man sieht es schon an den Häusern. In Nuthetal wohnt die Mittelschicht. Hier leben nicht die Superreichen und nur vergleichsweise wenige arme Menschen, deren Sorgen die Bürgermeisterin aber im Blick hat. Die Arbeitslosenquote beträgt nur zwei Prozent. »Das ist praktisch Vollbeschäftigung«, sagt Hustig. Gesucht werde auf dem Wohnungsmarkt trotzdem alles, von der Sozialwohnung bis zum gehobenen Standard.

Die fünf Kindertagesstätten und die zwei Grundschulen in Nuthetal sind voll belegt. Es müsse abgewartet werden, ob in Zukunft zusätzliche Kitas und Schulen gebraucht werden, sagt die Bürgermeisterin: »Im Moment ist es nicht notwendig.« Es ziehen zwar noch junge Familien her, aber längst nicht mehr so viele wie in den 1990er Jahren. Die Eltern, die damals gekommen sind, wohnen heute oft allein. Ihre Kinder sind erwachsen geworden und stehen auf eigenen Füßen. Sie sind in der Regel weggezogen. Denn für Berufsanfänger, die sich ein Eigenheim noch nicht leisten können oder wollen, gibt es in Nuthetal fast keine Quartiere. So kommt es, dass sich die Gemeinde im doppelten Speckgürtel auf einen demografischen Wandel einstellen muss, mit dem man bisher in Brandenburg alle möglichen Gegenden, nicht jedoch das Berliner Umland verbunden hat. Die Einwohnerschaft wird insgesamt älter und älter. Irgendwann werden mehr und mehr von ihnen Barrierefreiheit für ihren Rollator benötigen oder ins Pflegeheim müssen. Auch der Gedanke an die letzte Ruhestätte rückt dann unweigerlich ins Blickfeld.

Ab 490 Euro kostet zum Beispiel einer von bis zu zehn Plätzen an einem der Bäume im Friedwald Parforceheide. Die Friedwald GmbH hat das 23 Hektar große Gelände für 99 Jahre gepachtet und als Friedhof im Grundbuch eintragen lassen. Jetzt können hier noch 76 Jahre lang Urnen beigesetzt werden. Für einen Familienbaum, der mit einem Familiengrab vergleichbar ist, müssen 3350 Euro hingelegt werden.

Mit farbigen Bändern markiert sind die Bäume, die noch zu haben sind. Begehrt seien vor allem Buchen, gar nicht mal die stolzen Eichen, wie man vielleicht denken würde, erzählt Krause. Sie vermutet, dass das auch ein wenig mit den Schlagzeilen zu tun hat, die der Schädling Eichenprozessionsspinner gemacht hat. Die junge Mutter von zwei Kindern biegt von einem der Wege ab und zeigt eine Besonderheit - einen Sternschnuppenbaum. Hier besteht die Möglichkeit, an Totgeburten zu erinnern oder an Babys, die nur Stunden, Tage, Wochen oder wenige Monate lebten. Auch die Asche von Kindern, die in einem Hospiz an einer schweren Krankheit starben, liegt hier. Für die Plätze am Sternschnuppenbaum berechnet die Friedwald GmbH nichts. In solchen Fällen sind von den Angehörigen nur die Bestattungskosten zu tragen.

Johanna Krause ist eine sehr einfühlsame Frau. Aber am Sternschnuppenbaum ist es selbst in ihrer Begleitung schwer, die Fassung zu bewahren. So tröstlich die Friedwaldidee auch ist, in diesem Stück Märchenwald überlagern Trauer und Verzweiflung alle anderen Gefühle.

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