Der Angeklagte

PERSONALIE

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 2 Min.

Über 20 Jahre Haft für den ukrainischen Regisseur Oleg Senzow hat ein russischer Staatsanwalt gefordert. Das Gericht hat Spuren mutmaßlicher Misshandlung mit »sadomasochistischen Praktiken« Senzows erklärt. »Terrorismus« soll dieses skandalöse Verfahren rechtfertigen, an diesem Dienstag wird das Urteil erwartet.

Senzow, der sich stark für den gewalttätigen Maidan-Aufstand gegen eine gewählte Regierung engagierte, soll im März 2013 Anschläge auf der Krim geplant haben. Der 39-Jährige, dem die Anklage Nähe zum »Rechten Sektor« unterstellt, streitet dies ab. Das Echo ist groß: Staatschefs, Organisationen, prominente Künstler und fast die gesamte westliche Presse fordern die Freilassung Senzows - und sind sich sicher: Die Anklage sei »fabriziert«.

Es geht um strafrechtliche Vorwürfe, die nichts mit der künstlerischen Tätigkeit des Regisseurs (»Gamer«, 2012) zu tun haben. Die begründete, aber höchst allgemeine Vermutung zu äußern, die russischen Gerichte seien gelenkt, hilft nicht weiter. Denn um den konkreten Vorgang zu beurteilen, müsste man Details von Anklage und Verteidigung kennen, die die westlichen Medien nicht liefern: Hat Senzow für den Tag ein Alibi? Sind die Zeugen, die ihre Aussagen teils zurückgezogen haben, vertrauenswürdig? Wurden sie gefoltert? Wer Senzow aber für unschuldig erklärt, nur weil Russen ihn anklagen, handelt ebenso unredlich wie das dortige Gericht.

Da ist es bemerkenswert, wenn Deutschlandradio Kultur im Einklang mit den großen deutschen Medien verkündet: »Der gesunde Menschenverstand sagt: Dieser Mann ist unschuldig.« So eine von der (unbekannten) Beweislage entkoppelte Empathie können »Terrorverdächtige« außerhalb Russlands kaum erwarten.

Wenn der Maidan-Aktivist Senzow im Zuge des brutalen Maidan-Chaos militante Aktionen geplant haben sollte, was laut Anwälten unbewiesen ist - so widerspräche das eben nicht dem gesunden Menschenverstand, es wäre angesichts der Umsturzzeiten aber wohl kein Terrorismus. Und es rechtfertigt schon gar kein unwürdiges, verdächtiges Verfahren.

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