Die Länder werden »überrannt, überfordert und allein gelassen«

UNO warnt vor ernsthaften Bedrohungen für Flüchtlinge auf dem Balkan / Eine Million Euro Soforthilfe des Auswärtigen Amts

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie sind zu Tausenden auf der »Balkan-Route« gen Mitteleuropa unterwegs. Viele Flüchtlinge hoffen, noch aus Serbien über die Grenze nach Ungarn zu kommen, bevor der neue Stacheldrahtzaun dicht ist.

Mehr als 1000 Nahost-Flüchtlinge verbrachten die Nacht zum Mittwoch unter freiem Himmel in zwei Parks unweit der beiden Bahnhöfe von Belgrad. Verzweifelt hoffen sie dort auf eine Verbindung nach Norden zur ungarischen Grenze. Längst sind die Balkan-Länder zu einer der wichtigsten Transitrouten für Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten geworden. Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex reisten so allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres rund 102 000 Migranten in die Europäische Union ein - im Vorjahreszeitraum seien es lediglich 8000 gewesen. Während Ungarn fieberhaft an einem Grenzzaun arbeitet, rief Mazedonien in der Vorwoche angesichts des Ansturms an seiner Grenze zu Griechenland den Ausnahmezustand aus. Mit Gewalt trieben die Sicherheitskräfte Tausende Flüchtlinge zurück. Inzwischen sind die Grenzen wieder geöffnet.

27 000 der 44 000 der »illegalen Einwanderer« an der Südwestgrenze der EU stammten laut Frontex aber auch vom Balkan selbst. Dusan Reljic von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin nennt die Ursachen: eine »desaströse« Wirtschaftslage in der Region mit hoher Arbeitslosigkeit, null Wachstum und ausbleibenden Investitionen. So sei etwa der Durchschnittslohn in Mazedonien mit 350 Euro niedriger als in China. Ohne Aussicht auf einen baldigen EU-Beitritt und die Besserung ihrer Lage versuchen vor allem die Ärmsten mit allen Mitteln, ins gelobte EU-Land zu gelangen.

Das alles ist eine gefährliche Melange. »Die Staaten im Westbalkan sind überrannt, überfordert und alleine gelassen«, weiß auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz. Allein in den vergangenen Tagen haben über 7000 Menschen - zumeist Syrer - von Mazedonien aus Serbien erreicht. Wobei sich im griechisch-mazedonischen Grenzgebiet zunehmend auch andere Migranten fälschlich als Syrer ausgeben, weil sie hoffen, so bessere Chancen für ein Aufnahme in EU-Staaten zu haben.

Es sei nicht auszuschließen, dass sich die Situation auf dem Balkan zu einer Krise mit »ernsthaften Bedrohungen für die Sicherheit und Gesundheit der Flüchtlinge« auswachse, warnte jetzt der Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) in Belgrad. Angesichts der Notlage Tausender Flüchtlinge werfen UN-Vertreter Brüssel eine verfehlte Migrationspolitik vor. Die EU-Staaten müssten sich endlich zu einer solidarischen Teilung der Lasten durchringen. Vor allem brauchten jene Länder Hilfe, deren Möglichkeiten erschöpft seien, so UNHCR-Sprecherin Melissa Fleminge, die namentlich Griechenland, Mazedonien und Serbien nannte.

Zäune, Tränengas und andere Formen der Gewalt gegen Asylsuchende könnten ebenso wenig wie Festnahmen, die Verweigerung von Obdach, Nahrung und Wasser oder Drohungen und Hassreden Migranten davon abhalten, nach Europa zu kommen, warnte François Crépeau, UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten. Die eine Million Euro Soforthilfe, die das Auswärtige Amt in Berlin am Mittwoch für Flüchtlinge in Serbien und Montenegro zur Verfügung stellte, sind da nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal