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Politik der geschlossenen Grenzen

Kanzlerin Angela Merkel will schärferes Vorgehen gegen Flüchtlinge in der EU-Peripherie

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
In einem TV-Interview hat Kanzlerin Angela Merkel auf die Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik geantwortet. Besondere Bedeutung hat für sie die Abschottungspolitik an den EU-Außengrenzen.

Angela Merkel will vorerst keine Veränderungen in der Flüchtlingspolitik vornehmen. In der nach ihrer Moderatorin benannten ARD-Sendung »Anne Will« sagte die Bundeskanzlerin am Mittwochabend einmal mehr: »Wir schaffen das, da bin ich ganz fest von überzeugt.« Ihren TV-Auftritt nutze die CDU-Vorsitzende vor allem, um bei den Bürgern um Geduld zu werben und auf ihre parteiinternen Kritiker zu antworten. Merkel lehnte Forderungen nach einem Aufnahmestopp oder Schließung der Grenzen, die auch in der Union erhoben worden sind, ab. Auch die Behauptung, sie betreibe eine »Politik der offenen Grenzen«, die 34 CDU-Funktionäre in einem Brief aufgestellt hatten, wies die Kanzlerin zurück. Sie sagte, dass die EU-Außengrenzen zwischen Griechenland und der Türkei sowie zwischen Italien und Libyen nicht richtig geschützt würden. Diese Situation müsse nun »politisch bewältigt« werden.

Im Klartext bedeutet dies, dass die Flüchtlinge nach dem Willen der Großen Koalition möglichst schon an der Einreise nach Europa gehindert werden sollen. Zu diesem Zweck wird die Bundesregierung bald Gespräche mit der Türkei aufnehmen. Das bestätigte der Kanzleramtsminister und neue Koordinator der Bundesregierung für die Flüchtlingspolitik, Peter Altmaier, am Donnerstag im ARD-»Morgenmagazin«. Man werde mit der Regierung in Ankara darüber reden, ob es »eine Alternative für den ungeordneten Strom von Flüchtlingen« gebe, die derzeit unter anderem über die Türkei nach Deutschland kommen, sagte der CDU-Politiker.

Die Europäische Union will die Türkei motivieren, sechs Flüchtlingslager für weitere zwei Millionen Flüchtlinge zu schaffen und an der Abriegelung der EU-Außengrenze mitzuwirken. Das würde auch bedeuten, dass Flüchtlinge notfalls mit Gewalt von der Reise abgehalten werden. Zudem dürfte sich die Situation in dem Land, wo bereits rund zwei Millionen Flüchtlinge leben, die zumeist aus Afghanistan, Irak und Syrien stammen, weiter verschärfen. Im Gegenzug sollen zuvor definierte Kontingente an Schutzsuchenden aus der Türkei nach Europa ausgeflogen werden. Auch soll die Türkei trotz Menschenrechtsverletzungen, unter denen oppositionelle Politiker, Medien und Aktivisten leiden müssen, künftig als »sicherer Herkunftsstaat« gelten.

Die Bundesregierung plant außerdem, viele Asylbewerber hierzulande durch drohende Leistungskürzungen und schnellere Abschiebungen abzuschrecken. Entsprechende Gesetzesänderungen sollen nächste Woche von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Oppositionspolitiker und Menschenrechtsorganisationen bewerten die Maßnahmen als verfassungswidrig. Von Anne Will wurden diese heiklen Themen im Interview mit Angela Merkel hingegen nicht angesprochen.

Immerhin räumte die Kanzlerin ein, dass die in Europa geltende Dublin-Regelung, wonach Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen müssen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben, »nicht mehr tragfähig« sei. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass die Fluchtrouten der zahlreichen Menschen, die derzeit in die Bundesrepublik kommen, nicht genau überprüft werden können. Diese Aufgabe würde die Verwaltung schlicht überfordern.

Während die engere CDU-Führung Merkel ihre Unterstützung zusicherte, forderten CSU-Politiker erneut ein noch härteres Vorgehen gegen Flüchtlinge. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte im Südwestrundfunk, wenn die Dublin-Regel nicht mehr funktioniere, müsse das Grundgesetz den Ausschlag geben. Dort sei seit 1993 festgehalten, dass Flüchtlinge aus »sicheren Drittstaaten« in Deutschland keinen Anspruch auf politisches Asyl hätten. Bayern erwägt derzeit, Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze zurückzuweisen.

Politiker von SPD und Linkspartei kritisierten, dass Merkel keine Konzepte präsentiert habe. »Der Appell der Kanzlerin zur Zuversicht sollte endlich mit konkreten Inhalten gefüllt werden«, forderte die LINKE-Innenpolitikerin Ulla Jelpke. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi warf Merkel vor, lediglich »kurzfristig zu agieren und auf Sicht zu fahren«.

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