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Merkel muss Stehvermögen beweisen

Georg Fülberth über den scharfen Wind, der der Bundeskanzlerin aus den eigenen Reihen ins Gesicht bläst

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 4 Min.

Vielleicht dauert es nicht mehr lange, und irgendwo findet eine linke Solidaritätsdemonstration für Angela Merkel statt. Wäre sie in der SPD, dann wäre das wohl schon längst passiert - wie im April 1972 vor dem Misstrauensantrag der CDU/CSU gegen Willy Brandt.

Wer die Kanzlerin kritisieren will, hat auch jetzt Anhaltspunkte genug: Die Unternehmen freuen sich auf Fachkräfte, die nach Deutschland flüchten müssen. Wie immer beim Zuzug ausländischer Arbeitskräfte gibt es bei Gewerkschaftern hinter vorgehaltener Hand Bedenken: Ein erhöhtes Angebot kann die Löhne drücken. Merkel macht deutlich, dass eine europäische Lösung gesucht werden muss, also sind auch andere Länder in die Pflicht zu nehmen. Wenn es denen zu viel wird, könnte ihr wieder einmal ein imperialistisches Diktat vorgeworfen werden, so wie in der Frage der griechischen Schulden. Zur Abwechslung wäre das dann ein Imperialismus mit menschlichem Antlitz. Feinde und Verächter der Zeitung mit den großen Buchstaben werden darauf hinweisen, dass zumindest im September die Kanzlerin in eine Kampagne einfunktioniert war, zu der auch die geschmacklose Eigenwerbung des Blattes in Fußballstadien (»Wir helfen - BILD«) gehörte.

Das ist alles wahr. Die Flüchtlinge, die Fotos der Kanzlerin wie Heiligenbilder vor sich hertragen, sehen das anders. Vielen von ihnen wird geholfen. Das liebliche Image ist jedenfalls kein ärgeres Zerrbild als das Konterfei der Kanzlerin mit Hitler-Bärtchen auf Demonstrationen in Athen.

Erstmals in ihrer Karriere muss Merkel Stehvermögen beweisen. Sie galt als Surferin auf den Wellen wechselnder Gelegenheiten bis hin zum Vorwurf des Opportunismus. Jetzt hat sie gegen anschwellende Opposition in der eigenen Partei - also nicht nur in der CSU - zu kämpfen. Wer will, kann Arbeitsteilung unterstellen: Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und seine Gesinnungsgenossen in der CDU versuchen den rechten Rand zu halten und ein Wegrutschen zur AfD zu verhindern. Merkel tut, was aus ihrer Sicht ökonomisch, bevölkerungspolitisch und moralisch notwendig ist. (Wenn diese drei Dinge einmal zusammenpassen, ist das doch auch schön.) Dabei ist sie in den Kernaussagen gar nicht so weit von Seehofer weg. Auch sie stellt klar, dass Deutschland nicht alle aufnehmen kann. Wer ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen komme, könne nicht bleiben. Aber anders als Seehofer sagt Merkel dies alles freundlich. Wenn sie darauf hinweist, dass Asylrecht keine Obergrenze hat, spricht sie nur aus, was im Grundgesetz steht. Unabhängig davon legitimiert sie die harte Hand gegen diejenigen Flüchtlinge, die weder aus Kriegsgebieten kommen noch nachweisbar politisch verfolgt werden. Dazu gehören auch schnellere Abschiebungen.

Wahrscheinlich wird Merkel durchkommen, auch wenn zurzeit ihre Umfragewerte sinken. Dass das Kapital sich nicht gegen sie wendet, scheint sicher, also ist ihr Risiko begrenzt. In der CDU bleibt sie alternativlos. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wird im Grunde nur noch durch sie in einem Amt gehalten, in dem er von Tag zu Tag mehr abwirtschaftet. Ursula von der Leyen (ebenfalls CDU) hat gegenwärtig andere Probleme und befindet sich schon im Abstieg, seit sie das Verteidigungsministerium übernahm.

Und außerhalb der Union? Die SPD …

Interessanter ist, was auf lange Sicht aus der CDU wird. Als Edmund Stoiber (CSU) einst vor einer kinderlosen, geschiedenen Protestantin aus dem Osten warnte, ahnte er etwas. Zumindest nördlich der Mainlinie verlor die CDU viele konservative Merkmale. Manche sprechen von einer Sozialdemokratisierung der Union und zeigen dabei ein merkwürdiges, nämlich neoliberales und insofern seit Gerhard Schröder doch auch zutreffendes Bild von der SPD. So könnte die Union zur Volkspartei allerneuester Art werden: zu einer Formation der allgemeinen, auch der linken Mitte. Allerdings muss sie das wohl in ihrer Breite noch merken (und wollen).

Was aber geschieht, falls die Union große Verluste hin zu AfD und Pegida erleidet? Wenn Merkel hier scheitert, könnte ihre Partei irgendwann sogar zu einer Koalition mit der AfD bereit sein, ohne sie. Dann würde es finster. Nötig ist deshalb schon jetzt eine breite Mobilisierung gegen Rechts. Die Union hat nicht das Potenzial dafür. Das wäre doch eine hübsche Aufgabe für die neuen Merkel-Fans auf der Linken.

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