Wenn Platzhirsche gehen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Man kann es beklatschen, man kann es beklagen, ändern kann man es nicht: Mit den letzten zwei Platzhirschen Thomas Gottschalk und Stefan Raab wird der Unterhaltungswald so arm an Zwölfendern, dass nur noch Kleinvieh vom Schlage eines Florian Silbereisens herum hüpft. Nun verlässt ihn auch noch einer, der das Lagerfeuer der Republik seit 25 Jahren schürt: Gregor Gysi, der abgesehen von seiner politischen Arbeit als Talkshow-Inventar und Tagesschau-Berserker in Erinnerung bleibt, der die Debattenkultur um etwas bereicherte, das seinen Kollegen so fremd ist wie Sat1 Niveau: Selbstironie. Die ist schon lang keine Kernkompetenz nachwachsender TV-Pflanzen mehr - was im Herbst 2016 kaum besser werden dürfte, wenn der Kulturkanal von ARD/ZDF online geht. Eigentlich keine schlechte Idee, würde zum Ausgleich neben Eins Plus nicht auch ZDFkultur vom Bildschirm verschwinden, der letzte frei empfangbare Kanal mit Musik abseits von Oper und Schlager. Es wird ein schwarzer Tag für die Popkultur mit mehr Anspruch als Volks- und Hochkultur, wenn die öffentlich-rechtliche Zielgruppe unter 50 vollständig ins Netz wandert.

Dort also, wo seit Monaten Vorfreude herrscht auf den kommenden Mittwoch. Dann schreiben wir den 21. Oktober 2015, also exakt jenen Tag, an dem Marty McFly vor 26 Jahren »Zurück in der Zukunft« flog. Zum Datumseintritt zeigt RTL2 den 2. Teil, der eigentlich »Spaceman from Pluto« oder so heißen sollte. Kabel1 hingegen sollte besser »Kabel 1800« heißen, angesichts des reaktionären Entertainmentmülls, der dem Privatsender zeitgemäß erscheint: Die Heimwerker-Dokusoap »Mein Mann macht das!« feiert die Geschlechtermuster von vorvorgestern ab Montag so hingebungsvoll, dass als Fortsetzung nur noch »Mein Mann schlägt mich, aber ich hab’s auch verdient« fehlt. Die CSU sähe gewiss kollektiv zu.

Mittwoch dagegen dürfte sie abschalten, wenn ein lesbisches Abenteuer Ina Weisse als Mutter des ARD-Films »Ich will dich« aus ihrer bürgerlichen Architektenidylle reißt. Noch realistischer als das sehenswerte Familiendrama ist die 3sat-Doku »Wenn Wohnen unbezahlbar wird« (Freitag, 20.15 Uhr), womit sich die Protagonisten reicher Wattewelten eher selten plagen müssen. Anders sieht es da mit den »Schattenseiten der Mode« (Dienstag, 20.17 Uhr, Arte) aus, denn Arte schildert nicht nur die Produktionsbedingungen von KiK, sondern auch mancher Edelmarke.

Mittig zwischen Fiktion und Wirklichkeit steht die Fake-Doku »Öl« (Mittwoch, 22.45 Uhr, ARD), wo sich zwei Reporter auf die Spur der geheimen DDR-Förderung begeben - was während des Drehens von der Wirklichkeit eingeholt wurde, als Regisseur Niki Stein an Mecklenburgs Ostsee auf echte Öl-Sucher des US-Konzerns Halliburton stieß. Was Dichtung, was Wahrheit ist, wird aber nirgends lustiger ad absurdum geführt als bei Bernd Stromberg. Zum Serienfinale feiert die Belegschaft des selbstgerechten Versicherungsvertreters in Kinolänge auf Pro7 Firmenjubiläum, was so verstörend echt wirkt, wie die fünf Staffeln zuvor.

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