»Wir wollen die Region an Bord holen«

Radikale Kohlegegner wollen über Pfingsten einen Tagebau in der Lausitz besetzen und versuchen mit ihrem Aktionskonsens, Ängste vor Ort zu zerstreuen

  • Susanne Schwarz
  • Lesedauer: 3 Min.
Das bundesweite Anti-Kohle-Bündnis »Ende Gelände« plant die Besetzung eines Vattenfall-Tagebaus in Brandenburg. Manch »alten Hasen« des lokalen Kohlewiderstands bereitet das Sorgen.

Der Plan steht. »Am Pfingstwochenende 13. bis 16. Mai werden wir gemeinsam mit vielen Menschen durch Aktionen des zivilen Ungehorsams den reibungslosen Ablauf in einem Tagebau des Lausitzer Braunkohlereviers mächtig durcheinanderbringen«, heißt es im Aktionskonsens, den die Anti-Kohle-Aktivisten des Aktionsbündnisses »Ende Gelände« bei einem Treffen am Wochenende beschlossen haben. Sprich: Man will einen der Lausitzer Vattenfall-Tagebaue besetzen und so den Betreiber dazu bringen, den Betrieb zeitweise zu stoppen.

Schon im vergangenen Sommer hatte sich »Ende Gelände« mit mehr als 1000 Klimaaktivisten Zutritt zum rheinischen RWE-Tagebau Garzweiler verschafft. Die Aktion machte Schlagzeilen, nicht zuletzt wegen des riesigen Polizeieinsatzes mit Unterstützung von RWE-Sicherheitskräften. Was die Kohlegegner einen Akt zivilen Ungehorsams nannten, sahen RWE und Polizei als schlichten Hausfriedensbruch. Die Aktivisten kritisierten das Verhalten der ihnen zahlenmäßig fast ebenbürtigen Beamtenschaft als gewalttätig. Auch Journalisten berichteten später davon, von Polizisten verletzt, des Geländes verwiesen oder sogar gefesselt worden zu sein.

Die diesjährige Besetzung soll im Mai während des Lausitzcamps stattfinden. Jedes Jahr treffen sich Klimaaktivisten aus ganz Deutschland und von vor Ort in einem Dorf der Gegend im südlichen Brandenburg, zelten dort für ein paar Tage, tauschen sich aus und demonstrieren. Dass ziviler Ungehorsam dabei eine Rolle spielt, ist neu. Nicht alle der »alten Hasen« sind von den Großplänen begeistert: Manchen Lausitzer Initiativen ist die Aktion zu radikal. Sie befürchten, dass die Stimmung in der Region zu ihren Ungunsten kippen könnte, sollte es Eskalationen geben. Außerdem stoßen sie sich an der Ende-Gelände-Forderung, jetzt und sofort aus der Kohleverstromung auszusteigen. Das sei nicht realistisch, so die Argumentation. Es fehle dann auch an Zeit, vor Ort neue wirtschaftliche Strukturen aufzubauen.

Der Thinktank Agora Energiewende sowie die Umweltschützer von Greenpeace schlagen einen Kohleausstieg bis 2040 vor. Sofort alle Kraftwerke abschalten - das fordert außer »Ende Gelände« kaum jemand.

»Wir haben in den Aktionskonsens einige Passagen aufgenommen, um Ängsten zu begegnen«, betonte Ende-Gelände-Mitglied Jonas, der an der Ausformulierung mitgearbeitet hat. Dazu gehöre, dass die Besetzung von den Aktivisten aus gewaltfrei verlaufen soll - weder Menschen noch der Vattenfall-Besitz sollen geschädigt werden. »Ich kann mir vorstellen, dass sich viele hier im Raum einig sind, dass man Braunkohleinfrastruktur aus Protest sehr wohl beschädigen darf«, sagte Jonas. »Bei dieser spezifischen Aktion soll es so etwas aber nicht geben.« Ziel ist, dass die Skeptiker nach der Aktion überzeugt sind und beim nächsten Mal mit an Bord sind.

Das Treffen in Berlin nutzte »Ende Gelände« auch für die Diskussion breiterer Richtungsfragen. »Break free« möchte die deutschen Aktivisten nämlich gern dabei haben. Die Kampagne wurde von der großen, international tätigen Umweltorganisation 350.org gestartet und sammelt Initiativen, die sich gegen fossile Energiequellen einsetzen.

Die Aktivisten sind geteilter Meinung, auch wenn sie sich eigentlich alle gern international vernetzen würden: »Eine sehr wichtige Person für 350.org, der frühere Chef Bill McKibben, verteidigt den grünen Kapitalismus«, empörte sich Aktivist Wim in einer Diskussion zum Thema. »Mir fehlt die Systemkritik.« Das sehe sie ähnlich, ergänzte eine französische Mitstreiterin, die zu Gast war, und kommt doch zu einem anderen Schluss. Im Vorfeld des Weltklimagipfels in Paris hat sie die Erfahrung gemacht, dass 350.org den lokalen Bewegungen strategisch geholfen habe. »Schon allein das Geld und die Macht der großen Organisation, wenn Aktivisten rechtliche Probleme bekommen, sprechen für eine Zusammenarbeit«, findet sie. Und derartige Hilfe könne eine Bewegung, die bald wieder ohne Erlaubnis das Gelände eines Riesenkonzerns stürmen will, durchaus schnell gebrauchen.

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