Mit Rotgrün gegen Rassisten?

Bündnisse gegen Rechts: Zur Debatte in der Linkspartei nach den Wahlerfolgen der AfD. Ein Beitrag von Heino Berg und Yannic Dyck

  • Heino Berg und Yannic Dyck
  • Lesedauer: 15 Min.

In seinem Debatten-Beitrag »Den Keil ansetzen« verteidigt Stefan Bornost den Vorschlag des Netzwerks Marx 21, dem Aufstieg der AfD ein »breites Bündnis« unter Einbeziehung von führenden Vertretern von SPD und Grünen entgegenzustellen, gegen die Kritik des SAV-Bundessprechers Sascha Stanicic. Als Landessprecher der AKL und der Linksjugend Niedersachsen möchten wir dazu Stellung nehmen und zur Debatte darüber beitragen, wie und mit wem die AfD wirksam bekämpft werden kann.

Zum Charakter der AfD

Zwar ist die AfD nach ihrem Bruch mit dem Lucke-Flügel unübersehbar weiter nach rechts gerückt und beherbergt nicht wenige neofaschistische Gruppierungen und Mitglieder. Trotzdem darf sie weder in ihren programmatischen Zielen, noch in ihrer Wählerbasis mit einer faschistischen Partei verwechselt werden. Eine faschistische Partei strebt die Zerstörung der parlamentarischen Demokratie und der organisierten Arbeiterbewegung einschließlich der Gewerkschaften an. Dies ist aber nicht das erklärte Ziel der AfD. Sie hat – im Gegensatz zu faschistischen Parteien - keine bewaffneten, terroristischen Fußtruppen, welche die Gewerkschaften, Linke und und antifaschistische Bewegungen physisch attackieren. Außerdem ist sie in ihrer Gesamtstruktur noch kein zentraler Anlaufpunkt für die Faschisten aus NPD, »autonomen Nationalisten«, »freien Kameradschaften« oder andere Nazi-Gruppierungen. Die Tatsache, dass Gauland und andere im Unterschied zu Frauke Petry eine Regierungsbeteiligung der AfD zur Zeit noch ablehnen, ist ein Hinweis auf die taktischen Vorteile einer Oppositions- und Protestpartei, aber keineswegs – wie Stefan Bornost unterstellt – ein direktes Bekenntnis zur Zerschlagung der bürgerlichen Demokratie.

Die AfD verdankt ihre zweistelligen Ergebnisse bei den Landtagswahlen im März nicht zuletzt der Tatsache, dass sie sich als radikale Alternative zu den etablierten Parteien und ihrer Kürzungs- und Verelendungspolitik darstellt. Sie greift die von den Sarrazins, Seehofers und Kochs, von Spiegel, Fokus und Springer-Presse jahrelang geschürte rassistische Stimmung auf und macht Flüchtlinge zu Sündenböcken für staatlich betriebenen Sozial- und Lohnabbau. Dabei distanziert sich der AfD-Parteivorstand aber bewusst von offen faschistischen Äußerungen aus den eigenen Reihen, wie nicht zuletzt der Ausschluss des saarländischen Landesverbandes gezeigt hat.

Die AfD vertritt nationalistische, reaktionäre und ausländerfeindliche Positionen. Sie sind jedoch nicht ihr Alleinstellungsmerkmal. Sie werden von anderen bürgerlichen Parteien wie CDU und CSU ebenso wie von führenden (Regierungs-)VertreterInnen der SPD in abgeschwächter Form durchaus geteilt und durch Abschiebungen, die faktische Abschaffung des Asylrechts und weitere Formen von institutionellem Rassismus praktisch umgesetzt. Die Parteien, Medien und Institutionen der herrschenden Klasse, die sich jetzt moralisch über die AfD echauffieren, haben dafür selbst den ideologischen Nährboden geschaffen – sowohl durch rassistische, nationalistische Stimmungsmache, als auch durch eine Politik der Verarmung und Perspektivlosigkeit, die viele Abgehängte und Marginalisierte der scheinbaren Anti-Establishment-Kraft AfD in die Arme treibt. Trotz ihrer neoliberalen, unsozialen und unternehmerfreundlichen Politik gelingt es der AfD, sich als einzige politische Alternative zu den Systemparteien darzustellen, solange Die LINKE vielerorts durch Anbiederung an das bürgerliche Parteienkartell als Teil desselben wahrgenommen wird.

Ebenso wie SozialistInnen die Unionsparteien nicht mit faschistischen Organisationen gleichsetzen und ihnen die Ausübung von demokratischen Rechten (z.B. bei Demonstrationen oder Parteitagen) verweigern können, wäre es falsch, die WählerInnen der AfD pauschal als Nazis zu attackieren und ihnen Ziele zu unterstellen, zu denen sich nicht einmal die AfD-Führung bekennen möchte, weil eine offen rechtsradikale Ideologie gerade auch in Deutschland eben nur von einer kleinen, allerdings im Zuge der gesellschaftlichen Polarisierung wachsenden Minderheit geteilt wird.
Ausländerfeindliche Ressentiments sind unter den WählerInnen der AfD zweifellos ausgeprägt, weil sie von den bürgerlichen Parteien und ihren Medien systematisch verbreitet werden – aber diese Vorurteile reichen keineswegs aus, um sie kollektiv als »faschistisch« zu bezeichnen. Im Gegenteil: Die meisten WählerInnen der AfD kennen nur Bruchstücke des (noch nicht einmal verabschiedeten) Programms dieser Partei. Sie wissen nicht, dass die AfD keine Politik für die sogenannten »kleinen Leute«, sondern für die großen Unternehmen und Banken betreiben wird. Die AfD wurde als Denkzettel für die etablierten Parteien gewählt. Ihr Aufstieg ist mehr ein negativer Ausdruck der Krise des bürgerlichen Parteiensystems als ein positives Bekenntnis zu den Zielen dieser Partei.

Wenn die AfD aber keine einheitlich faschistische Partei mit politisch gefestigter Wählerbasis ist, dann können wir die AfD-Rassisten und -Nationalisten auch nicht im Bündnis mit anderen Rassisten und Nationalisten, also gemeinsam mit den Kräften wirksam bekämpfen, die durch ihre unsoziale und ausländerfeindliche Regierungspolitik gerade die Unzufriedenheit verursacht haben, von der die AfD mit ihrer Propaganda gegen das »Establishment« so stark profitieren konnte.

Das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«

Der Aufruf für ein »breites Bündnis gegen die AfD« sollte nach Ansicht von Marx 21 ausdrücklich führende VertreterInnen von SPD und Grünen einschließen. Er wird inzwischen neben den Parteivorsitzenden der LINKEN auch durch die Führungsmannschaft der Grünen, also A. Hofreiter, K. Göring-Eckart und S. Peter sowie für die SPD von der Ministerin Schwesig, der Generalsekretärin Barley, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden E. Högl und der Juso-Vorsitzenden J. Ueckermann unterstützt. Nachdem die von Mitgliedern des Bremer Landesvorstandes und der SAV für den Aufruf vorgeschlagene Kritik an »Asylrechtsverschärfungen« sowie die Feststellung gestrichen wurde, dass »RassistInnen die Flüchtlinge als Sündenböcke für zunehmende soziale Ungleichheit und Verunsicherung nutzen wollen«, enthält der Aufruftext keine Forderungen gegen die Abschiebungs- und Umverteilungspolitik der Regierenden. Dies mit dem erklärten Ziel, das Bündnis gegen die AfD für alle ihre Kritiker offen zu halten. Der Aufruf beschränkt sich deshalb auf die Ablehnung von »ausländer- und islamfeindlicher Hetze« und verurteilt »Mordanschläge und Pogrome gegen Geflüchtete« sowie »Obergrenzen und Grenzschließungen«. Das Nein des Aufrufs zu Grenzschließungen ist zu begrüßen, steht aber im Widerspruch zur praktischen Abschottungspolitik der unterzeichnenden Politiker von SPD und Grünen.

Das Bündnis bekennt sich zur Willkommenskultur für Geflüchtete und schlägt eine »bundesweite antirassistische Aufklärungskampagne« vor, ohne mit einem einzigen Wort die menschenverachtenden Gesetze und Abmachungen zu erwähnen, mit denen die Regierungsparteien und die EU mit der türkischen Rechtsregierung diese wohlfeilen Absichtserklärungen ins genaue Gegenteil verkehrt haben. Obwohl die große Mehrheit der über 10.000 online-UnterzeichnerInnen sicher die Abschiebung von Geflüchteten und die Abschottung der Festung Europa ablehnt und die politischen Ursachen für die Fluchtbewegung bekämpfen will, vermeidet der Aufruf jeden direkten Angriff auf die Ausländerpolitik der Regierungsparteien. Auch wenn die VertreterInnen der Union nicht ausdrücklich dazu eingeladen wurden, versteht sich das Bündnis offenkundig als eine klassenübergreifende Plattform für sämtliche Kräfte, welche die AfD als unliebsame Konkurrenz von rechts zurückdrängen und von den parlamentarischen Futtertrögen fernhalten wollen.

Damit nutzt dieses Bündnis jedoch nicht dem Kampf gegen die gesellschaftlichen Grundlagen des Rassismus und dessen staatliche Geburtshelfer, denen die AfD ihren Aufstieg verdankt. Es beklagt zwar die hässlichen Symptome der rechten Seuche, benennt aber nicht ihre Ursachen. Auf dieser schwammigen Grundlage erinnert das Bündnis eher an eine gemeinsame PR-Aktion der Führung von LINKEN, Grünen sowie der Jungsozialisten und der kläglichen Überbleibsel der SPD-Linken. Es wirkt wie eine »breit getragene« Petition an die Herrschenden, aber nicht wie eine handlungsfähige Aktionseinheit, mit deren Hilfe die AfD an der sozialen Frage entlarvt und ihres Nährbodens beraubt werden könnte. Für den aktiven außerparlamentarischen Widerstand gegen die AfD und ihre Vorfeldorganisationen wie Pegida und Co. bleibt dieses Bündnis schon deshalb weitgehend unbrauchbar, weil antirassistische AktivistInnen mit ihren jahrelangen Erfahrungen, Forderungen und Aktionsformen darin keinen Platz finden. Mit einer oberflächlichen Positionierung gegen Rassismus, die sowohl seine sozialen Quellen, als auch die realen Sorgen der Menschen ausblendet, kann jedoch weder die AfD, noch der staatliche Rassismus effektiv bekämpft werden..

Unsere Kritik an Bündnisofferten für bürgerliche Parteien richtet sich keineswegs gegen die Beteiligung von einzelnen Mitgliedern oder auch ganzen Gliederungen von SPD und Grünen an solchen Aktionsbündnissen. Im Gegenteil: Viele Mitglieder und WählerInnen von SPD und Grünen unterstützen diese Parteien nicht WEGEN ihrer neoliberalen und ausländerfeindlichen Politik, sondern TROTZ derselben, weil sie ihnen als kleineres Übel gegenüber anderen bürgerlichen Parteien erscheinen. Deswegen sind die im Aufruf geübten Rücksichten auf die Politik von Gabriel und Kretschmann eine sichere Garantie dafür, in den Augen dieser kritischen WählerInnen und Mitgliederreste von Rotgrün unglaubwürdig und schlicht überflüssig zu wirken. Für die Opfer der rotgrünen und rotschwarzen Konterreformen sind Aktionsbündnisse vor allem dann interessant, wenn sie ihnen die Möglichkeit verschaffen, ihre Wut über die unsoziale Politik dieser Parteien gemeinsam zum Ausdruck zu bringen. Wer entsprechende Forderungen aus Aktionsbündnissen gegen Rechts verbannen will, um die Parteiführungen von SPD und Grünen ins Boot zu holen, ohne ihnen auf die Füße zu treten, macht sie von ihren Parteispitzen abhängig und genau dort handlungsunfähig, wo es auf die praktische Aktionseinheit gegen die AfD und die Pegida-Ableger ankommt, nämlich vor Ort.

Die Legitimationskrise des Kapitalismus und seiner Parteien treibt der AfD massenhaft WählerInnen in die Arme. Die Kürzungs- Kriegs- und Abschiebepolitik von SPD, Grünen, CDU und FDP hat dazu geführt, dass immer mehr Lohnabhängige schlechter leben, niedrigere Löhne bekommen und in unsicheren Arbeitsverhältnissen stecken, während die oberen 10.000 immer reicher werden. Die Aufgabe der LINKEN besteht nicht darin, dem Kapitalismus durch Bündnisse mit seinen Verwaltern aus seiner Krise zu helfen, sondern im Aufbau einer radikalen Systemalternative von links. Hartz IV, Wohnungsnot, staatlicher Rassismus, imperialistische Kriege und die kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse, die ihnen zugrunde liegen, können wir nur gegen ihre rotgrünen Mitverursacher bekämpfen. Das schließt Regierungskoalitionen mit prokapitalistischen Parteien ebenso aus wie Aktionsbündnisse, in denen die LINKE auf den Kampf gegen die sozialen Wurzeln des Rechtsradikalismus verzichten müsste.

Zur Rolle der Gewerkschaften

Stefan Bornost meint in seiner Entgegnung auf Sascha Stanicic, dass Linke die notwendige Unterstützung der Gewerkschaften für ein Bündnis gegen Rechts nur erhalten können, wenn wir auf den Einfluss der SPD-Führung Rücksicht nehmen:»Es ist eine Illusion, dass wir größere Teile der Gewerkschaften in eine Aktionseinheit ziehen können, wenn wir gleichzeitig versuchen, die Sozialdemokratie auszugrenzen – durch die Verwobenheit der Beiden gibt es sie nur im Paket.«

Richtig ist, dass die Gewerkschaften für eine Einheitsfront der Lohnabhängigen unabhängig von ihrer Herkunft und Religion gegen das Kapital und seine Rechtsparteien unverzichtbar sind.
Was wir dabei aber nicht verschweigen dürfen: Mit ihren eigenen Bündnisinitiativen bewirbt die sozialdemokratische DGB-Führung bisher eine »Allianz für Weltoffenheit«, in der Ingo Kramer als Präsident der Arbeitergeberverbände ausdrücklich FÜR die Abschiebung von Geflüchteten eintritt. Das ist das Gegenteil einer Einheitsfront gegen die Rechtsparteien und zeigt, wohin die vorauseilende Rücksicht auf SPD-Funktionäre in den Gewerkschaften führen kann. Das Anti-AfD-Bündnis in Bremen ist nur ein Beispiel dafür, dass Gewerkschaften auch ohne faule Zugeständnisse an die ausländerfeindliche Regierungspolitik von SPD und Grünen für den gemeinsamen Widerstand gegen Rechts gewonnen werden können.

Gerade unter den an der SPD orientierten Gewerkschaftsmitgliedern ist die Enttäuschung über die arbeiterfeindlichen Politik von Gabriel, Nahles und Co. so verbreitet, dass diese für ein Bündnis gegen Rechtsradikale durchaus erreichbaren Menschen bei Wahlen immer häufiger zuhause bleiben oder den »etablierten Parteien« mit der Stimme für die AfD einen »Denkzettel verpassen« wollten. Diese ProtestwählerInnen aus der Arbeiterklasse würden wir »abschreiben« und der AfD dauerhaft in die Arme treiben, wenn wir letzterer ausgerechnet im Schulterschluss mit »etablierten« Kürzungs- und KriegspolitikerInnen entgegentreten wollten.

Die AfD wirbt (durchaus erfolgreich) damit, dass es in den Parlamenten keine wirkliche Opposition mehr gibt, die sich von den Regierungsparteien grundsätzlich unterscheidet. Die LINKE hat besonders dort massiv verloren, wo sie sich mit der SPD an Landesregierungen beteiligt und diesen Eindruck bestätigt hat. Sie stagniert auch in den Bundesländern, wo sie sich weniger als Oppositionskraft, denn als Regierungspartei im Wartestand präsentiert hat. Der Verzicht auf klassische linke (Reform)Forderungen in Anti-AfD-Bündnissen aus Rücksicht auf die SPD-Spitze, obwohl dieser kaum jemand noch soziale Verbesserungen zutraut, wirkt vor diesem Hintergrund wie eine weitere Anbiederung. Der Kampf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wird so von seinem antikapitalistischen Kern getrennt und der notwendige Klassencharakter jeder Einheitsfront bzw. Aktionseinheit in Beliebigkeit aufgelöst.

Die Gewerkschaftsbürokratie hat ihren Auftrag, also die Verteidigung der sozialen und demokratischen Rechte der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung, immer wieder der Rücksicht auf die politischen Vorgaben aus dem SPD-Apparat geopfert. Dasselbe gilt für die konsequente Mobilisierung gegen Rechtsradikale und deren Aufmärsche, die ja nicht nur kritisch begleitet, sondern - wo möglich - blockiert und verhindert werden sollten. Die LINKE würde diejenigen Gewerkschaftsmitglieder und -gliederungen, die sich trotzdem an Blockaden und Gegendemonstrationen beteiligen, demonstrativ im Regen stehen lassen, wenn sie den Widerstand auf der Straße und in den Betrieben vom Okay der SPD-Führung abhängig machen würde, weil SPD und Gewerkschaften laut M21 nur »im Paket zu haben sind«. Die LINKE sollte nicht die Gleichsetzung von SPD und Gewerkschaften, sondern ganz im Gegenteil den Bruch zwischen ihnen fördern.

Sozialfaschismustheorie

Zu den wichtigsten Argumenten, mit denen Stefan Bornost, Christine Buchholz und andere VertreterInnen der Linkspartei Regierungskoalitionen und/oder antifaschistische Bündnisse von SozialistInnen mit der Führung von rassistischen und eindeutig prokapitalistischen Parteien rechtfertigen, zählt der Hinweis darauf, dass erst die Verweigerung einer Einheitsfront von SPD und KPD gegen die Nationalsozialisten Hitlers Machtübernahme ermöglicht habe: »Diejenigen, die sich jetzt gegen eine breite Aktionseinheit gegen die AfD wenden laufen Gefahr, traurige Wiedergänger der Vertreter der «Sozialfaschismustheorie» der stalinisierten KPD zu werden.« (Stefan Bornost)

Es ist vollkommen richtig, dass die Verleumdung von Sozialdemokraten als »Sozialfaschisten« durch die von Stalin geführte KPD und die umgekehrte Diffamierung von Kommunisten als »rotlackierte Nazis« durch die SPD-Führung die kampflose Niederlage dieser damaligen Arbeitermassenparteien mit all ihren katastrophalen Folgen eingeleitet hat.

Die Notwendigkeit einer Einheitsfront von Arbeiterorganisationen gegen faschistische Parteien, welche die restlose Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung und der parlamentarischen Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben hatten, darf jedoch nicht mit einer »Volksfront«, also mit Regierungs- oder Aktionsbündnissen von Arbeiterparteien mit denen des Kapitals verwechselt werden. Von Regierungskoalitionen der SPD mit bürgerlichen Parteien in der Weimarer Republik, in denen die SPD wichtige Errungenschaften der Arbeiterbewegung, wie die Arbeitslosenversicherung, zerstört hatte, profitierten die Nazis. Einen ähnlichen Effekt hat diese Kürzungs- und Bündnispolitik auch heutzutage für die rechtspopulistische AfD.

Außerdem hinkt die Analogie zu den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gerade im Blick auf den Klassencharakter der beteiligten Parteien: Im 21. Jahrhundert wird die Sozialdemokratie im Unterschied zur Weimarer Republik selbst von der Mehrheit ihrer eigenen WählerInnen nicht mehr als Partei zur Durchsetzung von Arbeiterinteressen, sondern in erster Linie als kleineres Übel im Verhältnis zu anderen Kapitalparteien wahrgenommen. Die Behauptung, dass Massen von ArbeiterInnen heute nur für ihre Interessen und gegen Rechts mobilisierbar wären, wenn sich auch die SPD-Führung zu entsprechenden Aufrufen bequemt, ist durch die Tatsachen widerlegt: Massendemonstrationen wie im letzten Jahr gegen TTIP haben ohne und gegen die SPD-Führung stattgefunden, welche diese Gesetze ja durchwinken will. Dasselbe galt im letzten Jahrzehnt für die Massendemonstrationen gegen die Hartz-Gesetze. Die SPD ist im Unterschied zur Weimarer Republik heute kein notwendiger Bündnispartner für den antifaschistischen Widerstand, sondern ein natürlicher Gegner solcher Bewegungen. Der SPD-Parteivorsitzender Gabriel legt nicht umsonst großen Wert darauf, dass die SPD als sogenannte »Volkspartei« den Interessen aller Klassen verpflichtet sei und dass er daher nicht an den Erwartungen von Lohnabhängigen gemessen werden möchte.

Unter diesen Bedingungen wären Aktionseinheitsangebote an Gabriel, Kretschmann und andere bürgerliche KürzungspolitikerInnen gegen konkurrierende, rechtspopulistische Verfechter ihrer eigenen neoliberalen und rassistischen Politik selbst dann verfehlt, wenn Deutschland aktuell mit dem Aufschwung der AfD nicht nur eine Radikalisierung innerhalb des bürgerlichen Lagers erleben, sondern ähnlich wie in der Weimarer Republik am Vorabend einer faschistischen Machteroberung stehen würde.

Breite Bündnisse, aber keine Klassenkollaboration

Der Kampf gegen die AfD erfordert die Einheit aller antirassistischen Kräfte in der praktischen Aktion. Aber nicht im Bündnis mit den Verursachen von Nationalismus, Rassismus und sozialem Abstieg, sondern im Widerstand gegen die staatlichen Rassisten einschließlich ihres hässliches Kindes namens AfD. Unsere Aufgabe als gesellschaftliche und politische Linke ist es, die berechtigten sozialen Ängste, die Wut und Frustration der Bevölkerung auf das bürgerliche Establishment aufzugreifen und die rassistische Spaltung der Herrschenden ebenso zu entlarven wie ihre Pseudo-Kritiker von der AfD. Dieser Kampf wird nur erfolgreich sein, wenn sich DIE LINKE als konsequente Oppositionskraft und als Systemalternative zur alltäglichen kapitalistischen Barbarei aufstellt, anstatt Bündnisse mit den Profiteuren von Armut, Ausgrenzung und rassistischer Spaltung zu schmieden oder gar Regierungskoalitionen mit ihnen vorzubereiten.

Unsere Bündnispartner*innen gegen die AfD, gegen ihre flüchtlingsfeindliche Stimmungsmache, gegen die rassistische Asylrechtsverschärfungen der GroKo und gegen die mörderische Abschottungspolitik der militaristischen, neoliberalen und undemokratischen EU sind die zahllosen Ehrenamtlichen, die sich Tag für Tag für Geflüchtete engagieren und die Auswirkungen unmenschlicher Sondergesetze zu mildern versuchen; es sind die vielen antirassistischen Aktivist*innen, die sich Abschiebungen in den Weg stellen; es sind die Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen und nicht zuletzt die Geflüchteten selbst. Unsere Aufgabe muss darin bestehen, dieses Kampfpotenzial von links zu bündeln, Argumente gegen Rassismus zu verbreiten und dadurch auf die Funktion von Rassismus in der bürgerlichen Klassengesellschaft, also die Spaltung der Lohnabhängigen, hinzuweisen. Mit Parteien gemeinsam kämpfen zu wollen, die diese Spaltung selbst Tag für Tag befeuern, ist ungefähr so zielführend wie der Versuch, mit Ulli Hoeneß ein Bündnis gegen Steuerhinterziehung gründen zu wollen.

Heino Berg und Yannic Dyck sind in der SAV sowie in der Antikapitalistischen Linken engagiert.

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