Mahlerische Klänge

Eine Strategie der Rechten erfreut sich großer Beliebtheit: Klassengegensätze werden hinter nationalen Konzepten verborgen

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein bisschen gleicht die Szenerie in diesem Lande der Biographie, aber auch der Logik Horst Mahlers. Linke Anklänge im rechten Spektrum liegen hoch im Kurs – und die Wähler solcher »Alternativen« lauschen den Klängen Mahlers.

Nur in einem Punkt habe er sich geirrt: »Subjekt des Widerstands ist nicht mehr das Proletariat, sondern die Nation, die sich gegen die Globalisierung stemmen muss.« Vergangene Woche beendete ich an dieser Stelle meinen wöchentlichen Text mit Horst Mahler. Der obige Satz stammt von ihm. Aus einem Buch, das er zusammen mit dem Schönhuber Franzl von den Republikanern geschrieben hat. Dieser Satz beschreibt irgendwie zusammengefasst den gesellschaftlichen Wandel der vergangenen Dekaden.


Klassengegensätze werden abgetan, alles wird hinter nationalen Konzepten verborgen. Nichts ist mehr Frage der Verteilung, sondern der Rasse, der Herkunft zumindest. Es ist traurig und vernichtend zugleich, dass ausgerechnet dieser Ex-Theoretiker der NPD mit seiner damaligen Einsicht insofern recht erhielt, als dass sie sich derzeit als allgemeine Transformation darstellt, die eine ganze Gesellschaft ereilt.

Man nehme doch nur mal die Panama-Papiere als Beispiel. Prompt war der Tenor der Debatte klar. Es ging um ausländische Regierungschefs und Putin, um ausländische Prominenz und Putin, um ausländische Briefkästen und Putins. Schnell war die Debatte eine nationalistische Angelegenheit, in der es um korrupte Systeme und nicht funktionierende Kontrollmechanismen im Ausland ging. Es unterblieb im Pressewald der Bundesrepublik fast weitestgehend, die Panama-Papiere als Ausdruck eines elitären Lebensgefühls zu beschreiben, als formvollendete Gier zulasten ausgeplünderter Gemeinwesen, die eben nicht nur in Russland und Island waltet, sondern auch in Deutschland.

Es ging aber aber eigentlich doch gar nicht um die halbwegs anständigen Deutschen, die mit Verachtung auf die wilden Völker und ihre Lasterhaftigkeit blickten, sondern es wäre eine klassistische Sache gewesen, bei der es um Armut und Reichtum ginge, um Normalos und Superreiche, um Verteilung also letztlich. Erstere Lesart ist aber Zeitgeist, so tickt der Weltgeist momentan. Proletariat und Eliten sind out; der globalisierten Gier begegnet man national, macht die Dynamiken zu einer Konkurrenz zwischen Ländern und Völkern und angeblicher Stereotype und Vorurteile, die man darüber so im Hinterkopf hat.

Irgendwie wirkt das derzeit in dieser Republik, als habe dieser Mahler die Entwicklung geschrieben und dabei bei seiner Biographie gespickt. Natürlich war dieses Land nie ein linkes Projekt, es war immer harte Arbeit, linke politische Ansätze zu verwirklichen. Manchmal gelang es sogar. Was es aber schon gab, das war ein allgemeines Bewusstsein davon, dass es »die da oben« und »die dort unten« gab, dass man sich gegen das Kapital sammeln muss, will man partizipieren. In romantischeren Tagen nannte man das »Klassenkampf«, in geschäftigerer Zeit nannte man das »gewerkschaftsfreundlich«.

Auch im rheinischen Kapitalismus und seinem Spießerkonservatismus wusste man ganz gut, dass das Treiben auf Erden eine Sache zwischen den Klassen ist. Man sagte vielleicht nicht so dazu, aber meinte dasselbe. Der Neoliberalismus hat klassenspezifische Wahrnehmungen langsam und beharrlich getilgt, hat den Menschen als Floh ins Ohr gesetzt, dass sie mit denselben Problemen zu tun hätten wie ihr Chef und das Unternehmen, für das sie schuften. Man hatte keine Angestellten mehr in Betrieben, sondern Mitarbeiter. Die Börse stand allen offen, die Klassen verschwanden aus dem Wortschatz und dem Denken und all das diente »der Erhaltung des Bestehenden«, wie Herbert Marcuse es einst formulierte.

Aber man braucht ja eine Projektion, auf die man seine Aufmerksamkeit richtet, wenn man am Abend erschöpft auf das ranzige Sofa fällt, wenn einem das Geld nicht reicht. Klassen sind ja aus dem Sinn, der Chef ist einer von uns. Also muss es wohl der Syrer sein, der faule Grieche oder jemand aus einer anderen Bande, die dem deutschen Bravmenschen an den Kragen will. Globalisierung als Staat gegen Staat, Volk gegen Volk - und nicht als Generalangriff der 0,01 Prozent gegen den Großteil der Menschheit. Das sind die Klänge Mahlers, denen wir lauschen. Nicht denen von Gustav – nur denen von Horst. Nicht, dass der ein großer Denker wäre, der visionär geschielt hätte; es sind die kleinen Denker, die dessen Vita zur Realpolitik dieses Landes transformieren.
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