Kraft sieht sich in mildem Licht

NRW-Ministerpräsidentin vor Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht

  • Marcus Meier, Düsseldorf
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Opposition wirft NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft politisches Versagen nach den Kölner Silvester-Übergriffen vor. Vor dem Untersuchungsausschuss musste sie Rede und Antwort stehen.

Warum sie, die Politikerin mit dem »Kümmerin«-Image, zwar den Opfern des Loveparade-Unglücks und des German-Wings-Absturzes beistand, nicht aber jenen Frauen, die in der Silvesternacht sexuell misshandelt wurden? »Opfer sexualisierter Gewalt zu sein ist eine sehr besondere Situation«, erklärte Hannelore Kraft gestern vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss »Silvesternacht« im NRW-Landtag. Sie kenne Menschen, »die so etwas erlebt haben«. Man müsse aufpassen, dass man ihnen »nicht Schlimmeres zufügt«. Geschultes Personal sei für die Kommunikation mit Opfern besser geeignet als sie, die Politikerin. Ihre vordringlichste Aufgabe sei es gewesen, das »neue Gewaltphänomen« künftig zu verhindern. Das sei auch für die Opfer wichtig. »Für mich waren die Opfer immer an der ersten Stelle«, betonte Kraft.

180 Tage nach den massenhaften und gruppenweise begangenen Sexualstraftaten der Neujahrsnacht in Köln und anderen Städten steht die Landesregierung unter Feuer, vielleicht mehr denn je. Nach Innenminister Ralf Jäger (»Hätte eine der beteiligten Behörden ahnen können, was passiert, dann hätte es mehr Einsatzkräfte gegeben«) und Regierungssprecher Thomas Breustedt war nun eben die erste Frau im Bundesland an der Reihe. Breustedt hatte erst tags zuvor ausgesagt, die Regierung habe die Dimension der Verbrechen erst spät erkannt - wie die Medien, aus denen Kraft und ihr Team erfuhren, was Sache ist. Dass Kraft sich erst spät, während einer Talkshow, bei den Opfern entschuldigte, bezeichnete er im Rückblick als Fehler.

Kraft selbst, die insgesamt 70. Zeugin des Ausschusses in dessen 26. Sitzung, wirkte streckenweise unsouverän, aufbrausend, ausweichend, oberlehrerhaft. Mehrfach las sie vorbereitete Texte ab. Mehrfach verwahrte sie sich auch gegen vermeintliche oder tatsächliche Unterstellungen - statt inhaltlich zu antworten. Streckenweise wirkte die 55-Jährige ein klein wenig pampig und war sichtlich froh, lediglich gut zweieinhalb Stunden statt der geplanten viereinhalb gebraten zu werden.

War Kraft schlecht informiert oder hat sie die Dimension der Gewalttaten nicht erkannt? Das ist die Alternative. Doch die rechte Opposition warf weitere Fragen auf: Wollte Kraft die Taten nordafrikanisch und arabisch aussehender Jungmännner vertuschen oder verharmlosen? Warum reagierte sie so spät? Erst am 5. Januar äußerte sich die Landesmutter zu den Übergriffen - schriftlich, auf eine Medienanfrage.

»Im Nachhinein war es ein kommunikativer Fehler, damals nicht vor die Kameras zu treten«, bekannte Kraft nunmehr. Sie sagte aber, »erst später sehr viel konkreter« über »Köln« informiert gewesen zu sein. Und die Dimension der Taten habe sie noch später erkannt, ja erkennen können. Indes räumte Kraft »mehrere Formen von Fehlern« ein und nannte Kommunikation, Zusammenarbeit von Bundes- und Landespolizei und Planungsdefizite. Nur deshalb sei das »neue Gewaltphänomen« möglich gewesen. Deswegen habe die Landesregierung im Januar ein 15 Punkte umfassendes Maßnahmenpaket verabschiedet.

Alle Fehler müssten aufgearbeitet werden, betonte die Sozialdemokratin. Doch mehrfach berief sie sich auf die Arkanität von Regierungsprozessen - also auf ein von ihr angenommenes Recht der Geheimhaltung. Selbst zur Frage, in welcher Form sie in die Erstellung einer Chronologie der Kölner Ereignisse eingebunden war, die auf der Webseite von Krafts Staatskanzlei erschien, schwieg sie.

CDU und FDP vermochten das Geheimhaltungsinteresse nicht nachzuvollziehen. Oppositionsabgeordnete warfen Kraft insbesondere vor, die politische Dimension der Übergriffe nicht erkannt zu haben. Diese sei aber wegen der »aufgeheizten Asyldebatte« Ende 2015 gegeben gewesen. Kraft hob hervor, dass nordafrikanische Intensivtäter, im Polizeijargon »Nafris«, schon vor der Silvesternacht als Problem erkannt worden seien. Die Zahl der Polizeianwärter sei auch wegen der steigenden Flüchtlingszahlen hochgesetzt worden. Weil, so Kraft, »uns klar war, es kommen nicht nur gute Menschen«.

1200 Strafanzeigen wurden seit »Köln« erstattet, fünf davon beziehen sich auf vollendete, 16 auf versuchte Vergewaltigungen. Zum Schluss der Sitzung wurde es noch einmal grundsätzlich - nach vielen, allzu vielen Detailfragen. Wie war »dieses Horrorszenario« eigentlich möglich, fragte der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke. Die Frage sei absolut unzulässig, konterte SPD-Politiker Hans-Willi Körfges.

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