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Türkische Akademiker treten in den Hungerstreik

Oppositionelle greifen zu verzweifelten Mitteln, um auf ihre ausweglose Situation aufmerksam zu machen

  • Ismail Küpeli
  • Lesedauer: 3 Min.

Per Notstandsdekret wurden mehr als 138.000 Staatsbedienstete entlassen, darunter über 30.0000 LehrerInnen, fast 8.000 WissenschaftlerInnen, viele einfache Beamte und Angestellte. Ihnen werden Verbindungen zu den Putschisten vorgeworfen, die im Juli 2016 versucht hatten, gewaltsam die AKP-Regierung zu stürzen. Die teilweise absurd anmutenden Vorwürfe basieren auf angeblichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung. Ein Bankkonto bei einer angeblich Gülen-nahen Bank reicht dafür oft schon aus. Die Entlassenen werden nicht nur mit einem lebenslangem Berufsverbot im Staatsdienst belegt, sondern auch mit einem faktischen generellen Berufsverbot.

So werden die Namen der Entlassenen im staatlichen Amtsblatt der Türkei veröffentlicht, sodass potenzielle ArbeitgeberInnen es nicht wagen, diese als »Terroristen« und »Putschisten« diffamierten Menschen einzustellen. In vielen Fällen wurden die Reiseausweise der Betroffenen für ungültig erklärt, sodass sie nicht mehr legal aus der Türkei ausreisen können. Die Entlassenen können sich auch nicht mit juristischen Mitteln dagegen wehren, weil ihnen durch den Ausnahmezustand in der Türkei der Rechtsweg verschlossen bleibt.

In dieser ausweglosen Situation, in der sich die Betroffenen weder juristisch gegen die Entlassung wehren, noch eine andere Arbeit finden oder das Land verlassen können, haben sich viele der Entlassenen zu drastischen Aktionen entschlossen. Einige begingen Selbstmord, andere flohen »illegal« aus der Türkei, etwa über die gefährliche Mittelmeerroute. Erst kürzlich kam dabei ein junger Musiker ums Leben, als sein Boot unterging und er ertrank.

Manche versuchen auch, öffentlich Druck auf die Regierung aufzubauen, um eine Revision der Entlassung zu erreichen. Die Universitätsdozentin Nuriye Gülmen und der Lehrer Semih Özakça haben vor mehr als 60 Tagen mit einem Hungerstreik begonnen. Sie fordern ihre Stellen zurück und protestieren seit über zwei Monaten Tag für Tag vor dem Menschenrechtsdenkmal in Ankara.

Bisher bestand die Reaktion der türkischen Regierung darin, Nuriye Gülmen und Semih Özakça immer wieder von der Polizei angreifen und festnehmen zu lassen. Auf ihre Forderung nach Wiedereinstellung ging sie hingegen nicht ein und es sieht auch nicht danach aus, dass die Regierung an dieser Stelle nachgeben wird. Vielmehr wird der mögliche Tod von Nuriye und Semih billigend in Kauf genommen.

In diesem unhaltbaren Zustand, in dem Nuriye Gülen und Semih Özakça dem Tod von Tag zu Tag näher kommen, hat sich eine breite Solidaritätswelle mit den beiden Hungerstreiken gebildet. So haben etwa die ebenfalls politisch verfolgten »AkademikerInnen für den Frieden«, von denen viele entlassen und zur Flucht ins Ausland getrieben wurden, mit kurzen Solidaritätshungerstreiks begonnen.

Aber nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch in Deutschland solidarisieren sich AkademikerInnen mit Nuriye und Semih. Am 7. Mai fand in Köln ein eintägiger Hungerstreik statt, eine weiterer ist für den 14. Mai in Berlin geplant. Die »AkademikerInnen für den Frieden« wollen damit ihre FreundInnen und KollegInnen in der Türkei unterstützen und deutlich machen, dass Nuriye Gülmen und Semih Özakça nicht allein sind.

Dabei ist auch die Situation der AkademikerInnen im deutschen Exil nicht sorgenfrei. Sie haben oft keine dauerhaften und gesicherten Aufenthaltsgenehmigungen, finden selten eine Arbeitsstelle, von der sie leben können, und werden von der deutschen Öffentlichkeit mit ihrem politischen Kampf weitgehend alleine gelassen. So war das Medieninteresse für den Hungerstreik in Köln sehr begrenzt: Außer türkischen und kurdischen Exilmedien fand nur ein einziges deutsches Medium die Aktion berichtenswert.

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