Ben, Hank und der lange Abschied vom Monetarismus

Finanzkrise stellt das bisherige Politikverständnis der USA in Frage

»Bankrott, Liquidität und Rezession« – unter diesem Titel publizierte die US-Fachzeitschrift »American Economic Review« im Mai 1981 einen fünfseitigen Aufsatz. Beschrieben wird darin, wie das Risiko von Bankrotten eine reduzierte Kreditvergabe von Banken und eine eingeschränkte Konsumnachfrage nach sich ziehen kann, die die Gesamtwirtschaft im Extremfall in die Rezession stürzt. Der Autor war ein noch unbekannter junger Ökonom namens Ben S. Bernanke, der, erst 27-jährig, als Assistant Professor an der angesehenen Stanford-Universität in Kalifornien lehrte.

Gut 27 Jahre später ist der kleine Aufsatz aktueller denn je. Die Furcht vor einer lang andauernden Rezession mit schweren sozialen Folgen ist in den USA mit Händen zu greifen. Erinnerungen an die »Große Depression« der 1930er Jahre, die eine Massenverarmung auslöste, werden laut. »Credit Crunch« (Kreditklemme) heißt im Fachjargon das, was Experten in Angst und Schrecken versetzt. Will heißen: Die Banken halten aus Furcht vor immer neuen Wertberichtigungen und Verlusten ihre flüssigen Mittel beisammen, statt sie der Wirtschaft und den Bürgern zu leihen, damit diese mehr investieren und konsumieren können. Doch »Money makes the world go round«, weiß auch der Volksmund. Ohne ausreichenden Geldfluss gerät der kapitalistische Wirtschaftsmotor ins Stocken.

Für die Finanzbranche ist es ein glücklicher Zufall, dass besagter Ben Bernanke, mit seinen mittlerweile 54 Jahren ebenfalls ein äußerst junger Chef der US-Notenbank Fed, seit Februar 2006 der oberste Geldpolitiker des Landes ist. Der Enkel österreichischer Immigranten, der im ländlich-geprägten, streng konservativen Bundesstaat South Carolina aufwuchs und eine wissenschaftliche Bilderbuchkarriere mit den Stationen Harvard, MIT, Stanford und Princeton aufweist, hat sich immer wieder mit den Ursachen und Folgen der Großen Depression beschäftigt. Ergebnis seiner Studien: Insbesondere in den Anfangsjahren 1930 und 1931 hätten Zentralbanken Zusammenbrüche von Kreditinstituten, Preisverfall sowie das Schrumpfen der Geldmenge zugelassen, wie der Fed-Chef im April bei der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank ausführte, um im Anschluss daran Beruhigung zu signalisieren: »Wir haben unsere Lektionen daraus gelernt.«

Mit allen Waffen der Geldpolitik

Tatsächlich setzte die Fed seit den ersten Vorboten der Krise im Juli 2007, als zwei Hedge-Fonds der Investmentbank Bear Stearns platzten, alle »Waffen« der Geldpolitik ein: Die Leitzinsen wurden in zehn Schritten von 5,25 auf nur noch 2 Prozent gesenkt – billigere Kredite sollen den Geldfluss quasi indirekt schmieren. Regelmäßig pumpt man, teils in Abstimmung mit den Notenbanken anderer Industrieländer, zusätzliche Kredite an Banken in zwei- bis dreistelliger Milliardengröße in den Markt. Zudem akzeptiert die Fed als Sicherheiten dafür mittlerweile sogar Bankaktien, auch wenn diese seit Monaten einen drastischen Wertverlust verzeichnen.

Dies alles konnte immer nur vorübergehend die Lage beruhigen. Seit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Borthers eilt Bernanke von einer Krisensitzung zur nächsten, was auch schon mal die ganze Nacht andauern kann. Ständig an seiner Seite: Finanzminister Henry (»Hank«) Paulson. Der Betriebswirt, kurzzeitig Berater der Nixon-Regierung, war seit 1999 Chef der Investmentbank Goldman Sachs, die bislang relativ gut die Finanzkrise überstanden hat. 2005 – im letzten Jahr, bevor er auf Drängen von Präsident George W. Bush Minister wurde – war er der Spitzenverdiener unter den Bankern mit einem Bonus von 38 Millionen Dollar.

Paulsons aktive Rolle hat längst bewiesen, dass es die Geldpolitik der Fed allein nicht richten kann. Bei der Rettung der US-Investmentbank Bear Stearns, der Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac oder des Versicherungskonzerns AIG – immer waren auch Steuergelder mit im Spiel. Zudem verabschiedeten Regierung und Opposition ein staatliches Konjunkturprogramm von über 100 Milliarden Dollar, das unter anderem überschuldeten Immobilienbesitzern zugute kam.

Das Image der Notenbank hat Schrammen davongetragen. Immerhin gilt deren Chef als zweitmächtigster Mann in den USA und die Fed als fester Anker, die schon mehrfach in den letzten Jahrzehnten Banken- und Spekulationskrisen entschärfen konnte. Und auch Bernanke wird mittlerweile Leichtsinn im Vorfeld der Krise vorgeworfen. Im Sommer 2005, als er bereits im Direktorium der Notenbank saß und selbst einige Bankanalysten vor einer Spekulationsblase bei US-Immobilien warnten, wiegelte er bei einer Rede vor dem American Enterprise Institute, einem einflussreichen konservativen Think-Tank, ab: »Die gute Wirtschaftslage trägt wesentlich zum Boom am Immobilienmarkt bei.« Mit anderen Worten: alles in Butter – eine grandiose Fehleinschätzung.

Kampfansage an den »New Deal«

Das bislang kaum Wirkung zeigende Krisenmanagement der Notenbank stellt das seit Jahrzehnten in den USA dominierende Verständnis von Wirtschaftspolitik grundsätzlich in Frage. Der orthodoxe Vorbeter des Monetarismus, Milton Friedman, hatte einst die Parole ausgegeben, der Markt müsse sich völlig frei von staatlichen Eingriffen entwickeln. Bei Problemen reiche es, wenn die Notenbank – sie ist in den USA keine staatliche, sondern eine Einrichtung der privaten Banken, obwohl das Direktorium von der Regierung eingesetzt wird – mit den Mitteln der Geldmengensteuerung entgegenlenkt. Friedmans Lehre aus den 60er Jahren war eine letztlich erfolgreiche Kampfansage an die Anhänger des »New Deal«, der die USA einst mit staatlichen Sozialprogrammen und einer hohen Steuerbelastung von Unternehmen und Spitzenverdienern aus der Großen Depression geführt hatte. Der Chicagoer Ökonom wurde zum ideologischen Wegbereiter der »Reagonomics« mit ihrer Umverteilung von unten nach oben, was unter Bush jr. noch einmal massiv beschleunigt wurde. Die gigantischen Steuergeschenke an Besserverdienende haben – zusammen mit den hohen Kosten des Irakkrieges und der »Katrina«-Ka- tastrophe – die Haushaltsdefizite schon vor der Finanzkrise in astronomische Höhen geschraubt. Und die förmlich explodierten Vermögen der Superreichen haben die Finanzspekulation gespeist.

Ein weiteres Friedman-Erbe ist die Deregulierung im Finanzsektor jenseits der Geschäftsbanken, die Einlagen von Sparern sammeln und als Kredite weitergeben. In den 90ern ist ein »Schattenbankensystem« entstanden, in dessen Zentrum die großen Investmentbanken agierten. Spekulative, mit Hypotheken besicherte Papiere wurden in gigantischem Ausmaß und zu ständig steigenden Preisen per Mausklick von Institut zu Institut ohne Aufsicht und ohne jegliche Risikoabsicherung der Beteiligten hin- und hergeschoben wurden. Die Käufer verließen sich auf das Versprechen hoher Renditen, eine gute Bonitätsbewertung durch private Ratingagenturen sowie eine scheinbare Sicherheit von Derivaten, die bei Kreditausfällen einspringen sollten, aber ihrerseits nicht abgesichert waren. Mit dem einsetzenden Verfall der Immobilienpreise begann dieses Finanzkartenhaus einzustürzen. Das gewaltige Ausmaß der Verluste überfordert die Fed.

Der Wissenschaftler Bernanke teilte Friedmans Optimismus über die Möglichkeiten der Geldpolitik, wie er bei einer Festrede anlässlich dessen 90. Geburtstages im Jahr 2002 zum Ausdruck brachte. »Dank Ihnen werden wir die gleichen Fehler nicht noch mal machen!« Und Bernanke gab auch schon mal ein Zitat Friedmans zum Besten: Wenn Deflation drohe, könne man einfach die Notenpresse anschmeißen und Geldbündel per Hubschrauber abwerfen. Seither hat Bernanke seinen Spitznamen »Helikopter-Ben« weg.

Respekt von Keynesianern

Allerdings teilte er nie Friedmans rein schematisches Modelldenken, er zog seine Erkenntnisse lieber aus historischen Untersuchungen. Immer wieder wies er auf die »nicht-monetären« Effekte der Geldpolitik hin: Wachstum und Beschäftigung. Aus diesem Grunde zollen ihm auch linke Keynesianer Respekt.

Dass der »Meister der angewandten Makroökonomie« (»Financial History Review«) nun selbst den Praxis-Beweis liefert, dass Geldpolitik nicht alles ist, ist sicher eine Ironie der Geschichte. Ihm ist klar, dass neben der Notenbank auch der Staat massiv eingreifen muss, was ultrarechte Republikaner bereits als »finanziellen Sozialismus« geißeln. Die Demokraten wollen mit dem vorgeschlagenen 700-Milliarden-Dollar-Paket weniger den Banken als den überschuldeten Immobilienbesitzern unter die Arme greifen. Bernanke geht es anders als dem Wall-Street-Lobbyisten Paulson nicht nur darum, mit Steuergeldern die Finanzinstitute von ihren selbstverschuldeten Problemen zu befreien. »Wenn nichts geschieht, würde es für Unternehmer immer schwieriger, Bankenkredite zu erhalten, und Arbeitsplätze würden gefährdet«, sagte er am Dienstag im Senat. Er hätte auch seinen Aufsatz von 1981 vortragen können.

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