Sicher ist nur das Risiko

Auch für deutsche Reaktoren können Erdbeben gefährlich werden – und nicht nur diese

  • Felix Werdermann
  • Lesedauer: 3 Min.
Bundesregierung und Atomkraftwerksbetreiber bemühen sich, Ängste aus der Bevölkerung kleinzureden. Tenor: Eine Katastrophe wie in Japan könne hierzulande nicht passieren. In Wirklichkeit gibt es zahlreiche Sicherheitsrisiken – drei von ihnen werden im Folgenden vorgestellt.

Erdbeben

Durch Erschütterungen können Anlagenteile eines Atomkraftwerks ausfallen. Wichtige Komponenten sind deshalb mehrfach vorhanden. Kommt es zu einem Erdbeben, soll mit den noch funktionstüchtigen Anlagenteilen zumindest ein sicheres Abschalten möglich sein. Die deutschen Meiler sind so gebaut, dass sie Erdbeben standhalten – allerdings nur bis zu einer gewissen Stärke. Diese bemisst sich an den größtmöglichen Erschütterungen, die nach den damaligen wissenschaftlichen Erkenntnissen in einem Umkreis von 200 Kilometern auftreten können.

In der Nähe des hessischen Atomkraftwerks Biblis wurden diese Werte jedoch mehrmals überschritten. Die atomkraftkritische Ärzteorganisation IPPNW listet acht Beben auf, die für den Uraltreaktor hätten problematisch werden können. Zwei Mal war der Befund eindeutig: Die Erde wackelte stärker als beim Bau des neueren Blocks B angenommen wurde – glücklicherweise fast 100 Kilometer entfernt. Die IPPNW klagt seit Jahren gegen das Kraftwerk, unter anderem wegen mangelnder Auslegung gegen Erdbeben.

Auch in Neckarwestheim gibt es Zweifel an der Sicherheit. Als das Kraftwerk gebaut wurde, war man davon ausgegangen, dass es auf sehr festem Untergrund stehe. Im Jahr 2002 wurde der Boden erneut untersucht, weil man dort ein lokales Atommülllager plante. Als der Geophysiker Gerhard Jentzsch von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena drei Jahre später die damals verfassten Gutachten durchlas, kam er zu einem anderen Schluss. Der Untergrund bestehe aus »mittelsteifen, halb verfestigten Sedimenten«. Der Boden neige daher zu stärkeren Schwingungen.

Terroranschläge

Mit dem 11. September 2001 ist ein weiteres Risiko in den Fokus gerückt: Ein terroristischer Anschlag mit einem großen Verkehrsflugzeug auf ein Atomkraftwerk. Dieses Szenario wurde beim Bau der Anlagen nicht bedacht. Die neueren Reaktoren sind immerhin gegen den unfallbedingten Absturz kleinerer Militärmaschinen geschützt.

Untersuchungen im Auftrag des Bundesumweltministeriums haben ergeben, dass kein deutsches Atomkraftwerk einen Angriff mit einer großen Passagiermaschine sicher standhält. Bei den älteren Kraftwerken sind die Reaktorhüllen so dünn, dass sie durchbrochen werden können und radioaktive Stoffe austreten. Die etwas neueren Anlagen sind zwar etwas robuster, jedoch könnte es auch dort zu einer Katastrophe kommen, wenn beispielsweise die Sicherheitswarte durch Feuer unbegehbar oder durch umherfliegende Trümmer zerstört wird.

Die Betreiber wollen die Atomkraftwerke deshalb im Angriffsfall einnebeln – eine künstliche Wolke um die Anlage herum soll es Terrorpiloten erschweren, ihr Ziel zu treffen. Die Schutzwirkung ist allerdings sehr gering, denn mit Navigationssystemen wie GPS ließe sich ein Reaktor auch im Nebel finden. Zudem könnten die Angreifer eine Runde drehen und darauf warten, dass sich die Kunstwolke nach wenigen Minuten wieder verzogen hat.

Es gibt weitere Möglichkeiten, einen Anschlag zu verüben. Terroristen könnten mit panzerbrechenden Waffen auf den Reaktor schießen, mit Hochenergie-Mikrowellen-Waffen angreifen oder eine Schadsoftware wie Stuxnet auf dem Computersystem des Reaktors installieren.

Alterserscheinungen

Ein Atomunfall kann tausende Gründe haben. Ältere Anlagen scheinen besonders gefährdet zu sein. Dort kam es in den letzten Jahren zu überdurchschnittlich vielen meldepflichtigen Ereignissen. Das liegt zum einen an Materialermüdungen, Rohre bekommen etwa Risse. Zum anderen sind die älteren Anlagen bereits von ihrer Konzeption unsicherer.

Auch wenn die Kraftwerksbetreiber mehrere Milliarden Euro in Nachrüstungen investiert haben – auf das gleiche Sicherheitsniveau lassen sich die Reaktoren nicht bringen. Das liegt daran, dass manche Verbesserungen technisch unmöglich sind. Die Atomexpertin Oda Becker nennt als Beispiel die Anlage Neckarwestheim 1. Dort seien die vier Kühlsysteme in nur zwei Räumen untergebracht – und nicht in vier verschiedenen, wie bei anderen Atomkraftwerken üblich. Sobald in einem der beiden Räume Feuer ausbricht, darf in dem anderen Raum nichts Schlimmes passieren.

Nachrüstungen sind auch problematisch, weil manche Anlagenteile heute nicht mehr produziert werden. Neuere Komponenten wiederum passen unter Umständen nicht zum Gesamtsystem, es könnte zu unvorhergesehenen Wechselwirkungen kommen.

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