PKK, Kurdistan, Absurdistan

Ein Verfahren um ein mutmaßliches illegales Ferienlager geriet zu einer Spaßveranstaltung

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey berichtet aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey berichtet aus Berliner Gerichtssälen

Man sage nicht, der polizeiliche Staatsschutz habe kein waches Auge auf alle umstürzlerischen Vorgänge im Land. Nein, Polizei und Justiz sind hellwach und schnell bei der Sache, wenn böse Buben und Mädchen an den Grundfesten der Demokratie nagen. Nun gut, ganz so schnell nun auch wieder nicht, denn eine Sache muss reifen.

In diesem Falle reifte die Sache viele Jahre und kam gestern zur Verhandlung. Fünf Männer und eine Frau waren angeklagt, im Jahr 2006 ein illegales Jugendlager der in Deutschland verbotenen PKK veranstaltet zu haben. Damals sollen sich etwa 35 junge Kurden im Alter von 16 bis 25 Jahren in einer thüringischen Jugendherberge getroffen haben, um dort beim gemeinsamen Beisammensein mit verschiedenen Vorträgen etwas zur Geschichte des kurdischen Volkes und zur Geschichte der PKK zu erfahren. Lang, lang ist es her. Unter den Teilnehmern war auch ein V-Mann. Der ging nicht sofort zur Polizei, um Mitteilung zu machen, dass hier etwas Verbotenes geschehen sei, er ließ sich fast ein Jahr Zeit, um seinem Führungskommissar in Baden-Württemberg Bericht zu erstatten. Was da zu weihnachtlicher Zeit in einem kleinen Dorf besprochen wurde, dafür interessierte sich der Oberkommissar Frank D. nicht. Nur dafür, dass es um Kurdistan, PKK und Öcalan ging, das reichte aus, um ein Vergehen zu konstatieren.

Der Informant tauchte unter, der Fall begann zu schimmeln. Kurz vor der Verjährung packte Justitia nun zu. Anklage wegen verbotener Vereinstätigkeit.

Einer der sechs Angeklagten, inzwischen ins Schwabenland abgewandert, war nicht erschienen. Da waren es nur noch fünf. Die verbliebenen Verteidiger stellten den Antrag auf Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld. In zwei Fällen wurde so verfahren und eine Geldbuße von 200 Euro festgelegt. Da waren es nur noch drei. Dann wurde gegen die Frau, die erst nicht wollte und dann doch, ebenfalls das Verfahren eingestellt. Trotzig der Staatsanwalt, jetzt muss es aber schon deutlich teurer werden: 400 Euro. Das Gericht entschied: 400 Euro. Da waren es nur noch zwei. Die Verbliebenen sollen damals einen Vortrag gehalten und ein Fahrzeug zum Transport der Jugendlichen angemietet haben.

Nun konnte der Prozess so richtig beginnen. Es sagte der aus Stuttgart angereiste Polizeikommissar aus und nicht der V-Mann. Dem hatte die Staatsanwaltschaft Anonymität zugesichert. Nichts, was der gehört oder gesehen hat, ist heute noch nachprüfbar. Zudem fehlen Ermittlungsakten. Was der Informant dem Polizisten vor vielen Jahren erzählte, warum er so spät zur Polizei ging, was im Lager tatsächlich passierte - keine Aussage. Immer, wenn es halbwegs konkret werden sollte, gingen die Polizei-Schotten runter. Klar ist nur: Es wurden keine Selbstmordattentäter ausgebildet, keine Anschläge geplant, keine Bomben gebastelt, keine Verschwörung eingefädelt - nur Vorträge gehalten über der Geschichte der Kurden.

Ein Prozessende gab es nicht, das Spiel geht weiter. Das Gericht könnte es gerade noch so schaffen, vor Ablauf der Verjährung eine Geldstrafe zu verhängen. Oder auch nicht. Wenn die Richter zu der Erkenntnis kommen sollten, dass eigentlich gar nichts passiert ist.

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