Enttäuschte Randgruppen

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Obama hat viele Schwarze enttäuscht, denn er hat ihre Lebenswirklichkeit kaum verbessert. Dass ein Mitglied einer marginalisierten Gruppe keine Politik »für seine Leute« macht, kennen wir in Deutschland auch.

Hierzulande sind wir schon seit einigen Jahren ernüchtert. Die ostdeutsche Frau, die das Amt des Kanzlers übernahm, hatte einigen Optimisten Hoffnungen gemacht. Durch eine Kanzlerin, die in der DDR sozialisiert wurde, so meinten sie erwartungsfroh, würde auch die Integration der Ostdeutschen vorangetrieben. Mittlerweile haben wir sogar einen ostdeutschen Bundespräsidenten. Aber daran, dass der flächendeckende Mindestlohn für manche Großkoalitionäre nicht im Osten des Landes gelten soll, hat es nichts geändert.

Noch immer wird die Lebensleistung der Ostdeutschen nicht angemessen gewürdigt. Und der ostdeutsche Bundespräsident wirkt teilweise sogar aktiv mit, die Leistungen der ostdeutschen Vorleben zu schmälern. Daher fühlen sich viele Ossis ausgeschlossen und isoliert. Vor einigen Jahren las ich von einem Fall, bei dem sich eine Bewerberin mit ostdeutschen Wurzeln in Baden-Württemberg beworben hatte, aber abgelehnt wurde. Der zurückgesandte Lebenslauf war mit einer handschriftlichen Notiz seitens des Personalwesens versehen: »Ossi«. Klar, dieses Beispiel ist nicht repräsentativ, aber darin mag anklingen, wie Westdeutsche die Menschen aus dem ehemaligen Osten sehen: Faul und wehleidig sollen sie sein. Wesen aus einer anderen Welt.

Mit ihrer Art von Politik haben Kanzlerin und Präsident erreicht, dass man sie kaum als Ostdeutsche wahrnimmt. Man sollte mal eine Umfrage machen, ich bin mir sicher, ein Gutteil der Befragten wüsste nicht, dass beide »von drüben« sind. Zwei ehemalige Nachbarn von mir hatten von Merkels Herkunft jedenfalls keine Ahnung. So kann wahrlich nichts für die Ankunft der Ostdeutschen im westdeutschen Gesamtdeutschland getan werden.

Aktuell erleben die Schwarzen in den Vereinigten Staaten eine ganz ähnliche Ernüchterung. Dieser schwarze Präsident hat das Leben in Harlem nicht verändert. Noch immer ist es ein Nachteil, wenn man in den USA mit schwarzer Haut zur Welt kommt. Etwa jeder achte Amerikaner ist schwarz – und beinahe jeder zweite Häftling auch. In besseren Wohngegenden ist es für Schwarze auch in den Obama-USA kaum möglich, eine Bleibe zu finden. Wer in den Staaten ein Darlehen beantragt, muss seine »Rasse« angeben – wer »Black« ankreuzt, sollte nicht mit einer positiven Rückmeldung rechnen.

Vom Abflauen rassistischer Impulse kann keinerlei Rede sein. Man schaue sich nur mal einige der Plakate des Tea Party Movement an. Dieser erste schwarze Präsident des Landes warb bei seiner Wahl mit Change! und hat doch letztlich nur wenig umgestaltet. Es gab keine Initiativen zur Gleichstellung, keine staatlichen Investitionen in schwarzen Vierteln und keinen Ausbau von Sozialarbeit.

Im Gegensatz zu Merkel ist Obama natürlich eine Symbolfigur, fast schon eine Ikone. Aber leider ohne Substanz. Merkel hat es nicht mal dazu gebracht. Ich kann mich an keine Freudenszenen auf den Straßen Dessaus oder Prenzlaus erinnern. Aber diese ernüchternde Situation macht doch deutlich, dass man nicht automatisch annehmen darf, dass die Gruppenzugehörigkeit sich positiv auf die Gruppe auswirkt. Denn auch Gruppen sind keine geschlossene Einheit, sondern bestehen aus Segmenten, aus Eliten, Mittelschicht und Proletariat.

Ostdeutsche sind schließlich nicht gleich Ostdeutsche und Schwarze nicht gleich Schwarze. Der materielle und gesellschaftliche Background ist ausschlaggebend. Letztlich nützt den Schwarzen in den Ghettos kein schwarzer Präsident, der Zeit seines Lebens privilegiert war. So wie auch die Ostdeutschen zur Anerkennung ihrer Lebensleistung mehr brauchen als eine Ostdeutsche, die sich immer an den Rockzipfel des Establishment klammerte.

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