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Jobwunder ohne Hartz IV

Arbeitsmarktreform hatte kaum Einfluss auf Erwerbslosenzahl, sagen Wissenschaftler

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwei Ökonomen haben berechnet, welchen Anteil Hartz IV am Rückgang der Arbeitslosigkeit hat. Und siehe da: Offenbar sind Auswirkungen der Reform auf die Erwerbslosenquote kaum nachweisbar.

Immer wenn Erklärungen gesucht werden für die gute Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt, dann führen viele Journalisten die Hartz-IV-Reform ins Feld. Insbesondere Autoren konservativer und wirtschaftsliberaler Blätter sind sich einig darin, dass Hartz IV die Zahl der Arbeitslosen deutlich gesenkt habe. Noch im März dieses Jahres behauptete die FAZ-Wirtschaftsredakteurin Lisa Nienhaus, »dass die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn das Geld für Arbeitslose gekürzt wird«. Nienhaus berief sich dabei auf eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die sich allerdings nur mit den Auswirkungen von Hartz I bis III beschäftigte. Die von Nienhaus gelobten Geldkürzungen für Arbeitslose waren aber Teil von Hartz IV. Ihre Behauptungen fußten demnach auf keiner belastbaren Grundlage.

Die FAZ-Redakteurin entschuldigte das mit »Datenproblemen« und schrieb, das wissenschaftliche Ausblenden des vierten Teiles der Reform sei »vielleicht auch ganz gut so«. Glück für Lisa Nienhaus, dass die Untersuchungen von Andrey Launov und Klaus Wälde im März noch nicht vorlagen. In einem aktuellen Beitrag für die Fachzeitschrift »International Economic Review« kommen die beiden Ökonomen von der Universität Mainz zu dem Schluss, dass der Beitrag von Hartz IV zum Rückgang der Arbeitslosigkeit außergewöhnlich niedrig ist.

Demnach war die durch Hartz IV bewirkte »Reduktion der Arbeitslosigkeitsrate quantitativ sehr gering«. Die Berechnungen der beiden Wissenschaftler sehen den Hartz-IV-Effekt bei weniger als 0,1 Prozent der Erwerbslosenquote.
Einen viel stärkeren Einfluss hätten die vorangegangenen Hartz-Reformen I bis III gehabt, so Launov und Wälde. Insbesondere die Reform der Bundesanstalt für Arbeit, die in eine Agentur umgewandelt wurde, hatte nachweisbare Effekte. Die Umwandlung war Teil von Hartz III und umfasste eine ganze Reihe von Maßnahmen, etwa die Einführung einer einzigen Kontaktperson für einen Arbeitslosen. Zudem wurde die Zahl der Betroffenen, die ein Arbeitsvermittler zu betreuen hat, deutlich gesenkt. In der Summe hätten diese Schritte einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 1,3 bis 2 Prozentpunkte bewirkt. Somit war die Reform der Vermittlungsbehörde »etwa vier bis fünf Mal effektiver als die Reduktion der Lohnersatzleistungen«.

Launov und Wälde entzaubern zudem den Mythos von den »Fehlanreizen durch hohe Lohnersatzleistungen«. So heißt es in der angebotsorientierten Wirtschaftswissenschaft immer wieder, dass ein zu hohes Arbeitslosengeld die Bezieher entmutige, eigene Suchanstrengungen zu unternehmen. Der US-amerikanische Nobelpreisträger Edmund Phelps brachte diesen Ansatz in der »FAZ« auf den Punkt: »Wenn Sie die Arbeitslosenunterstützung kappen, kriegen Sie mehr Beschäftigung. Das ist ein simpler Mechanismus.«

Doch Launov und Wälde kommen zu ganz anderen Ergebnissen. So seien die Anreizeffekte durch eine Kürzung des Arbeitslosengeldes für gut ausgebildete Arbeitnehmer sehr gering. Denn die Betroffenen fänden einen neuen Job, lange bevor sie Hartz IV beziehen müssten. Auch für die gering Qualifizierten, die einen Großteil der Langzeitarbeitslosen stellen, spielen die Kürzungen keine so große Rolle. Der »Unterschied zwischen ihren Unterstützungsleistungen vor Hartz IV (Arbeitslosenhilfe) und nach Hartz IV (Arbeitslosengeld II)« seien »oft zu gering, um sich tatsächlich auszuwirken«. Das Fazit der beiden Ökonomen fällt dementsprechend deutlich aus: »Auf verteilungspolitisch schwierige Bestandteile wie eine Reduktion der Lohnersatzleistungen kann (...) offenbar verzichtet werden.«

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