Bezahlbare Soldaten »an der Front des Handelskrieges«

  • Roberto de Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Haarschnitte zu gepfefferten Preisen, verteuerte Spargel - und Praktika, die sich keiner mehr leisten kann: Der Mindestlohn lässt die Arbeitgeber Angstszenarien malen. Der propagandistische Kampf um das Grundrecht auf billiges Personal hat endgültig begonnen.

Seit einigen Wochen hat man vom Mindestlohn nichts mehr gehört. Fast konnte man glauben, er werde nun ohne nennenswerte Gegenstimmen kommen. Zwar nicht so, wie die politische Linke ihn sich wünscht. Aber immerhin. Ein wichtiger Schritt ist getan.

Vor einigen Tagen war der Mindestlohn wieder auf dem Tapet: Als Unheilsbringer, als Verteuerung. Der Kampf für das Grundrecht auf billiges Personal war eröffnet. Man stilisiert ihn nun aus taktischen Gründen zu einem Kampf für das Grundrecht auf billigste Dienstleistung und Waren.

Die Friseurkette Klier etwa gab bekannt, bald keinen Herrenhaarschnitt unter zwanzig Euro mehr anbieten zu können. Und Max Straubinger von der CSU will eine Ausnahmeregelung für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft erwirken. Ausnahme meint hier natürlich Ausschluss. Sonst wird der Spargel ja noch teurer.

Bittere Tränen vergießt die Unions-Mittelstandvereinigung: Sie sieht Praktikumsplätze in Gefahr. »Nachwuchskräfte, die parallel zum Studium Praxiserfahrung suchen« gerieten so ins Hintertreffen. Dass Praxiserfahrung auch unmittelbar mit Antritt einer »richtigen Stelle« peu a peu entsteht, darauf kommt man in diesem Wirtschaftssystem offenbar gar nicht mehr.

Wenn man liest, wie sie sich jetzt winden und Angstszenarien entwerfen, dann kann man darin auch ein stilles Eingeständnis herausdeuten. Immerhin geben die Gegner des Mindestlohns zu, dass die Billigmasche und das »Geiz ist geil«-Prinzip funktionieren. Unser günstiges Lebensgefühl scheint nach der Logik derer, die nun über den Mindestlohn klagen, rein von den Personalkosten abzuhängen. Jemand mit ein bisschen betriebswirtschaftlicher Kenntnis muss sich natürlich an dieser Stelle fragen, was das für Geschäftsmodelle sein sollen, die die Bezahlbarkeit ihrer Leistungen alleine durch das Drücken von Löhnen erreichen können.

Das ist es, was die »taz« erst kürzlich den »deutschen Handelskrieg« genannt hat. Durch sinkende Reallöhne und die Möglichkeit, unverschämt niedrige Stundenlöhne zuzulassen, drückt Deutschland dem europäischen Ausland volkswirtschaftliche Schäden aufs Auge. Hierzulande nennt man das »Wettbewerb«, was man dort als »exportlastig« und als »Ungleichgewicht« beschimpft. Zu diesem Modell des deutschen Handelskriegs gehört auch die Friseurin, die für ein Taschengeld Haare schneidet. Und der Gastarbeiter, den man unsittlich entlohnt. Praktikanten, die gratis leisten, was Fachpersonal sonst für viel Geld macht, sind auch so »Soldaten an der Front des Handelskrieges«. Der Mindestlohn ist da wie ein heimtückischer Dolchstoß.

Die neoliberale Arbeitsmarktpolitik hat in den letzten Jahren sukzessive verwirklicht, dass Unternehmen Personal »zum Selbstkostenpreis« zur Verfügung steht. Allen Unternehmen. Auch denen, die sich Personal eigentlich gar nicht leisten können. Mittels Hartz IV konnte man (und kann noch immer) Personalkosten ja vortrefflich sozialisieren. Wer billige Arbeitskraft brauchte, um seinen Betrieb aufrechtzuerhalten, dem stand die Politik mit ihren Konzepten nicht im Weg. Ganz im Gegenteil. Der Mindestlohn soll nun diese Entwicklung wenigstens ansatzweise korrigieren, soll dem arroganten Anspruch auf billige Arbeitskraft ein wenig den Saft abdrehen. Er reguliert, was vorher aus dem Ruder gelaufen war.

Man könnte auch sagen: Er ist die weiße Fahne im Handelskrieg. Je lückenloser und je weniger Ausnahmeregelungen, desto ernster ist dieses ökonomische Friedensangebot zu bewerten. Je weniger Praktikanten in Büros tun, was früher mal Fachangestellte getan haben, desto ausgewogener tickt Europa. Von diesem pazifistischen Weg sollten uns die leeren Drohungen derer, die ein gutes Geschäft mit dem Sozialabbau gemacht haben, nicht abbringen.

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