Bordsteine statt Sandsäcke

Vor 60 Jahren erlebten die Orte an der Weißen Elster das bislang schwerste Hochwasser

  • Andreas Hummel, Gera
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Hochwasser der letzten Jahre beschäftigen viele Thüringer noch immer. Kein Trost - aber im Jahr 1954 war es wohl noch schlimmer. Die Flutkatastrophe von damals jährt sich nun zum 60. Mal.

Als voriges Jahr die Weiße Elster in Thüringen übers Ufer trat und Millionenschäden anrichtete, erlebten Brunhilde Oppel und einige ihrer Nachbarn ein Déjà-vu. Aus zwei Dutzend Häusern in der Geraer Hans-Delbrück-Straße waren sieben Bewohner dabei, als schon 1954 der Fluss so hoch stieg wie nie zuvor. »Ich war mit meiner Mutter allein und wir haben versucht, mit Töpfen und Schüsseln das Wasser aus dem Keller zu schöpfen«, erzählt Oppel. »Unsere Hühner hatten wir auf den Dachboden geschafft«, ergänzt Karoline Fröhlich, die gegenüber wohnt. »Sandsäcke gab es damals kaum. Deswegen hatte man Bordsteine ausgegraben und zum Schutz an den Fluss gelegt.«

Nachdem monatelang wenig Niederschlag gefallen war, sorgten Anfang Juli 1954 immense Regenmassen dafür, dass die Wasserstände der Weißen Elster und ihrer Nebenflüsse dramatisch stiegen. Laut Landesanstalt für Umwelt und Geologie regnete es damals vom 7. bis 10. Juli fast 75 Stunden lang ohne Unterbrechung. Der Fluss schwoll rapide an und sorgte für die höchsten dort jemals gemessenen Pegelstände.

Passierten bei der Flut 2013 bis zu 569 Kubikmeter Wasser pro Sekunde den Pegel in Gera, waren es am 11. Juli 1954 knapp 100 Kubikmeter mehr. Flussaufwärts in Greiz wurden damals in der Spitze 558 Kubikmeter pro Sekunde gemessen, 2013 waren es 379. Das 1954er Hochwasser an der Elster und ihren Nebenflüssen habe die Kategorie eines Jahrhunderthochwassers weit überschritten, erläutert Peter Krause von der Hochwassernachrichtenzentrale.

Alte Fotos lassen die Dramatik jener Tage nur erahnen. Sie zeigen Menschen in Schlauchbooten, die sich durch überflutete Straßen in der Greizer Innenstadt kämpfen, um in Sicherheit zu kommen und auch vom Wasser eingeschlossene Opfer mit Lebensmitteln zu versorgen; sie zeigen Helfer, die mit allen Mitteln versuchen, Dämme zu stabilisieren und zu verhindern, dass sich Treibgut an Brücken verfängt.

Immense Schäden richteten die Wassermassen nicht nur an Häusern und Betrieben an - es wurden auch etliche Dämme, Straßen und Bahnstrecken unterspült. So stürzten etwa Teile einer Bahnbrücke im Geraer Ortsteil Zwötzen ins Wasser. Ein Bericht der Geraer Stadtreinigung spricht von fast 1000 Tonnen Schlamm und Unrat, die in den ersten beiden Wochen nach dem Hochwasser beseitigt wurden. In den Unterlagen im Stadtarchiv ist zudem von zehn Millionen Mark die Rede, die allein die Instandsetzung des Flussbettes der Weißen Elster in Gera gekostet habe.

Bei den Nachbarinnen Fröhlich und Oppel im Stadtteil Untermhaus sind die Erinnerungen an jene Tage hellwach. »Ich bin auf einem W 50 evakuiert worden mit meiner Katze in der Tasche«, erzählt Oppel, damals zwölf Jahre alt, über die Flucht vor den Wassermassen per Lastwagen. Die vier Jahre jüngere Fröhlich blieb bei ihrer Mutter: »Ich habe gesagt: Wenn meine Eltern ersaufen, will ich mit ertrinken.« Ihre Mutter habe verzweifelt versucht, Gläser mit eingekochtem Obst im überfluteten Keller zu bergen, wo das Wasser letztlich bis knapp unter die Decke stieg.

Anders als voriges Jahr, als das Hochwasser manchen Betroffenen an den Rand der Verzweiflung trieb, war die Katastrophe 1954 zumindest für die damaligen Nachbarskinder auch ein Abenteuer. »Wir sind im Garten getaucht und geschwommen«, erzählt Oppel. Und Uwe König, damals 14, erinnert sich: »Wir sind in einem Backtrog übers Wasser gegondelt, haben Sachen eingesammelt und Kirschen von den Bäumen gepflückt.« dpa/nd

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