»Obwohl wir auch Menschen sind«

Auch am vierten Tag protestieren die Flüchtlinge der Gürtelstraße für ihre Rechte

  • Judith Rakowski
  • Lesedauer: 1 Min.
Immer noch verharren neun Flüchtlinge auf einem Dach und kämpfen für menschenwürdigere Asylpolitik. Menschenunwürdig werden sie dafür von der Polizei behandelt, die Strom und Wasser sperrt und einem Pfarrer verbietet Essen auf das Dach zu bringen.

Immer noch sitzen neun Flüchtlinge auf einem Dach in der Gürtelstraße in Friedrichshain, und weigern sich, das Gebäude zu räumen. Sie haben Angst, danach mittellos auf der Straße zu stehen oder abgeschoben zu werden. Seit vier Nächten haben sie keinen Zugang mehr zu Nahrung. Wasser und Strom wurden am Mittwoch abgestellt.

Vor dem Haus haben Unterstützer der Flüchtlinge Transparente aufgehängt und ein provisorisches Lager eingerichtet. Viele Anwohner zeigen sich solidarisch und bringen Lebensmittel und Getränke vorbei. Allerdings kommt es auch immer wieder zu rassistischen Anfeindungen, die Kita gegenüber hat Anzeige wegen Ruhestörung erstattet.

Die Polizei hat das Gebäude weitreichend abgesperrt, niemand erhält Zugang. Heute Vormittag verweigerte sie dem Berliner Pfarrer Ringo Effenberger den Zutritt zum Dach, die Begründung: Für seine Sicherheit könne nicht garantiert werden; es bestünde Absturzgefahr. Der ausdrückliche Wunsch der Flüchtlinge nach dem Abendmahl und seelischem Beistand wurde ihnen so unter fadenscheinigen Gründen verwehrt.

Die etwa 30 Unterstützer vor dem Haus sind eine bunter Gruppe aus Linksaktivisten, Anwohnern und anderen Flüchtlingen. Einer von ihnen ist sogar aus Paris angereist. Dickson, der bis Montag im gleichen Hostel untergebracht war, zeigt sich resigniert. „ Warum wird uns das angetan“, fragt er, „die Abmachungen waren doch ganz andere. Warum stehen die Politiker nicht zu ihrem Wort?“

Auch die Unterstützer Maik, David und Lina zeigen sich erschüttert, dass die neun Menschen so leiden gelassen werden: „Alle haben Durst und Hunger, sie sind müde und verzweifelt. Einer von ihnen ist schwer krank und sehr schwach, der Arzt konnte ihn am Telefon kaum mehr verstehen.“  

Die Sympathisanten der Flüchtlinge hoffen am Wochenende auf mehr Unterstützung. „Etwas muss passieren“, so Lina, „sonst ist es gut möglich, dass sie springen“.  

Am Nachmittag gibt die Polizei drei Flaschen Wasser aufs Dach. Drei Flaschen für neun Männer, die seit Tagen ungeschützt dem Wetter ausgeliefert sind. Dickson sitzt auf dem Boden, seine Augen sind müde, seine Stimme ist Traurigkeit: „ Warum? Niemand ist freiwillig hier, unsere Häuser wurden zerbombt, wir haben keinen Ort, an den wir gehen können. Wir möchten arbeiten aber wir dürfen nicht. Warum? Wir sind doch alle Menschen.“

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