Rot-Rot-Grün ist möglich!

Zur Landtagswahl in Thüringen

  • Susanne Hennig-Wellsow
  • Lesedauer: 8 Min.

Für DIE LINKE war die Thüringer Landtagwahl am 14. September 2014 ein klarer Erfolg. Mit 28,2% der Stimmen sind wir erneut zweitstärkste Kraft geworden – das ist noch einmal eine Steigerung unseres Ergebnisses gegenüber der Wahl von 2009 (27,4%). Und es ist das bisher beste Ergebnis der Partei bei einer Landtagswahl bundesweit. Neun Wahlkreise konnte DIE LINKE in Thüringen dieses Mal direkt gewinnen – leider vier weniger als vor fünf Jahren.

Die CDU konnte ihr Ergebnis zwar leicht verbessern, sie gewann 33,5% der Stimmen. Doch von ihrer früheren Stärke ist die Partei unter Christine Lieberknecht in Thüringen meilenweit entfernt. Seit 1990 regiert die CDU ununterbrochen, bisher war sie nur zweimal auf einen Koalitionspartner angewiesen. 1999 errang sie gar 51% der Stimmen. Die FDP flog mit nur noch 2,5% wieder aus dem Parlament, nachdem die Partei erst 2009 dorthin zurückgekehrt war.

Dramatisch war der Wahlabend für die SPD. Sie erlitt eine dramatische Wahlschlappe. Nur noch 12,4% der WählerInnen gaben der Partei ihre Stimme. Das sind 6,1 Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren, als sie in eine Koalition mit der CDU einstieg. Mit 5,7% ziehen auch Bündnis90/Die Grünen erneut in den Landtag ein. Erfreulich ist, dass die NPD erneut scheiterte: Mit 3,6% der Zweitstimmen verfehlte sie klar die 5%-Hürde. Dennoch ist es für Entwarnung zu früh: Bei den Kommunalwahlen im Mai diesen Jahres verdoppelte die Neonazi-Partei die Zahl ihrer Kommunalmandate auf über 60 in den Stadt-, Gemeinde- und Ortsteilräten sowie Kreistagen. Die Partei bleibt eine Bedrohung.

Erschreckend ist das Ergebnis für die »Alternative für Deutschland«: 10,6% der WählerInnen machten ihr Kreuz bei der rechtspopulistischen Partei, die nun mit 11 Abgeordneten in den Erfurter Landtag einzieht. Ihr Spitzenkandidat exponierte sich als Vertreter neu-rechter Ideologie. Erstmals seit 1990 gibt es nun also im Thüringer Landtag eine Fraktion rechts der CDU.

Knappe linke Mehrheit

DIE LINKE in Thüringen wirbt auch nach der Wahl weiterhin für ein politisches und gesellschaftliches Bündnis mit Bodo Ramelow an der Spitze und gemeinsam mit der SPD und Bündnis90/Die Grünen. Wir wollen zusammen die CDU nach fast 25 Jahren von der Macht ablösen und die Grundlagen für eine andere Zukunft legen – für eine soziale, demokratische und ökologische Gesellschaft.

Lange Zeit hatte Rot-Rot-Grün in Umfragen eine stabile Mehrheit. Zeitweise schien es sogar für rot-rot zu reichen. Doch der dramatische Verlust für die SPD und der leichte Stimmenrückgang bei den Grünen (-0,5 Prozentpunkte) sorgten dafür, dass nun im Landtag eine denkbar knappe Pattsituation herrscht: Sowohl CDU/SPD als auch LINKE/SPD/Grüne kommen auf je 46 Sitze und hätten so je nur eine Stimme mehr als die für eine Mehrheit nötigen 45 Sitze im Parlament.

Wir werden die Herausforderung dennoch annehmen – auch wenn die Mehrheit im Parlament nur hauchdünn ist. Deshalb hat der Landesvorstand der Partei DIE LINKE am Tag nach der Wahl beschlossen, den Grünen und der SPD Sondierungsgespräche anzubieten.

DIE LINKE Thüringen steht klar und einheitlich für ein linkes Reformprojekt. Wir wollen politische Veränderungen und nicht allein neue Gesichter auf der Regierungsbank. Wir wollen die Gesellschaft gestalten und nicht nur verwalten. Der Nutzen einer Regierung zeigt sich am Gebrauchswert für die Menschen – daran muss sich eine linke Regierung messen.

Zugleich muss ein linkes Bündnis neben dem politischen Alltagsgeschäft auch langfristige Transformationsprojekte für eine soziale, demokratische und ökologische Gesellschaft anschieben, mit denen wir die »neoliberale Hegemonie, durch die alle Lebensbereiche ökonomisiert und Gewinninteressen unterworfen und das soziale Leben fragmentiert werden, unterlaufen und durchbrechen«, wie der Politikwissenschaftler Raul Zelik im neuen deutschland schrieb. Wichtig sind der Ausbau der sozialen Infrastruktur und der öffentlichen Daseinsfürsorge in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit, öffentlicher Nah- und Fernverkehr und Wohnen. Statt Profit-Logik müssen wir andere Formen der Vergesellschaft in relevanten Bereichen des Lebens entwickeln.

Diese Projekte müssen zudem zeigen, dass gesellschaftliche Veränderung durch Politik noch möglich ist – dass nicht allein Banken und Wirtschaft bestimmen, und dass das Mantra, es gebe keine Alternative zum Kürzen, eine Lüge ist. So kann Vertrauen in Demokratie und Politik gestärkt werden, denn auch dieses muss – ein Blick auf die weiter auf 52,7% zurückgegangene Wahlbeteiligung (2009 = 56,2%) macht dies deutlich – zurück gewonnen werden. Nur in der Kombination aus praktischem Nutzwert für die Menschen und perspektivischer Gestaltungsmacht kann eine linke Regierung über den Wahltag hinaus attraktiv sein.

Die Schnittmengen eines linken Reformprojektes werden auch in den »Eckpunkten zur Landtagswahl – Anforderungen an die Thüringer Politik« des DGB Hessen-Thüringen deutlich. Diese sind der gemeinsame Kern einer möglichen rot-rot-grünen Landesregierung.

Wir wollen gemeinsam mit SPD und Grünen eine Regierung bilden, die Thüringen für mindestens fünf Jahre stabil und verlässlich entlang der Leitlinien Gerechtigkeit, Zusammenhalt, Demokratie und ökologischer Umbau regiert. Eine solche Regierung braucht – nicht nur wegen der knappen Mehrheit im Parlament – einen breiten Rückhalt in den beteiligten Parteien, in der Thüringer Bevölkerung und in der Zivilgesellschaft.

Wir werden deshalb bereits in den partnerschaftlichen Verhandlungen um einen Koalitionsvertrag Zeichen für einen neuen Stil in der Thüringer Landespolitik setzen. Und sowohl DIE LINKE als auch die SPD haben angekündigt, dass ein möglicher verhandelter Koalitionsvertrag der Zustimmung durch einen Mitgliederentscheid der Parteien bedarf.

Ein Politikwechsel mit Rot-Rot-Grün ist möglich!

Die politischen Gemeinsamkeiten von Rot-Rot-Grün stehen in Thüringen nicht nur auf dem Papier. Hier ist seit Jahren zu besichtigen, dass die Zusammenarbeit auf der kommunalen Ebene, bei außerparlamentarischen Aktionen und auch in einigen Fällen im Landtag gut funktioniert. Rot-Rot-Grün war hier schon fast so etwas wie politischer Alltag. Interessanterweise auch dann noch, als die SPD 2009 mit der CDU in die Landesregierung ging. Die Gesprächsfäden hielten und wurden noch ausgebaut.

Hier passierte bereits, worüber andere nur reden: Der erfolgreiche Netzrückkauf durch die Thüringer Kommunen, die Rekommunalisierung der Abfallentsorgung im Ilmkreis oder rot-rot-grüne Bündnisse im Kommunalen. Ebenso das gemeinsam mit BürgerInnen, Gewerkschaften und Verbänden erstrittene Volksbegehren »Mehr Demokratie« oder die wiederholten gemeinsamen Mobilisierungen gegen Nazi-Aufmärsche.

Auch hatten Absprachen in den Stichwahlen zu den OberbürgermeisterInnen und LandrätInnen 2012 zwischen SPD, Grünen und LINKE Erfolg: In mehreren Städten und Kreisen wurde die CDU verdrängt und VertreterInnen von SPD oder DIE LINKE gewählt. Gute Voraussetzungen, um nun trotz der schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Landtag daran anzuknüpfen und die guten Beispiele auf die Landesebene zu übertragen.

Natürlich gibt es politische Unterschiede zwischen Rot-Rot-Grün – in landespolitischen Detailfragen, in der politischen Kultur der Parteien, in Fragen der Bundespolitik und in langfristigen gesellschaftlichen Vorstellungen. Gäbe es sie nicht, wären wir in derselben Organisation. Für eine linke Regierung auf Landesebene, die nun in Thüringen möglich geworden ist, sollte jedoch gelten: Zuerst einmal das gemeinsam Mögliche realisieren und parallel dazu politische Differenzen abseits der Hektik der Tagespolitik klären. Hier gilt es für alle Partner, die unterschiedliche politische Kultur und Geschichte der Parteien zu akzeptieren und ein Mindestmaß an Vertrauen unter den Partnern und das Verständnis für Differenz aufzubringen. Dafür werben wir und haben entsprechende Gespräche angeboten

Natürlich ist eine linke Landesregierung bestehenden Rahmenbedingungen und »Sachzwängen« unterworfen – von Thüringer Verfassungsvorgaben für den Bildungsbereich bis hin zu verpassten Umverteilungschancen auf Bundesebene. Dabei dürfen wir nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und die »Sachzwänge« leugnen oder gar öffentlich rechtfertigen. Wir müssen sie selbst thematisieren und zum Beispiel klar machen, wo die Verantwortung dafür liegt, dass das Land zu wenig Geld hat, um Schulen zu erhalten oder Schlaglöcher zu flicken.

Eine linke Regierung muss – einerseits um die Verhältnisse irgendwann ändern zu können, andererseits aber auch um glaubwürdig zu bleiben – die Veränderung dieser »Sachzwänge« aktiv angehen, von Bundesratsinitativen bis hin zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initativen. Und: Kritik und Proteste müssen ernst genommen und eine transparentere Dialogkultur mit den BürgerInnen und den Betroffenen von Entscheidungen entwickelt werden. Dass dies ohne die aktive Unterstützung aus der Gesellschaft und die Debatte mit Bewegungen, Verbänden und Initiativen nicht gehen wird, habe ich schon angesprochen.

Nach der Wahl geht es in Thüringen nun darum, ob linke Politik weiterhin nur eine knappe rechnerische Mehrheit hat und die CDU mit ihrem Filz und ihrer Selbstbedienungsmentalität weiter an der Macht bleibt – oder ob ein linkes Reformbündnis Gestaltungsmacht bekommt: Damit die Kommunen endlich solide finanziert werden und Bildung wieder in den Mittelpunkt der Politik rückt, die Zeit der Thüringer Geheimdienst-Skandale beendet und Gute Arbeit und ordentliche Mindestlöhne umgesetzt werden, damit eine ökologische Energiewende sozial gestaltet wird und Demokratie und Mitbestimmung gefördert werden. Und nicht zuletzt auch, damit deutlich wird, dass neoliberaler Politik ein Stoppschild gesetzt und Umverteilungspolitik auch eine andere Richtung annehmen kann – von Oben nach Unten.

Dafür ist die Ausgangslage in Thüringen nicht schlecht: Es gibt programmatische Gemeinsamkeiten, es gibt gemeinsame politische Erfahrungen und Erfolg und es gibt eingespielte Gesprächsebenen. Die WählerInnen haben ebenso wie schon 2009 erneut eine Mehrheit geschaffen, die eine progressive Regierung möglich macht. Nun ist eigentlich nur noch eines wichtig: Anfangen und das Nötige möglich machen.

Susanne Hennig-Wellsow ist Vorsitzende der Partei DIE LINKE Thüringen und wurde erneut mit einem Direktmandat in den Landtag gewählt. Eine ausführliche Fassung dieses Beitrags mit einer detaillierten Darstellung der inhaltlichen Positionen der thüringischen LINKEN für die verschiedenen landesspezifischen Politikfelder erscheint in der Printausgabe 10-2014 von Sozialismus.

Quelle: http://www.sozialismus.de

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