Der Krieg in den Augen

Martin Roemers fotografierte Menschen, die durch Krieg erblindeten - Ausstellung im DHM

  • Jan Schapira
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind die Augen, die der Fotograf Martin Roemers in den Fokus setzt. Der Hemdkragen, die Ohren und oft auch die Nasen der alten Menschen verschwimmen in der Unschärfe der Aufnahme. Der Blick des Betrachters konzentriert sich ganz auf die Pupillen, die selbst nichts mehr sehen. »The Eyes of War«, zu Deutsch also »Die Augen des Krieges«, heißt die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, in der 40 Menschen gezeigt werden, die durch die Gewalt des Zweiten Weltkrieges erblindeten.

Nahe ist der Niederländer Roemers diesen Menschen gekommen: Jedes Haar, jede Falte ist zu sehen, noch die Strahlen der Iris. Der Stil der Aufnahme wiederholt sich bei jedem dieser Bilder in Schwarz-Weiß: Es zählt nur das Gesicht mit seinen Kriegsnarben und den zerstörten Augen. Auf jede Art der Einordnung der Person und ihrer Lebensgeschichte wurde im Foto selbst verzichtet. Zu einem Dokument des Zweiten Weltkrieges und seinem Fortwirken im Leben dieser Menschen werden die Aufnahmen durch die kurzen Texte neben den großformatigen Bildern. Es sind unkommentierte Zeugnisse, in denen die Fotografierten selbst erzählen, was ihnen geschah.

Werner Vaneste erblindete als Kind, als die belgische Armee versuchte, den Vormarsch der Deutschen zu stoppen und dabei das Haus beschoss, in dem er Schutz gesucht hatte. Frederick Bentley verlor seine Augen auf Patrouille im französischen Caen durch eine deutschen Granate. Schwer verletzt von seinen Kameraden zurückgelassen, konnte er sich nur unter größter Anstrengung zu den eigenen Linien retten. Oder auch der Deutsche Robert Grosskopf, der mit der Wehrmacht in Frankreich, Polen und Russland Krieg führte und für seine Taten mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse ausgezeichnet wurde. 1944 erblindete er durch einen Kopfschuss. Auf dem Foto hält er ein Auge geschlossen, das andere fehlt.

Die Bilder in der Ausstellung machen keinen Unterschied zwischen Zivilsten und den Soldaten verschiedener Nationalität. Diese Gleichheit der Porträtierten vor Roemers’ Kamera, die durch die immer gleiche Art der Aufnahme und die unkommentierten Textzeugnisse entsteht, ist sowohl Stärke als auch Schwäche der Ausstellung.

Denn einerseits wird durch die fehlende Differenzierung zwischen den einzelnen Personen der Eindruck erweckt, dass es keinen Unterschied mache, ob man nun als Wehrmachtssoldat in Russland oder als unschuldiger kleiner Junge verletzt worden ist. Unpolitisch und indifferent gegenüber den einzelnen Biografien wirken dadurch Roemers’ Bilder. Andererseits erscheinen durch diese Darstellung alle Porträtierten als das, was sie unleugbar auch sind: Menschen, die unabhängig von ihrer Nationalität und unabhängig von möglicherweise begangener Untaten durch den Krieg mit der gleichen schweren Verletzung gezeichnet wurden.

»Mein Ziel ist es zu zeigen, wozu Krieg führt«, sagt der 1962 geborene Fotograf. Die Bilder seien aber nicht aus der Intention heraus entstanden, die Welt zu verändern. Seine Aufnahmen sind keine Antikriegspropaganda. Roemers Absicht ist es zu dokumentieren, ohne dass er dabei selbst eine politische Agenda verfolgt. Dennoch ist er sich der Aktualität und Universalität seines Themas bewusst: »Menschen weltweit erblinden jeden Tag durch Krieg.«

Das Thema Krieg hat den zwei Mal mit dem »World-Press-Photo«-Preis ausgezeichnete Roemers wiederholt beschäftigt. So hat er Bücher veröffentlicht mit Fotos von ISAF-Soldaten im afghanischen Kabul, von den architektonische Überresten des Kalten Krieges in Europa oder den Emotionen von Weltkriegsveteranen bei ihren Gedenkfeiern. Erblindung und Krieg begann Roemers 2004 zu beschäftigen, als er beim Jahrestag des D-Days in der französischen Normandie den blinden Kriegsveteranen Frederick Bentley kennenlernte.

In den folgenden Jahren fotografierte und interviewte Roemers Veteranen aus zahlreichen europäischen Ländern. In der Regel sei es nicht schwierig gewesen, die alten Menschen zu einem Foto zu bewegen, sagt Roemers: Viele hätten ihre Geschichte erzählen wollen, denn ihrem spezifischen Schicksal während und nach dem Krieg sei nie größere Aufmerksamkeit gewidmet worden.

Nicht nur wegen des Themas der Ausstellung ist es erfreulich, dass das Deutsche Historische Museum die Schau barrierefrei gestaltet hat. So stehen für Blinde und sehbehinderte Besucher die Ausstellungstexte in Braille-Schrift zur Verfügung. Und der Audio-Guide lohnt sich auch für Sehende: Die mitunter poetischen Beschreibungen der Bilder schärfen den Blick für die Details der Aufnahmen.

»The Eyes of War. Fotografien von Martin Roemers« im Deutschen Historischen Museum Berlin. Bis zum 4. Januar 2015. Katalog 35 €.

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