Hering oder Sonne

Vitamin D stärkt Knochen, beugt Tuberkulose vor und unterstützt Stoffwechsel, Herz und Nerven

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.
Wenn die kalte Jahreszeit beginnt, fehlt dem Menschen häufig die Sonne für die Bildung von Vitamin D. Eine Alternative ist der Verzehr von Fisch. Mitunter aber reicht auch das nicht aus.

»Meine Mutter nähte in Heimarbeit Überzüge für Schreibmaschinen. Ich saß derweil am Fenster des großen Mietshauses, denn ich durfte nicht allein hinaus.«, so klagt Frau Erika G. an so manchem sonnigen Tag. Das Fenster von damals zeigte zur Nordseite. So wie sie als Kind unter dem Mangel an direktem Sonnenlicht zu leiden hatte, so ist die alte Frau jetzt betrübt darüber, nicht mehr selbst die kleine Treppe vorm Haus hinab in den Garten gehen zu können.

Mindestens dreimal wöchentlich und je nach Hauttyp zehn bis zwanzig Minuten Sonne auf Gesicht, Dekolleté, oberen Rücken, Arme und Beine werden für die Monate von April bis Oktober in unseren Breiten empfohlen, um in der Haut aus Cholesterin einen guten Vitamin-D-Vorrat für den Winter zu bilden. Viele Senioren und Pflegebedürftige, aber auch Berufstätige und Schulkinder haben jedoch nicht die Möglichkeit, genügende Speicher anzulegen. Für ältere Menschen kommt erschwerend hinzu, dass eine gealterte Haut nicht mehr so viel Vitamin D bilden kann wie die Haut in der Lebensmitte.

Umso wichtiger wird die Aufnahme von Vitamin D über die Nahrung. Hoch im Norden lebende Eskimos machen es vor, wie mit Fettfischen, zu denen der Hering gehört, sowie Dorsch- oder Robbenleber ein ausreichender Vitamin-D-Status aufrecht erhalten werden kann. Der ist nicht nur zur Vorbeugung und Therapie einer Brüchigkeit der Knochen (Osteoporose) oder zur Abwehr von Tuberkuloseerregern wichtig, auch Stoffwechsel, Muskelkraft, Herz und Nerven profitieren davon. Über den optimalen Blutspiegel von Vitamin D, das im Grunde eine Hormonvorstufe darstellt, sind sich die Wissenschaftler noch nicht ganz einig. Um beispielsweise Knochen- und Muskelschmerzen oder Morbus Parkinson vorzubeugen, empfiehlt Dr. Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler und Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHPG) in Saarbrücken, einen Spiegel von über 30 Nanogramm pro Milliliter (ng/ ml) oder 75 Nanomol pro Liter (nmol/ l), eine häufig von Laboren gebrauchte Einheit. Das reicht jedoch Experten zufolge nicht aus, wenn man das Risiko für Krebserkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Infektionen und Herz-Kreislauf-Krankheiten verringern möchte. Hierfür wären Blutspiegel über 40 Nanogramm pro Milliliter anzustreben, die sich ganz sicher nicht allein mit vollwertiger Ernährung absichern lassen.

Ein Mensch müsste täglich 400 Gramm Brathering, Matjes, Rollmops oder Sprotten verzehren, um so viel Vitamin D aufnehmen zu können. Der Hering zählt unter den Nahrungsmitteln neben der Dorschleber zu den besten Vitamin-D-Quellen. Weit weniger ergiebig sind Avocado, Bananen, Speisepilze, Eier oder Butter. Es bleibt folglich nur die Alternative, die Ernährung im Winter mit Vitamin-D-Supplementen zu ergänzen - je nach Körpergewicht wird die Zufuhr von 2000 bis 4000 Internationalen Einheiten (I.E.) bzw. 100 Mikrogramm Vitamin D pro Tag empfohlen. Einige Hersteller verwenden als Mengenangabe Mikrogramm. 4000 I.E. entsprechen 100 Mikrogramm. Für zahlreiche synthetisch hergestellte Vitaminergänzungen gibt es inzwischen tatsächlich eher die Erkenntnis, dass sie mehr schaden als nützen, aber bei Vitamin D macht auch der renommierte Ernährungswissenschaftler Dr. Nicolai Worm eine Ausnahme.

Lebertran zur besseren Vitamin-D-Versorgung, wie es frühere Generationen zu schätzen wussten, wird inzwischen nicht mehr uneingeschränkt empfohlen, da sich hier vermehrt Schadstoffe ansammeln und das Verhältnis von Vitamin A zu D als sehr ungünstig erweist. Um Vitamin-D-Tabletten herzustellen, wird heutzutage das cholesterinhaltige Wollfett von Schafen, das Lanolin, mit UVB-Licht bestrahlt. Für Veganer wird zunehmend Vitamin D aus Speisepilzen gewonnen und als Nahrungsergänzungsmittel angeboten.

Das zur Behebung eines Vitamin-D-Mangels hergestellte Vigantol Öl kann vom Arzt verschrieben werden. Die wenigen täglich benötigten Tropfen lassen sich aufs Brot, einen Löffel Avocadocreme, aufs Herings-Häckerle oder die Lieblingsspeise träufeln und können sicherlich auf diese Weise auch von pflegebedürftigen Menschen gut angenommen werden.

Heringe sind nicht nur in Nord- und Ostsee, sondern im gesamten Nordatlantik von Norwegen über Grönland bis zu den Küsten von North Carolina unterwegs. Ein Vorteil der kleineren heringsartigen Fische, zu denen auch Sardinen und Sardellen gehören, für die Gesundheit: Sie stehen am Anfang der Nahrungskette und sammeln daher weniger Schadstoffe an als größere Raubfische wie Lachs oder Thunfisch. Bei der Auswahl der nächsten Fischmahlzeit wäre es dem Leben im Meer zuliebe außerdem gut, sich zu vergegenwärtigen: Für ein Kilogramm Lachs müssen ganze vier Kilogramm kleinere Wildfische verfüttert werden.

Die Hauptfangsaison des Herings läuft von Juni bis in den Herbst. Die fettreichen Fische, die sich in den Sommermonaten von Vitamin-D-haltigem Plankton ernähren, sind besonders zart, werden bevorzugt zu Matjes veredelt und dürften besonders reich an Vitamin D sein. Die Bezeichnung »grüne Heringe« meint die jungen, frischen Fische, die noch nicht als Salzhering eingelegt wurden. Der in Schweden beliebte süß-sauer eingelegte Sill mag vielleicht ganz besonders den nachlassenden Geschmackspapillen älterer Menschen zu schmeicheln.

Und so erweist der Sohn von Erika G. der Gesundheit seiner Mutter einen großen Dienst, wenn er seine Mutter im Sommer zur Gartenbank vor dem Haus begleitet, um ein halbes Stündchen mit ihr in der Vormittagssonne zu sitzen, bevor er zur Spätschicht aufbricht. Zusätzlich wäre zu empfehlen, wenn die pflegende Tochter oder eine Helferin vom Pflegedienst der alten Dame im Herbst und Winter regelmäßig Sill oder einen Rollmops auftischten.

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