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Das linke Islam-Tabu

Linke überlassen die Religionskritik zunehmend den Rechten - und stabilisieren ungewollt den strukturellen Rassismus

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 6 Min.

Linke tun sich schwer damit, den Islam zu kritisieren. Weil vor allem muslimische (Post-) Migranten in Deutschland einer massiven Diskriminierung ausgesetzt sind, entwickeln viele Linke die Neigung, jede Kritik am Islam mit noch schärferen Volten gegen den grassierenden »antimuslimischen Rassismus« zu kontern. So ist das Thema »Islam« aktuell eine Domäne der Nazis, der rechtspopulistischen Rattenfänger (Sarrazin, AfD), der reaktionären Ex-Feministinnen (Alice Schwarzer) und der neoliberalen Komiker (Dieter Nuhr). Deren »Kritik« am Islam hält den strukturellen Rassismus in Deutschland aktiv mit am Laufen.

Linke Religionskritik existiert derzeit nur in Nischendebatten, weil bislang kein Weg gefunden ist, zwischen den brüchigen Fronten der rassistischen Hassprediger und der notwendigen Kritik an machtversessenen Religionen wie dem Islam zu agieren. Warum sollte es sich widersprechen, diejenigen vor Unterdrückung zu schützen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden und sich zugleich massiv gegen die in weiten Teilen dieser Welt brutal sich auswirkenden muslimischen Glaubenssätze zu wenden? In einigen Staaten des Nahen Ostens werden Homosexuelle geköpft, scheidungswillige Frauen gesteinigt und alle Nicht-Muslime als unwertes Leben betrachtet. Alles unter plausibler Berufung auf den Koran.

Wer auch immer sich kritisch über den Islam äußert, den stecken linke Gruppen gerne in den »Deutscher Mob«-Sack und prügeln mit der verbalen »Rassismus«-Keule ordentlich drauflos. Das gilt selbst dann, wenn handfeste Gewalt angeprangert wird. Als vor zwei Jahren die Beschneidungsdebatte schwelte, ergab eine Umfrage nach der anderen, dass eine überwältigende Mehrheit sich gegen die Legalisierung medizinisch nicht indizierter Vorhautentfernungen aussprach. Im Judentum und im Islam ist es Brauch, dass Knaben am achten Tag nach der Geburt bzw. im Laufe ihrer ersten Lebensjahre beschnitten werden. Innerhalb der Linken verbreitete sich fast einmütig die Meinung, diese Rituale dürften niemals verboten werden.

Zwei prägnante Beispiele reichen hier aus: In einer Ausgabe der Zeitschrift »marx21« sprachen sich damals mehrere Artikel für das Recht auf rituelle Knabenbeschneidung aus. Gegenstimmen gab es nicht. In einem Interview durfte der Soziologieprofessor Achim Bühl das Urteil des Kölner Landgerichts, das damals die religiöse Beschneidung als Körperverletzung eingestuft hatte, als antisemitisch und antimuslimisch bezeichnen. Ja, er titulierte es sogar als rassistisch, weil das Gericht in seiner Begründung betonte, wie irrsinnig die Amputation eines funktional wichtigen Körperteils ohne Zustimmung der Betroffenen ist.

Christine Buchholz, eine ansonsten kluge Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, begründete damals das Recht auf Beschneidung mit dem Totschlagargument, die Debatte bediene »die Klischees von herzlosen Juden und Muslimen«. Für sie zählen damit religiöse Gefühle von Erwachsenen mehr als körperliche Qualen von Kindern. Tatsächlich wäre ein Verbot dieser Riten kein Eingriff in die Religionsfreiheit, sondern eine überfällige Stärkung der Religionsfreiheit der Kinder, die erst dann das Recht hätten, selbst zu entscheiden, was mit ihrem Körper geschieht. Das ist weder antisemitisch noch islamophob.

Auf einfacher gestrickte Stammtischparolen von »Kameltreibern« und »Zigeunern« scheint dieser Vorwurf dagegen auf den ersten Blick zuzutreffen. Aber auch hinter solchen Auffassungen verbirgt sich meist nicht etwa ein überzeugter Rassist, sondern ein schlecht informierter Mensch. So reden die Leute nun mal. Wenn Linke ihre Ausdrucksweise als Ausrede verwenden, um ihnen nicht zuhören zu müssen, dann verschließen sie sich dem, was ihre ureigene Klientel zu sagen hat. Ein erster Schritt, schwierige Gegenmeinungen zu begreifen, bestünde darin, Empathie zu zeigen gegenüber denen, die Islamkritik betreiben und dabei Migranten alltagschauvinistisch begegnen. Auch wenn es unangenehm sein mag, sich in solche Diskussionen zu begeben: Es lohnt sich, denn bei den meisten dieser Menschen handelt es sich nicht um debile Dummdeutsche, sondern um durch den repressiven Neoliberalismus arg bedrängte Kreaturen, deren Seufzen eine nicht mehr religionskritische Linke krampfhaft zu überhören versucht.

Sie sind sozusagen die Kehrseite der nicht existenten linken Religionskritik: Linke tabuisieren wider besseren Wissens jegliche Islamkritik, weil Muslime strukturell diskriminiert werden; ein erheblicher Teil der Bevölkerung wiederum betreibt wissend Islamkritik und zieht den falschen Schluss, Muslime würden durch die Politik privilegiert. Die Wahlsiege der AfD, die hohen Verkaufszahlen der Sarrazin-Bücher oder der kabarettistische Erfolg eines Dieter Nuhr beruhen auch auf diesem Aneinander-Vorbeireden zwischen linken Aktivisten und breiter Bevölkerung. Selbstredend ist es kein Naturgesetz, nach dem ein mit materieller Prekarität gepaartes Leben ohne bürgerliches Bücherwissen notwendig in einem reaktionären Weltbild mündet.

Im gegenwärtigen autoritären Kapitalismus kann aber zweifellos nur links werden, wer über genug Selbstwertgefühl verfügt, sein Leben abseits jeder Mainstream-Meinung zu verbringen. Das gelingt meist nur Akademikern, weil die sich ihre Anerkennung über das angehäufte kulturelle Kapital besorgen können. Wer nicht studiert hat, gilt hierzulande kaum als kultiviert und muss, um Anerkennung zu erfahren, auf materielle Sicherheit im Sinne des schwäbischen »Schaffe, schaffe, Häusle baue« schielen. Und die ist fast nur über bedingungslose Anpassung an den gesellschaftlichen Status Quo zu erreichen. In einer Gesellschaft, in der jeglicher mit Nicht-Erwerbstätigkeit verbundene Transferleistungsbezug sozial wie ökonomisch hart sanktioniert wird, tendieren die meisten Menschen zu einer konservativen Lebensweise, die staatliche Sozialleistungen als Almosen ablehnt und mangels Erbschaften ein hartes Arbeitsleben in Kauf nehmen muss, statt auf Selbstverwirklichung zu setzen.

Nur mal angenommen, die mit dem Rassismus-Vorwurf gegen alle Islamkritiker aufwartenden Linken wären in einer sozialen Situation wie die Mehrheit in diesem Land: Ihnen würde morgens die »Bild«-Zeitung mit einem typisch-manipulativen »Immer mehr Ausländer kassieren Hartz IV« entgegenkotzen, mittags erklärte ihnen der Chef in der Kantine, dass sich bewerbende »Turbanträger« stets unqualifiziert seien, und nach Feierabend, wenn sie wegen der körperlichen Arbeit nur noch fernsehen und ins Bett wollen, referierte Claus Kleber im »heute-journal«, was die Flüchtlingsströme den deutschen Steuerzahler angeblich so alles »kosten«; und das jeden Tag aufs Neue.

Dann würden auch studierte Linke irgendwann die politisch-ökonomische Migrantenfeindlichkeit leugnen, weil sie eben weder Zeit noch Muße hätten, sich in schwer zugänglichen Alternativmedien oder Büchern linker Verlage über die Fakten zu informieren. Werden diese Menschen nun auch noch als Rassisten diffamiert, treibt man sie noch mehr in die Arme der europaweit im Aufwind befindlichen Rechtspopulisten. Was sie brauchen, ist ein leichterer Zugang zu ihnen bisher vorenthaltenen Informationen - und Argumentationshilfe für eine differenzierte Islamkritik. Wer sollte dies leisten, wenn nicht die Linken?

Ihre Aufgabe müsste es zunächst sein, den Unterschied zwischen rechter und linker Islamkritik zu popularisieren. Während die Rechten behaupten, »der Islam« passe nicht zu »unseren christlichen Werten«, und diesen kulturellen Rassismus taktisch geschickt als »Islamkritik« tarnen, müssten Linke klarstellen, dass weder das Christentum noch der Islam zum Fundament einer emanzipatorischen, sozial gerechten und friedlichen Gesellschaft taugen, weil beide ein reaktionäres Familien- und Menschenbild propagieren. Jede politische Vereinnahmung dieses Geistes geistloser Zustände muss zwingend linke Gegenwehr hervorrufen. Dazu müssten die Linken aber unbedingt die gute alte Religionskritik reanimieren und zugleich das mal überhebliche Lachen, mal aggressive Schimpfen über die angeblich rassistische Masse einstellen, um mit ihr in einen produktiven Dialog treten zu können. Nur so ließe sich endlich ein gesamtgesellschaftlicher Weg finden zwischen einer radikalen Bekämpfung der rassistischen Strukturen, die ganz legal Menschen im Mittelmeer ersaufen lassen oder muslimische Migranten sozial benachteiligen, und einer ebenso radikalen Bekämpfung des in weiten Teilen der Welt reaktionäre Ausmaße annehmenden politischen Islam.

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