Meckerköppe marschieren nicht

Erster Pegida-Spaziergang in Brandenburg/Havel stößt auf Ablehnung und Desinteresse

Unter dem Motto »Im Sinne der Pegida-Bewegung« liefen am Montagabend rund 100 Menschen durch Brandenburg/Havel. Sie trafen auf 500 Gegendemonstranten. Damit konnte sich in Brandenburg die Pegida-Bewegung nicht etablieren.

100 Teilnehmer hatten die Veranstalter erwartet. Ungefähr so viele könnten es tatsächlich sein, die am Montagabend zum ersten »Pegida-Spaziergang« in Brandenburg/Havel gekommen sind. Aufgerufen hat die Gruppierung Brandenburger für Meinungsfreiheit & Mitbestimmung (BraMM-Pegida). Versammlungsleiter ist Heiko Müller. Der Mann ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Republikaner (REP). Der REP-Landesverband betont jedoch, Müllers Engagement für die BraMM-Pegida sei seine Privatangelegenheit und die Bewegung überparteilich. Nach Einschätzung des Innenministeriums ist es dennoch die 1983 gegründete Splitterpartei REP, die hinter der Sache steckt.

Es ist fraglich, ob in einer Woche wie erhofft tatsächlich 250 Leute kommen. Dirk Wilking vom Demos-Institut für Gemeinwesenberatung und Jonas Frykman vom Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt scheinen im Augenblick richtig zu liegen mit ihrer Vorhersage, dass die islamfeindliche Pegida-Bewegung im Land Brandenburg nicht mit großem Zulauf rechnen könne.

Matthias Osterburg, Ex-Schatzmeister der märkischen Linkspartei, kennt die Einwohner seiner Heimatstadt Brandenburg/Havel genau. Obwohl der typische Brandenburger viel und gern schimpfe, sei die Stadt für einen Pegida-Marsch die falsche Wahl, weiß Osterburg. »Der Brandenburger ist ein Meckerkopp, aber er demonstriert nicht.« Insofern ist es erstaunlich, dass auf einer abgeteilten Hälfte des Neustädtischen Marktes dicht gedrängt rund 500 Gegendemonstranten stehen. Mit dabei Bildungsminister Günter Baaske (SPD) mit seiner kleinen Tochter auf der Schulter. »Das ist wahrscheinlich die größte Kundgebung in der Stadt seit den Hartz-IV-Protesten vor elf Jahren«, sagt Osterburg.

Dabei ist es windig, kalt und nass. Vor dem Regen findet Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU) Schutz unter einem Schirm von Justizminister Helmuth Markov (LINKE). Diese ungewöhnliche Koalition gegen das Wetter belustigt den hinzutretenden Landtagsabgeordneten Ralf Holzschuher (SPD). Schließlich hatte die Landes-CDU lieber einen eigenen Aufruf gegen Pegida veröffentlicht, als sich einer Erklärung der anderen demokratischen Parteien anzuschließen. Justizminister Markov schmunzelt: »Der große Schirm des Landes Brandenburg ist für alle da.« Später versichert er in seiner Rede: »Wir sind Brandenburg, wir sind tolerant.« Lars Buchholz von der Gewerkschaft IG Metall erzählt unter fröhlichem Beifall seiner Zuhörer, in den hiesigen Betrieben sei es egal, ob jemand aus Japan, Senegal, Sachsen, Russland oder von anderswo herkommt. »Ob Christ, Muslim oder Atheist, wir leben gemeinsam.«

Mit Blick auf die Pegida-Anhänger, die sich auf der anderen Seite des Neustädtischen Marktes sammeln, sagt Oberbürgermeisterin Tiemann: »Die gehören hier nicht hin. Die wollen wir hier nicht haben.«

Diese Worte schallen klar herüber zu dem kleinen Bereich, der für die BraMM abgezirkelt ist. Hier gibt es große Probleme mit der Tontechnik, so dass anfangs höchstens mal ein Wortfetzen wie »straffällig gewordene Asylbewerber« oder »Grenzkriminalität« zu verstehen ist. Der Rest ist ein einziges Gebrabbel. Störungsfrei funktioniert das Mikrofon zu keinem Zeitpunkt. Doch das Gefummel an den Reglern führt immerhin dazu, dass einige Sätze von Versammlungsleiter Müller doch noch zu erfassen sind. »Wir wollen sagen können: Ich bin ein freier deutscher Bürger« oder »Die Patrioten werden am Anfang verlacht, doch am Ende siegt immer die Freiheit«.

Schließlich lässt Müller wissen: »Wir werden jetze (!) 15 Minuten innehalten.« Dann wolle man aufbrechen und friedlich nach Hause gehen, ermahnt er. Ein junger Mann und eine junge Frau sind noch unschlüssig. Sie stehen zwischen den beiden Kundgebungen und sagen, dass sie weder zur einen, noch zur anderen Seite gehören. Als vom Lautsprecherwagen der Gegendemonstration ein Rapsong herüberschallt - eine Liebeserklärung an die Stadt »Branne«, die dem jungen Mann gefällt - da überlegt er schon, dort hinüberzugehen. Dann schließt er sich aber doch dem Pegida-Marsch an - um zu laufen, damit ihm warm wird. Obwohl er kaum ein Wort von den Reden verstanden hat und nicht genau sagen kann, um welche Inhalte es hier geht. Im Anschluss meldet die Polizei, sie ermittle gegen einen 39-Jährigen, der den Hitlergruß gezeigt habe. Allerdings bleibt eine derart eindeutige Meinungsbekundung der Einzelfall.

Es werde behauptet, dass die Pegida-Leute Rassisten seien, aber das stimme gar nicht, behaupten tapfer der junge Mann und das Mädchen an seiner Seite. In Erklärungsnöte bringt sie ein Pappschild, auf das gemalt ist: »Antirassismus, weltoffen, bunt, Vielfalt sind Kennwörter für weißen Genozid.« Auch die typische Kleidung der Neonaziszene einiger Teilnehmern lässt sich nicht wegdiskutieren. Das Mädchen läuft trotzdem mit. Zum Nachdenken bleibt ihr nun keine Zeit mehr, denn der Spaziergang biegt schon ein in die Steinstraße.

Den Marschierenden wird hinterhergepfiffen, es wird »Pfui« und »Nazis raus« gerufen. Die so vom Neustädtischen Markt Verabschiedeten verhalten sich etwa hundert Meter lang ruhig. Dann erschallt kurz ihr Slogan: »Wir sind das Volk.« Das Volk selbst steht in den Hauseingängen und schaut verwundert zu. »Die machen mir Angst«, bekennt ein alter Herr. Er schimpft: »Ich weiß nicht, was die wollen. Die können reisen, die können Arbeit finden. Die wollen nur ihr Mütchen kühlen.« Eine Frau ist überzeugt: »Die sind nicht von hier. Wir demonstrieren nicht.« Seite 9

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