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Stegner: SYRIZA-Regierung nicht diffamieren

Athen: Führung der Privatisierungsbehörde entlassen / Gysi: Troika ist gescheitert, Merkel ist gescheitert / SYRIZA stoppt Kooperation mit der Troika - Unionspolitiker empört / Oettinger nennt Tsipras »frech und unverschämt«

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 19.25 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der neuen griechischen Regierung Unterstützung zugesagt - unter Bedingungen. »Wir, also in Deutschland und die anderen europäischen Partner, warten jetzt erst einmal ab, mit welchem Konzept die neue griechische Regierung auf uns zukommen wird«, sagte Merkel dem »Hamburger Abendblatt«. Wenn Reformanstrengungen unternommen würden, werde es »auch weiterhin Solidarität für Griechenland« geben, sagte die wegen des harten Sparkurses bei vielen Griechen unbeliebte Bundeskanzlerin und betonte: »Ich freue mich darauf, die Freundschaft unserer beiden Völker weiter stärken zu können.« Gleichzeitig sprach sie sich - ebenso wie Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in der »Welt« - erneut gegen einen weiteren Schuldenschnitt aus.

Update 16 Uhr: Der Präsident des Zentralrats der Juden in Griechenland, Moses Constantinis, hat sich optimistisch gezeigt, dass SYRIZA »nicht nur die gute Zusammenarbeit, die es zwischen Griechenland und Israel seit Jahrzehnten gibt, nicht gefährdet, sondern vielleicht sogar stärkt«. Gegenüber der »Jüdischen Allgemeinen« sagte Constantinis. »Wir sind auch zuversichtlich, dass SYRIZA vielleicht einmal in der Lage sein wird, im Friedensprozess im Nahen Osten eine positive Rolle zu spielen«, sagte er in dem Interview, das unter der Überschrift »Wir vertrauen SYRIZA« erschien.

Update 15.40 Uhr: Die SPD warnt nach dem Bruch der neuen griechischen Regierung mit der Troika vor übereilten Reaktionen. »Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, sagte der stellvertretende Vorsitzende Ralf Stegner am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Es gelte, die weiteren Gespräche zwischen Brüssel und Athen abzuwarten. Griechenland will künftig nicht mehr mit der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission zusammenarbeiten, die im Gegenzug für Milliardenhilfen die Umsetzung von drastischen Sparauflagen überwacht. Stegner warnte vor einer Diffamierung der neuen Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras: »Meiner Meinung nach ist Respekt vor dem demokratischen Wahlergebnis und Gelassenheit gegenüber der neuen griechischen Regierung angebracht, auch wenn einem gerade der rechtspopulistische Teil der Regierung wirklich nicht gefallen kann.«

Update 14 Uhr: EU-Kommissar Günter Oettinger (CDU) wirft der griechischen Regierung ein »freches und unverschämtes Auftreten« vor. »Athen muss seine Verpflichtungen gegenüber Europa erfüllen. Es kann nicht sein, dass eine Regierung von Brüssel besser behandelt wird, weil sie frech und unverschämt auftritt. Wir dürfen Athen deshalb jetzt nicht abstrafen, aber es hat keine Verbesserung zu erwarten«, sagte Oettinger am Samstag bei einer CDU-Klausur in Hessen. Die Brüskierung der EU-Institutionen sei »ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte der EU. Wer solch einen Ton anschlage und neue Feindbilder aufbaue wie die Regierung von Alexis Tsipras, der schüre Hass und Verzweiflung«, sagte Oettinger.

Update 12.30 Uhr: Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis zieht seinen Besuch in Paris vor. Varoufakis werde schon am Samstag in die französische Hauptstadt reisen und nicht, wie ursprünglich geplant, erst am Montag, teilte sein Ministerium mit. Die Gespräche mit französischen Regierungsvertretern sollen demnach am Sonntag stattfinden. Varoufakis hatte eigentlich am Sonntag nach London reisen sollen und tags darauf nach Paris. Dort wollte er seinen französischen Kollegen Michel Sapin und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron treffen. Sein neues Programm war zunächst nicht bekannt.

Update 11.30 Uhr: Die neue Regierung in Athen hat die Führung der griechischen Privatisierungsbehörde (TAIPED-HRADF) entlassen. Dies berichtete am Samstag die griechische Presse. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen des Finanzministeriums erfuhr, sei dies »ein erster Schritt für die neue Privatisierungspolitik« der Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras. Nach dem Stopp der Privatisierungen sind Pläne für den Verkauf von Teilen der Elektrizitätsgesellschaft DEI, der Verpachtung von Teilen der Häfen von Piräus und Thessaloniki, der Privatisierungen der griechischen Eisenbahnen sowie staatlicher Raffinerien auf Eis gelegt. Unklar blieb auch, ob die vom deutschen Betreiber Fraport Ende 2014 vereinbarte Übernahme von mehreren Regionalflughäfen Griechenlands stattfinden wird. Mit der Entlassung der Führung des TAIPED solle nach Regierungsangaben die Politik des »Ausverkaufs« durch Privatisierungen gestoppt werden. Künftig würden Privatisierungen demnach nur dann stattfinden, wenn sie tatsächlich neue Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum fördern. Die Privatisierungen sind ein wichtiger Teil des mit den Europartnern vereinbarten Programms für Griechenland. Allerdings blieben das Interesse von Investoren und dementsprechend die Erlöse bisher deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück.

Update 8 Uhr: Die Vorsitzende der Linksfraktion im Europaparlament, Gabi Zimmer, hat das Vorgehen der griechischen Linkspartei SYRIZA nach der Wahl vor einer Woche verteidigt. »Wegen der humanitären Krise stehen Menschenleben auf dem Spiel. Ein Kartell von Konservativen und Sozialdemokraten in Griechenland hat bisher jegliche soziale Entlastung verhindert«, sagte sie der »Mitteldeutschen Zeitung«. In einer »historischen Notlage« sei deshalb die Koalition mit der nationalistischen ANEL geschlossen worden, um das Ruder herumzureißen, habe SYRIZA-Chef Alexis Tsipras Mehrheiten ge gebraucht. »Statt arroganter Entrüstung sollten sich deutsche Politiker und Medien eher fragen, welche Anteile Merkels harscher Sparkurs am Zustandekommen dieser Koalition hat«, sagte Zimmer mit Blick auf die in Deutschland geführte Debatte über die Koalition. Eine Blaupause für eine wie auch immer geartete Annäherung zwischen Linken und Rechtspopulisten könne sie nicht erkennen.

Update 7.55 Uhr: Für den Samstag ist in Madrid eine große Kundgebung von Spaniens neuer Linkspartei Podemos (Wir können) angekündigt. Im Vorfeld der im Frühjahr anstehenden Regional- und Kommunalwahlen will die aus der Bewegung der »Empörten« hervorgegangene Partei mit der Demonstration ihre Stärke unter Beweis stellen.

Linksfraktionschef: Beispiel der Regierung in Athen wird Schule machen

Berlin. Das Beispiel der neuen Regierung wird nach Ansicht von Linksfraktionschef Gregor Gysi Schule machen. Der Linkenpolitiker sagte der Nachrichtenagentur dpa, auch andere finanzschwache Länder würden nun auf Distanz zu Angela Merkel (CDU) und die maßgeblich von der deutschen Bundeskanzlerin angetriebenen Spardiktate gehen. »Die Troika-Politik der Europäischen Union ist gescheitert. Und damit ist Merkel hier gescheitert, denn es ist ihre Politik«, sagte Gysi. Der Internationale Währungsfonds (IWF), die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU-Kommission hätten ein Prinzip Abbau statt Aufbau verschuldeter Staaten verfolgt. Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras werde versuchen, enger mit Spanien, Italien, Portugal, aber auch Frankreich zu kooperieren. »Das kann sehr eng für Frau Merkel werden«, sagte Gysi.

Athen setzt Troika vor die Tür
Schulz schlägt längere Tilgungsfristen für Griechenland vor und spricht von »Richtungswechsel« / Finanzminister Varoufakis: Keine Kooperation mehr / Bundesregierung dementiert Spiegel-Bericht: keine Bereitschaft zu neuem Hilfspaket ++ Der Freitag im Rückblick in unserem Newsblog

Am Freitag hatte die SYRIZA-Regierung in Athen den Bruch mit der Troika angekündigt. Man werde künftig nicht mehr mit den Kontrolleuren zusammenarbeiten, sagte Finanzminister Gianis Varoufakis nach einem Treffen mit Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Der soll im Rausgehen nach einer Pressekonferenz »You just killed the Troika« zum griechischen Finanzminister geflüstert haben, worauf dieser lediglich mit dem Wort »Wow« reagierte. Varoufakis hatte die Troika zuvor ein »faules Gremium« genannt, Dijsselbloem auf den Sparauflagen bestanden haben. Die Stimmung war sichtlich gespannt.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatten sich ähnliche Szenen schon zuvor bei dem Treffen des Gastes aus Brüssel mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras abgespielt. Augenzeugen sagten, Dijsselbloem habe den neuen Regierungschef gefragt, wie es denn mit dem Abschluss des Sparprogramms Griechenlands nun weitergehen solle. »Welches Programm«, habe Tsipras geantwortet. Griechenland bekommt derzeit noch Hilfskredite der Euroretter und ist nach Einschätzung von Experten auch künftig auf Unterstützung in Milliardenhöhe angewiesen.

Unionspolitiker zeigen sich empört über die Weigerung Athens, weiter mit den Spar-Kontrolleuren der Troika zusammenzuarbeiten. Der Obmann der Unions-Fraktion im Bundestagsfinanzausschuss, Hans Michelbach (CSU ), sieht einen »offenen Bruch« der Verträge. »Das muss sichtbare Konsequenzen haben«, sagte Michelbach dem »Handelsblatt«. Der Chefhaushälter der Bundestagsfraktion, Norbert Barthle (CDU), betonte an gleicher Stelle, Athen müsse sich an die gesetzlichen Vereinbarungen halten.

Einen Schuldenerlass lehnte Merkel derweil erneut ab. »Es gab schon einen freiwilligen Verzicht der privaten Gläubiger, Griechenland wurden von den Banken bereits Milliarden erlassen. Einen weiteren Schuldenschnitt sehe ich nicht«, sagte Merkel dem »Hamburger Abendblatt«. Zur Voraussetzung für weitere Finanzhilfen machte sie die Fortsetzung des Reformkurses. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wies Schuldenerlass-Forderungen zurück. »Wenn ich ein verantwortlicher griechischer Politiker wäre, würde ich keine Debatten über einen Schuldenschnitt führen«, sagte Schäuble der Zeitung »Die Welt«. »Wer die Finanzierung der griechischen Schulden kennt, weiß, dass es bis zum Jahr 2020 kein Problem gibt.« Der IWF erwarte, dass dank der guten Entwicklung in Griechenland die Schuldenquote bis 2020 auf 112 Prozent sinken wird. Das wäre deutlich unter dem heutigen Niveau Italiens. »Ich sehe da keinen Anlass, über einen Schuldenschnitt zu spekulieren«, sagte Schäuble.

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat dagegen längere Tilgungsfristen für Griechenland vorgeschlagen. »Für einen Schuldenschnitt gibt es derzeit keine Mehrheit«, betonte der SPD-Politiker in einem »Spiegel«-Interview. Doch die Tilgungsfristen für die EU-Hilfskredite könnten gestreckt werden. »Derzeit soll die letzte Tilgung 2057 erfolgen.« Das um zehn Jahre hinauszuschieben, mache keinen großen Unterschied. Zugleich warnte er vor einem Euro-Austritt Griechenlands. Am Donnerstag hatte Schulz in Athen den neuen linken Regierungschef Alexis Tsipras getroffen. Griechenlands neuer Wirtschaftsminister Georgios Stathakis bekräftigte im »Spiegel« die Absicht seiner Regierung, »definitiv« Mitglied im Euro-Raum zu bleiben. Er verlangte aber Neuverhandlungen über das europäische Rettungspaket. Europa brauche eine neue Agenda für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung, die die negativen sozialen Effekte der Krise mildere. Schulz sprach sich mit Blick auf Frankreich und andere Staaten auch für eine nicht zu strikte Auslegung der Euro-Stabilitätspakts aus und stellte sich hinter Pläne des EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker. »Mit der Flexibilität, die Juncker vorgelegt hat, wird der Richtungswechsel jetzt in Formen gegossen«, sagte Schulz. Agenturen/nd

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