»Wir hoffen auf großartige Dinge«

Hans-Peter Kartenberg über die EZB-Feier am Tag der politischen Gefangenen, Blockupy und warum die Linke den Ausbau staatlicher Repressionsapparate unterschätzt

  • Lesedauer: 4 Min.
Hans-Peter Kartenberg ist Aktivist bei Libertad! und hat 1994 den Aktionstag 18. März für die Solidarität mit politischen Gefangenen und gegen staatliche Repression mit initiiert. Libertad! gehört zur Interventionistischen Linken, die die Blockupy-Aktionen in Frankfurt am Main maßgeblich organisiert. Mit Kartenberg sprach Sven Gerner.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hörten, dass am 18. März – dem Tag der politischen Gefangenen – die Europäische Zentralbank ihre Eröffnung feiern wird?

Ich dachte: Super. Das ist ohnehin unser Tag. Jetzt geben sie uns die Gelegenheit, ein weiteres Kapitel der Geschichte des 18. März hinzufügen. Natürlich schmunzelte ich auch, dass jetzt, zumindest indirekt, auch Blockupy zur Kenntnis nehmen muss, dass zur Kritik der autoritären Krisenpolitik auch die Kritik an der autoritären und repressiven staatlichen Politik der europäischen Staaten gehört.

Auf die Geschichte des Tages wurde in Aufrufen und Plakaten hingewiesen.

Blockupy und die Interventionistische Linke haben den 18. März als Tag der Pariser Commune aufgegriffen – allerdings nicht als Tag der Solidarität mit unseren gefangenen Genossinnen und Genossen in aller Welt, nicht als Aktionstag gegen staatliche Unterdrückung. Trotzdem: Es ist gut so; wir sind da und machen das Thema an jedem Punkt, wo wir können, deutlich.

Die Frage der politischen Gefangenen hat in den sozialen Bewegungen heute nicht mehr die Bedeutung wie noch vor 20, 30 Jahren. Woran liegt das?

Weil es kein Kollektiv revolutionärer Gefangener in Deutschland gibt, das im Knast soziale und politische Kämpfe führt. Dass in den Jahren nach 1972 die Frage in den Bewegungen eine Bedeutung bekam, liegt ja zuerst an den Kämpfen, die die Gefangenen führten. Es stimmt natürlich: Die selbstverständliche Solidarität mit gefangenen Genossinnen und Genossen, die Einbindung dieser Frage in gemeinsame Diskussionen der radikalen Linke muss neu entwickelt werden. Aber leider hat die Beteiligung der radikalen Linken an gesellschaftlichem Protest gegen den Ausbau staatlicher repressiver Macht, gegen die Normalisierung von Folter und autoritärer Strukturierung der Gesellschaft nicht das notwendige Augenmerk.

Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?

Libertad! hält die reaktionäre Formierung der Gesellschaft der metropolitanen Staaten seit 9/11 für einen der zentralen Momente politischer Veränderung – eben die andere Seite des »nicht endenden Krieges gegen den Terror«. Das prägt bereits seit Jahren die Bedingungen sozialen Protestes und Widerstands – und doch tun große Teil der Linken so, als würde es sie nicht tangieren. Das sind, wie der Ausbau des Repressionsapparats seit den 1970ern, jedoch Prozesse mit jahrzehntelanger Wirkung. Das wird völlig unterschätzt.

Ihre Gruppe Libertad! ist Teil der IL. Die meisten IL-Gruppen haben sich bereits in die IL aufgelöst. Wann wird Libertad! diesen Schritt gehen?

Libertad! ist eine der Gruppen, die sich von Anfang an für diesen Prozess der Interventionistischen Linken stark gemacht und viel Energie hineingesteckt hat. Von daher hat sich Libertad! schon lange in die IL aufgelöst, da wir kaum noch unter dem Libertad!-Label öffentlich präsent sind. Das war eine gewollte Entwicklung, weil wir die Schaffung von Orten strategischer und taktischer Handlungsfähigkeit der radikalen Linken, als eine Voraussetzung der Entwicklung von Gegenmacht sehen. Gleichzeitig war unser Begriff des Zusammenwachsens nicht der der Auflösung, sondern der der Aufhebung. Das Formale hat uns nie interessiert – und tut es auch jetzt nicht. Sich in der IL aufzuheben, setzt voraus, dass die wesentlichen Bestimmungen, Ziele und Handlungsweisen, Teil des Ganzen geworden sind. Das ist aber bisher nur begrenzt gelungen.

Warum?

Internationale Zusammenarbeit und Solidarität, eine radikale Praxis gegen Militarisierung und Krieg, der Kampf gegen Folter und Menschenrechtsverletzungen bleiben noch das politische Steckenpferd derjenigen Personen und Gruppen, die das auch schon vor der IL machten. Das muss sich noch verändern. Wir wollen eine in gesellschaftliche Konflikte intervenierende Linke; wir wollen die Konflikte zuspitzen und Raum für radikale Bewegung freisetzen. Dazu müssen wir uns neu zusammensetzen, der Prozess der IL ist für uns darin ein Moment. Es braucht aber noch viel mehr.

Was wird am Mittwoch in Frankfurt passieren?

Wir hoffen auf großartige Dinge. Wir hoffen, dass wir mit sehr vielen Menschen und mit vielfältigen kreativen Mitteln einen Schritt dahin kommen, dass auch hier der soziale Streik als Mittel des Widerstandes gesetzt wird. Unser Begriff von Metropolenstreik ist, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, Projekte von Herrschaft und Ausbeutung lahmzulegen: »Aus Schwäche Stärke machen«, wie das zu anderen Zeiten genannt wurde. Der internationale Austausch und die gemeinsame Aktion, der von Blockupy in den vergangenen Jahren erreicht wurde, machen Mut.
Dass diese gute Entwicklung auch bei der Gegenseite längst angekommen ist, zeigt die fast schon routinemäßige Verwandlung der Stadt Frankfurt in den polizeilichen Ausnahmezustand. Die Verbotsorgie von 2012, der Kessel von 2013 und heute der vorbereitete »größte Polizeieinsatz, den Frankfurt je gesehen hat« hatten schon von Anfang an das Moment einer politischen Konfrontation, die über Blockupy hinausweist.

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