Zehntausende für Aufwertung

Großdemonstrationen von streikenden ErzieherInnen in Hamburg und Frankfurt am Main

  • Hans-Gerd Öfinger, Frankfurt
  • Lesedauer: 4 Min.
Trillerpfeifen gellen, lange Demozüge, Transparente, Fahnen: Streikende und ihre UnterstützerInnen demonstrierten für die Aufwertung der sozialen Berufe.

Es war ein Höhepunkt im seit knapp drei Wochen andauernden Streik für die Aufwertung der Arbeit in den bundesdeutschen Sozial- und Erziehungsdiensten. Rund 16 000 Menschen beteiligten sich am Donnerstag an der von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) organisierten Kundgebung und Demonstration in Frankfurt am Main. Die Streikenden waren unübersehbar und prägten das Straßenbild in der Bankenmetropole. Der Römerberg platzte zum Kundgebungsbeginn aus allen Nähten bevor die Tausenden durch die Innenstadt zogen.

Viele von ihnen waren über weite Strecken angereist und schon mitten in der Nacht in Richtung Frankfurt aufgebrochen. So etwa eine Gruppe Kitabeschäftigter aus dem südlichen Bayern, die ein Spruchband mit der Aufschrift »Allgäu-Power« hochhielten. Erstmals in einem längeren Arbeitskampf stehen auch Beschäftigte einer kommunalen Kita aus einer Gemeinde bei Speyer in der Pfalz. Auch wenn Streiken viel Kraft koste und kein Zuckerschlecken sei, »dürfen wir jetzt nicht aufgeben«, sagt eine von ihnen entschlossen gegenüber »nd«. »Sonst haben wir verloren.«

Viele selbst angefertigte Pappschilder mit fantasievollen Parolen signalisierten, dass dieser Arbeitskampf mit viel Herzblut und Leidenschaft geführt wird. »Wir sollen fördern - dann wollen wir auch fordern«, »Erzieher sind unterbezahlte Bildungsmanager« oder »Wir wollen mehr und sind es wert, auf ihr Leute, greift zum Schwert«, waren nur drei von hunderten dieser Parolen.

Die Streikbeteiligung sei nach seiner Wahrnehmung »deutlich höher als bei der letzten großen Streikbewegung vor sechs Jahren«, erklärte ver.di-Chef Frank Bsirske gegenüber »nd«. So habe der Arbeitskampf auch Gemeinden erfasst, »von denen ich bisher noch nicht gehört habe und wo ich es nicht erwartet hätte«.

Bsirske kritisierte, dass die im Kommunalen Arbeitgeberverband VKA organisierten Träger kommunaler Kindertagesstätten und Sozialeinrichtungen nach wie vor »toter Mann spielen« und offensichtlich den Streik »in Ruhe aussitzen« wollten. Er bekräftigte die ungebrochene Streikbereitschaft seiner Gewerkschaft, falls bei der laufenden Sitzung von VKA-Spitzengremien in einem Hotel am Frankfurter Flughafen bis Freitag kein »verhandlungsfähiges« Angebot an die Gewerkschaften gemacht würde. »Ohne tragfähige Lösung gibt es kein Ende des Streiks«. Das letzte Wort liege auf jeden Fall bei der Mitgliedschaft, versicherte Bsirkse den Versammelten. »Ihr selbst entscheidet, ob ihr ein Ergebnis annehmt oder nicht.« Bsirske freute sich auf nd-Anfrage über erste Bewegung in den VKA-Reihen. So träten inzwischen die Oberbürgermeister mehrerer wichtiger Großstädte wie Hannover, Saarbrücken, Dortmund oder Frankfurt für deutliche Zugeständnisse an die Streikenden ein, damit stünden sie aber bislang im Arbeitgeberlager noch in der Minderheit seien.

Dass nicht alle hauptamtlichen Verantwortlichen in den Kommunen die bisher harte VKA-Linie vertreten, machte auch der Redebeitrag von Ralf Möller deutlich. Der seit knapp drei Wochen andauernde Streik habe gezeigt, »dass es ohne Sie einfach nicht funktioniert«, rief der SPD-Bürgermeister aus Weiterstadt bei Darmstadt den versammelten Erziehern und Sozialpädagogen zu. »Legt eine ordentliche Schippe drauf«, forderte er in Richtung der zuständigen VKA-Gremien. Die Kommunen und Eltern dürften zudem mit der Hauptlast für die Finanzierung der vorschulischen Bildung nicht länger alleine gelassen werden, der Bund müsse für eine Kernbetreuung von 8 bis 12 Uhr finanziell gerade stehen, verlangte Möller. Ähnlich äußerte sich auch die aus Thüringen angereiste Sandy Kirchner von der Bundeselternvertretung der Kinder in Kitas und Kindertagespflege: »Die Finanzierung der frühkindlichen Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.«

Präsenz und Gesicht zeigten bei der Kundgebung auch viele andere vom Streik betroffene Mütter und Väter, die aus der Not eine Tugend gemacht und ihre Kinder mitgebracht hatten. »Elternsolidarität« hatte der Frankfurter Burkhard Lang auf sein Pappschild gemalt. Entgegen vieler Medienberichte bestehe bei der meisten Eltern keine Anti-Streik-Stimmung, sondern Rückhalt und Verständnis für die Belange der Kitabeschäftigten, so Lang gegenüber »nd«. Für Freitag sei eine weitere Elterndemo vor dem Römer, dem historischen Frankfurter Rathaus geplant.

Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand sicherte den Streikenden die aktive Unterstützung des Dachverbands und seiner Untergliederungen und Einzelgewerkschaften zu. So mischten sich inzwischen auch viele in Industriegewerkschaften organisierte Betriebsräte in den Konflikt ein und übten Druck auf die kommunalen Arbeitgeber aus. Die Notwendigkeit des Streiks sehr viel mehr in der gesellschaftlichen Debatte verankert als beim letzten großen Arbeitskampf vor sechs Jahren. »Bildungs- und Erziehungsarbeit ist immer auch Beziehungsarbeit«, erklärte die hessische GEW-Vorsitzende Birgit Koch. »Wäre es ein klassischer Männerberuf, dann wäre die Arbeit schon längst anders bezahlt.«

In Hamburg waren nach Agenturangaben zeitgleich rund 15 000 ErzieherInnen auf den Straßen. Sie zogen mit Transparenten und Trillerpfeifen durch die Innenstadt. Die Beschäftigten waren aus ganz Norddeutschland angereist. Ebenfalls am Donnerstag demonstrierten erneut rund 30 Eltern mit ihren Kindern vor dem Hamburger Rathaus für ein baldiges Ende des Streiks.

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