FIFA am Pranger

Von der UEFA kommen scharfe Töne, am Ende aber macht Europa beim FIFA-Kongress mit

  • Arne Richter und Florian Lütticke, Zürich
  • Lesedauer: 4 Min.
Das schlimmste Szenario für FIFA-Chef Blatter bleibt aus: Der Wahlkongress kann stattfinden. UEFA-Boss Platini bat Blatter um Rücktritt und hält einen WM-Boykott nicht für ausgeschlossen.

Die FIFA steht nach den skandalösen Entwicklungen mit Festnahmen und Suspendierungen weltweit am Pranger. Am Donnerstag sah es so aus, als könnte sich Präsident Joseph Blatter nach den turbulentesten Stunden seiner Regentschaft auf eine fünfte Amtszeit einrichten. Der Kongress des Fußball-Weltverbandes kann wie geplant stattfinden, und alles sieht danach aus, dass Blatter wiedergewählt wird. Die Anti-Blatter-Fraktion aus Europa wird die Vollversammlung der 209 Mitgliedsländer und die Präsidentschaftswahl am Freitag entgegen erster Überlegungen nicht boykottieren, will aber Prinz Ali bin al-Hussein mit so vielen Stimmen wie möglich unterstützen.

Für den Fall eines Blatter-Sieges baute UEFA-Boss Michel Platini aber gleich eine bislang nicht gekannte Drohkulisse auf und schloss einen WM-Verzicht aller Europäer nicht grundsätzlich aus. Bei einer Sondersitzung rund um das Champions-League-Finale in Berlin werde man in der kommenden Woche »alle Möglichkeiten ins Auge fassen«, sagte der Franzose am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Zürich.

Auf eine entsprechende Nachfrage konkretisierte er, dass er einen WM-Boykott nicht ankündige, aber dass es »demokratische Entscheidungen« der Landesverbände geben werde. Eine weitere Option ist laut Platini offenbar ein kollektiver Austritt der europäischen Mitglieder aus dem FIFA-Exekutivkomitee. Somit geht der Machtkampf im Weltverband in jedem Fall auch nach dem Zürich-Kongress weiter.

»Ich bin entsetzt, enttäuscht. Ich habe keine Worte, zu viel ist zu viel«, sagte Platini nach einer UEFA-Sitzung zu den jüngsten FIFA-Korruptionsskandalen. »Ich finde das wahnsinnig abstoßend«. Für einen Kongressboykott gab es unter den Europäern aber offenbar keine Mehrheit. Einige Verbände sind sogar pro Blatter. Platini hofft auf 45 bis 46 der insgesamt 53 europäischen Stimmen für Prinz Ali. Damit dürfte Blatter die Mehrheit von mindestens 105 Delegiertenstimmen sicher sein.

Der Engländer David Gill will unterdessen auf seinen Platz im FIFA-Exekutivkomitee verzichten, sollte Blatter gewählt werden. DFB-Chef Wolfgang Niersbach hielt sich eine Entscheidung zumindest noch offen. »Das ist ein Abwägen: Boykottiert man etwas oder geht man ins Exko rein und hat die Chance auch wirklich etwas zu verändern?«

Platini berichtete am Donnerstag von einem Gespräch unter vier Augen mit Weltverbandschef Blatter, in dem er seinen einstigen Förderer erfolglos zum Rücktritt aufgefordert habe. »Es ist nicht leicht, einem Freund zu sagen, dass er gehen soll.« In mehreren Sitzungen berieten Vertreter der Kontinentalverbände am Donnerstag ihre Strategien vor dem für Freitag geplanten Urnengang. Blatter sagte angesichts der aktuellen Ereignisse alle seine geplanten Auftritte vor der offiziellen Kongresseröffnung am Donnerstag in einem Züricher Theater ab.

Dort wies Blatter die Verantwortung für den neuerlichen Skandal größtenteils von sich: »Viele halten mich für verantwortlich«, sagte der 79-jährige Schweizer. Man könne aber nicht jeden überwachen. »Wir müssen jetzt damit beginnen, das Vertrauen in unsere Organisation wieder herzustellen«, sagte Blatter. »Die gestrigen Ereignisse haben einen dunklen Schatten auf den Fußball geworfen. Aktionen von Einzelnen bringen Schande und Demütigung über den Fußball und verlangen entschiedenes Handeln. Es muss aufhören - hier und jetzt. Ich werde nicht erlauben, dass die Würde von denen, die so hart für den Fußball arbeiten, zerstört wird.«

Organisationen wie Amnesty International fordern den Rücktritt von Blatter. Von ihren Sponsoren bekam die FIFA mahnende Worte. Das Kreditkartenunternehmen Visa forderte »rasche und sofortige Maßnahmen«, um die Probleme innerhalb der FIFA zu beheben. »Sollte die FIFA dies nicht tun, haben wir sie informiert, dass wir unser Sponsoring neu bewerten würden«, teilte das Unternehmen mit. Auch Autobauer Hyundai, Sportartikelhersteller Adidas oder das Fast-Food-Unternehmen McDonald’s forderten die FIFA zu Demokratie und Transparenz auf.

Nach Ermittlungen aus den USA waren am Mittwoch sieben Spitzenfunktionäre, darunter zwei FIFA-Vizepräsidenten, in Zürich festgenommen worden. Insgesamt stehen 14 Personen unter Korruptionsverdacht. Die US-Justiz erwirkte auch gegen den früheren Chef von Südamerikas Dachverband, Nicolás Leoz, einen internationalen Haftbefehl. Jack Warner, weitere Schlüsselfigur, hatte sich am Mittwoch in Trinidad und Tobago der Polizei gestellt und wurde nach Zahlung einer Kaution von 2,5 Millionen Dollar auf freien Fuß gesetzt. dpa

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