Vom Adlon nach Adlershof

Vor 60 Jahren eingezogen, seit 30 Jahren Gedenkstätte: die Wohnung von Anna Seghers

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 3 Min.

Anna Seghers lebte gern in Adlershof. Im Frühjahr 1947 kam sie, nach vierzehnjähriger Emigration, zurück nach Berlin. Zunächst brachte man sie, wie manch anderen prominenten Rückkehrer, im Hotel »Adlon« am Pariser Platz unter, in einem stehengebliebenen Flügel des zerbombten einstigen Nobelhotels. 1950 ist sie, nachdem sie einige Zeit bei Bertolt Brecht und Helene Weigel in Weißensee gewohnt hatte, nach Adlershof gezogen.

Ihre erste eigene Wohnung nach der Rückkehr aus dem Exil: In der Altheider Straße 21, im selben Haus wie ihre Freundin Berta Waterstradt, fand sie eine kleine Wohnung, in der sie sich mit ihren Büchern und wenigen Möbeln einrichten konnte. Denn noch lebte ihr Mann Laszlo Radvanyi in Mexiko, wohin die Emigration ihre Familie verschlagen hatte. Doch schließlich kam auch er nach Berlin zurück, in die Stadt, aus der sie 1933 von den Nazis vertrieben worden waren. Nun brauchten sie dringend mehr Wohnraum, denn auch Laszlo Radvanyi brachte seine Bücher mit.

In der Volkswohlstraße, Ecke Silberberger Straße, nur wenige hundert Schritt entfernt, entstand ein neuer Wohnblock, stabil und geräumig genug, um die inzwischen weltberühmte Schriftstellerin, Autorin des Bestsellerromans »Das siebte Kreuz«, ihren Mann und ihre Tochter, die Ärztin Ruth Radvanyi, aufzunehmen. So zogen sie im Sommer 1955 mit all ihren Bücherkisten und Erinnerungsstücken aus Mexiko in die neue Wohnung um.

Bis Anfang der 80er Jahre schrieb Anna Seghers dort Buch um Buch, Romane, Erzählungen, Novellen. »Zwei Plätze gibt es in dieser Wohnung, die mich freuen«, notiert sie 1972 im Brief an eine Freundin, »ein Eck im Fenster meines kleinen Schlafzimmers - Ruth sagt Kajüte -, ein Fenstereck, aus dem man weit raus sehen kann und sich einbilden, dahinter läge das Meer und die Schiffe oder sonst was. Und gut ist auch, auf dem kleinwinzigen Balkon zu liegen, und ich gucke mir abends die Vögel an und frage mich, warum sie herumfliegen, und ich denke auch, dass so einen Flug die Menschen noch nicht erfunden haben …«.

Als sie zu schwach wurde, die hohen, anstrengenden Treppenstufen zu bewältigen, bot sich ihr ein Platz in einem Pflegeheim in Friedrichshagen. Doch die Wohnung in der Volkswohlstr. 81 blieb in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Nachdem die Schriftstellerin am 1. Juni 1983 gestorben war, übernahm die Akademie der Künste das Erbe, das Anna Seghers als ein Geschenk hinterlassen hatte. Fortan wurde alles registriert, die Bücher wurden katalogisiert und nummeriert - es stellte sich heraus, dass die Sammlung, die Seghers ein Leben lang zusammengetragen und über die Exiljahre hatte retten können, beinahe 10 000 Bände umfasste.

Ein Jahr nach ihrem Tod wurde die Straße in Anna-Seghers-Straße umbenannt. Seit 1985 - immerhin bereits seit 30 Jahren - ist nun die ehemalige Wohnung der Schriftstellerin eine Literaturgedenkstätte, für jeden Interessierten geöffnet. Alles ist original erhalten, der Schreibtisch mit der alten Remington-Reiseschreibmaschine, die Möbel im Wohn- und Arbeitszimmer, die langen Regalreihen voller Bücher in zwei Reihen, ja selbst Küche und Bad. So kann man eine komplette Fünfzigerjahrewohnung anschauen - gerade für junge Besucher ein seltener Blick in die Geschichte. Monatlich finden hier literarische Lesungen von Autoren statt; ein gern gesehenes Publikum genießt dabei die Atmosphäre des literarischen Salons. Neben dieser Gedenkstätte, Anna-Seghers-Str. 81, betreut die Akademie der Künste ebenfalls die Brecht-Weigel-Gedenkstätte in Berlin-Mitte, Chausseestr. 125 - die ehemaligen Wohnräume von Anna Seghers’ alten Freunden.

Öffnungszeiten der Anna-Seghers- Gedenkstätte: Di. und Do. 10-16 Uhr, für Gruppen nach Vereinbarung, Tel.: (030) 677 47 25. www.adk.de/seghers-museum und www.anna-seghers.de.

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