Der asymmetrische Krieg hat Fronten in Europa

So brutal die Anschläge in Paris sind - sie fordern politische Reaktionen mit Augenmaß. Ob der Westen dazu fähig ist? Analyse von René Heilig

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

Bisweilen ist es klug, seinen eigenen Worten zu glauben – bis zur letzten Konsequenz. Immer wieder weisen Militärs und Geheimdienstler darauf hin, dass der Krieg zwischen dem Westen und den islamistischen Terroristen ein asymmetrischer ist. Spätestens seit den Attentaten vom 11. September 2001 in New York und Washington ist auch klar, dass die allgegenwärtige Globalisierung Terrorismusexport nicht ausschließt.

Wer also wollte da glauben, dass die Schlachten zwischen Goliath und David nur auf den Territorien von Afghanistan, Irak und Syrien ausgetragen werden? Zumal David längst nicht mehr so schwach und besiegbar ist, wie es noch zu Zeiten der Terrorstrukturen von Al Qaida wirkte. Inzwischen hat man einen auch durch eigene Machtpolitik geschaffenen langlebigen Islamischen Staat zum Feind. Auch weil man nicht weiß, wie man dem beikommen soll, wird er noch immer verharmlost als »Terrormiliz«. Dabei handelt es sich längst um ein staatliches System mit noch unbestimmtem Territorium, das wohl gegliedert und verwaltet ist. Es verfügt über erstaunliche Einnahmen und ein internationales Netzwerk. Dieser islamische Staat motiviert zudem kleinere konkurrierende Terrornetzwerke, die - um ihre Attraktivität zu erhalten - gleichfalls mit spektakulären Anschlägen auf sich aufmerksam machen müssen.

Was auch immer im Sicherheitskabinett der deutschen Regierung am Samstagnachmittag als Sofortmaßnahmen beschlossen wurde - die jüngsten Anschläge von Paris werden die zuständigen Behörden in ganz anderer Weise als bislang fordern. Bislang ging man eher davon aus, dass fanatische Einzeltäter oder Kleinstgruppen Anschläge planen und durchführen.

Diese Aktionen zu parieren, ist schwer genug. Grüppchen, selbst wenn sie zentral gelenkt oder zumindest motiviert werden, sind schwer zu infiltrieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Anhänger solcher Terrorstrukturen zumeist Homeland-Terroristen sind, Menschen als, die in ihren westlichen »Heimatländern« geboren oder zumindest aufgewachsen sind. Westliche Dienste durchforsten das Internet, analysieren Chats und Messenger-Dienste oder beobachten Radikalisierungsräume wie beispielsweise Moscheen.

Der Austausch zwischen den Diensten war ihr Plus. Auch die immer wieder zitierte Festnahme der dreiköpfigen Sauerlandgruppe im Jahr 2007 - die Gruppe ging aus der rund 20köpfigen Dschihad-Union, die im Grenzgebiet zu Pakistan operierte, hervor – wäre ohne die detaillierten Hinweise von US-Diensten vermutlich unentdeckt geblieben.

Vor allem Frankreich, das spätestens seit den Zeiten der OAS über eine reiche Erfahrung bei der Terrorabwehr verfügt, hat in jüngster Zeit bereits zahlreiche Anschläge von Einzeltätern oder Kleingruppen erleiden müssen - und zahlreiche Attacken abwehren können.

Nun jedoch haben wir es mit einer neuen Qualität zu tun. In der Freitagnacht fand in Paris eine exakt geplante Operation einer relativ großen Gruppe von Terroristen statt. Die genaue Anzahl ist noch unbekannt, ein zweistelliger Bereich aber denkbar. Hinter den Ausführenden stehen – so ist zu vermuten – Helfer. Denn die Anschläge waren eine logistische Herausforderung. Zeitgleich schlugen die Täter an mindestens sieben Orten der französischen Hauptstadt zu. Sie verfügten über automatische Waffen, ausreichend Munition und Sprengstoff. Was in einem Land, in dem Waffenbesitz und der Umgang mit militärisch verwendbarem Explosivmaterial relativ scharf reglementiert ist, schon aufmerken lässt.

Da die Täter sich offenkundig gut auskannten, kann man davon ausgehen, dass mindestens einige der Attentäter aus Frankreich selbst stammen. Zumindest bei einem identifizierten Mörder scheint die französische Staatsbürgerschaft am Samstagabend nachgewiesen worden zu sein. In Frankreich gibt es eine starke nordafrikanische Gemeinschaft, alle bisherigen Erfahrungen mit Anschlägen deuteten immer zu diesen Gruppen.

Selbst wenn man von einer Urheberschaft des Islamischen Staates ausgeht – Bekennerbotschaften sind immer mit Vorsicht zu genießen und bislang hat der IS medial wirksame Videobotschaften bevorzugt – werden die französischen Ermittler sich erst im Umfeld marokkanischer, tunesischer oder algerischer Familien mit französischem Pass umtun. Zugleich werden sie Rückkehrerlisten durchforsten. Denn das Vorgehen der Attentäter lässt nicht nur eine ideologische Indoktrination, sondern auch eine militärische Ausbildung vermuten. Zumindest einer der Attentäter muss gewusst haben, wie man funktionssichere Sprengwesten näht. So etwas lernt man nicht in Gebetsräumen, sondern beim Islamischen Staat in Irak oder Syrien.

Doch wie kann es kommen, dass eine solche Terrorstruktur von den in der Regel hellwachen und erfahrenen Geheimdiensten Frankreichs unentdeckt bleibt? Das führt zu der Möglichkeit, dass jemand sogenannte Hit-Teams nach Frankreich geschickt hat. Damit werden Personen bezeichnet, die nur zum Verüben eines konkreten, von anderen sorgsam vorbereiteten Anschlags in ein Land geschickt werden. Islamisten mit einem One-Way-Ticket. Denn die Lust und die Glorie, sich im Namen Allahs zu opfern, hat man ihnen tief in Seele und Hirn gebrannt.

Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die Täter direkt aus Syrien oder Irak oder einem ihrer Nachbarländer gekommen sind. Sie könnten auch aus anderen EU-Staaten nach Paris beordert worden sein. Das ist zwar nicht die wahrscheinlichste Variante, diese Möglichkeit allein aber dürfte die Geheimdienste und Sicherheitsbehörden entsetzen.

Gerade die ideologisch-religiöse Indoktrination der IS-Kämpfer macht es westlichen Nachrichtendiensten so schwer, in gegnerische Gruppen einzudringen. Weshalb HUMINT-Aufklärung, also die Aufklärung durch menschliche Quellen, nur in Einzelfällen gelingt. Wenn aber die Täter elektronische Kommunikationsmittel meiden und keine Kontakte zu bereits von den Sicherheitsbehörden erkannten Weggefährten aufnehmen, bleiben sie fast unsichtbar.

Selbstverständlich besteht auch in Deutschland jederzeit die Gefahr eines solchen Anschlages. Auch hierzulande gibt es viele Rückkehrer. Auch Berlin gehört zur Anti-IS-Allianz und ist insbesondere bei der Ausbildung sowie Ausrüstung der kurdischen Peschmerga beteiligt. Dass diese so erfolgreich den IS-Truppen Paroli bieten, kann zu einem zusätzlichen Anschlagsmotiv werden.

In Frankreich, Deutschland, allen anderen EU-Staaten aber auch in Russland wird als Antwort auf den Terror nun wohl noch stärker auf Repression gesetzt. Genau damit aber arbeitet man den Dschihadisten in die Hände, die behaupten, dass der Westen einen Kreuzzug gegen die Länder des Islam und gehen alle führt, die sich nicht zum sogenannten abendländischen Kulturkreis bekennen. Jede hektische und überzogene Reaktion - etwa die Einschränkung der Flüchtlingsbewegung oder eine zusätzliche Gängelung der Schutzsuchenden - besorgt das Geschäft der Islamisten. Erstens verhindert man, dass Vertrauen zwischen den Ankömmlingen und den Gastgebern entsteht. Vertrauen aber wäre der allererste Schritt hin zur Integration. Zweitens könnten die Islamisten argumentieren: Seht her, die Europäer wollen euch nicht, bleibt also daheim und arrangiert euch lieber mit dem IS.

Ob die sozialdemokratische Regierung in Paris und und die schwarz-rote Koalition in Berlin gerade nach diesem Anschlag zu vernünftigen und vor allem vermittelbaren Reaktionen fähig sind, ist fraglich. Premierministers Francois Hollande hat Wahlen vor - und den inzwischen mächtigen rechtsextremen Front National, der gern gegen Muslime hetzt, gegen sich. Bei Kanzlerin Angela Merkel ist das inzwischen ähnlich: Sie hat nicht nur die ausländerfeindliche Rechtspartei AfD samt Pegida auf der Straße gegen sich, sondern auch noch aufbegehrende »Parteifreunde« wie Horst Seehofer (CSU) und Thomas de Maizière (CDU) in den eigenen Reihen.

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