Daheim im »üblen Nest«

Sein Vater wurde 1990 von Rassisten ermordet. Er selbst immer wieder Ziel von Beleidigungen. Dennoch fühlt er sich heute als Eberswalder. Ein Besuch bei Amadeu Antonio junior

  • Ben Reichardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Seinen Vater hat Amadeu Antonio Schimansky nie kennengelernt. Er kennt ihn nur aus den Erzählungen der Mutter. Als »liebevoll, aufgeschlossen« habe die ihn beschrieben, erinnert sich der junge Mann, der noch nicht geboren war, als sein Vater in der Nacht zum 25. November 1990 in Eberswalde von einem rechten Mob zusammengeschlagen wurde. So schwer, dass er elf Tage später starb. Der Angolaner Amadeu Antonio war noch zu DDR-Zeiten als Vertragsarbeiter in die brandenburgische Kleinstadt gekommen. Er gilt als eines der ersten ausländischen Opfer rassistisch motivierter Gewalt nach der Wende in Ostdeutschland.

Der damals 28 Jahre alte Antonio war auf offener Straße von mehreren Rechtsextremisten zu Tode geprügelt worden, obwohl sich in der Nähe Polizisten aufhielten. Diese Tatsache und die Brutalität gegen das Opfer machten den Fall deutschlandweit publik. Dazu kamen später die umstrittenen Urteile gegen die Täter. Was nicht wenigen als Mord erschien, blieb für den Richter eine Körperverletzung mit Todesfolge. Die Haftstrafen reichten von zwei bis viereinhalb Jahren.

»Wenn ich der Richter gewesen wäre, wären die nicht so früh rausgekommen«, sagt Amadeu Antonio Schimansky. Groll hört man keinen heraus. Der 24-Jährige - der den Nachnamen seiner Mutter trägt - war damals noch ein Baby, geboren angeblich an jenem Tag, an dem der Sarg mit seinem Vater nach Angola verschifft wurde. Genau lässt sich das heute nicht mehr rekonstruieren.

Zum 25. Mal jährt sich der Tod seines Vaters in diesem Jahr. »Es ist immer dasselbe«, sagt der Sohn dazu. Mit Schimansky ins Gespräch zu kommen, ist nicht ganz einfach. Er ist zurückhaltend, hat wenig Lust auf Journalisten. Schon in seiner Kindheit haben sie ihn begleitet.

An damals kann er sich nicht mehr erinnern. Vielleicht will er es auch nicht. Zu bedrückend liest sich beispielsweise ein Bericht, der den Alltag des neunjährigen Amadeu Antonio junior im Dezember 2000 beschreibt, der sich auf der Straße als »Negerbastard« bezeichnen lassen und viele Eberswalder Stadtteile wegen seiner dunkleren Hautfarbe meiden muss.

Als Kind bekam er Probleme in der Schule, die Familie wurde zeitweise durch die deutsche Bürokratie gegängelt, weil die Behörden anzweifelten, dass Amadeu Antonio junior tatsächlich der Sohn seines Vaters sei.

»Eberswalde war bis zur Jahrtausendwende ein übles Nest«, sagt Kai Jahns, der Amadeu Schimansky zum Gespräch begleitet. Jahns ist der städtische Koordinator für Toleranz und kommt selbst aus Eberswalde. Er erklärt, dass sich in den vergangenen Jahren einiges geändert habe. So gingen »Zivilgesellschaft und Verwaltung« gemeinsam gegen Rechts vor. Seitdem trete der Rechtsextremismus in der Stadt nicht mehr so unverblümt und dominant auf, wie noch in den 90er Jahren. »Eine Entwicklung, die ganz positiv ist«, sagt Jahns.

Bei der nach Amadeu Antonio benannten Stiftung in Berlin sieht man es ähnlich. »Sichtbare Minderheiten sind jetzt akzeptiert. In den 90ern wollte man die weghaben«, sagt der Sprecher der Stiftung, Robert Lüdecke. Der Rassismus sei auf ein kleinstädtisches Niveau geschrumpft, wie man ihn überall finden könne. Das zuständige Polizeipräsidium teilt mit, Eberswalde sei »aus hiesiger Sicht weder ein ausgewiesener rechtsextremistischer Ort noch spielt die Stadt in der allgemeinen polizeilichen Prävention eine herausragende Rolle.«

Für Amadeu Antonio Schimansky ist die Stadt seine Heimat geblieben. Zwar verließ er Eberswalde zwischenzeitlich für ein Jahr mit der Mutter und den drei Halbschwestern in Richtung Berlin, kehrte aber nach einem Jahr wieder zurück. »Ich fühle mich als Eberswalder.« Er führt keineswegs das Leben eines Außenseiters. Seit 16 Jahren kickt er beim örtlichen FV Preussen.

Mit Rassismus habe er gelernt zurechtzukommen. Wenn er bestimmte Jugendliche sehe, achte er darauf, ob Gefahr drohe, höre ansonsten aber weg, falls Beleidigungen fielen. Auch könne er sich frei in Eberswalde bewegen, »außer in den Dörfern, da sind die Dorfnazis«.

Die Stadt hat mittlerweile ihr Bürgerbildungszentrum nach Amadeu Antonio benannt. Vorbei scheint dennoch nicht alles: Die Gedenktafel zu Ehren Antonios wird immer mal wieder beschmiert, zuletzt erst vor einigen Wochen. Amadeu Schimansky kommt regelmäßig an der Stelle vorbei, doch die Empörung bei ihm hält sich in Grenzen. Er verliert kaum Worte über diese Dinge.

Vielleicht beschäftigt ihn momentan auch anderes. Vor einigen Monaten starb überraschend seine Mutter. Sie stammte aus Schwedt und hatte Amadeu Antonio senior Ende der 80er Jahre in Eberswalde kennengelernt. Er arbeitete wie zahlreiche andere Angolaner im örtlichen Fleischkombinat. Als sein Arbeitsvertrag endete, durfte er in Deutschland bleiben. Weil seine Freundin ein Kind erwartete. dpa/nd

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