Angstmacherei mit System

In der Köln-Debatte werden laut Nadia Shehadeh sexistische Gesellschaftsstrukturen verschleiert und Missstände ethnisiert

  • Nadia Shehadeh
  • Lesedauer: 3 Min.

Dutzende Frauen erlebten in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof sexualisierte und gewalttätige Übergriffe. Die Empörung über diese Gewalttaten ist absolut berechtigt und eine breitflächige Diskussion unserer frauenfeindlichen, gewalttätigen, sexistischen Gesellschaft nach wie vor unerlässlich und notwendig. Doch wie zu erwarten entfalteten sich in den bisherigen Debatten um Ursachen, Konsequenzen und Prävention neben des üblichen Potpourris rassistischer Diskurse auch allerlei sinnbefreite Verhaltensvorschläge für Frauen: Der Flüchtlingszuzug müsse begrenzt und ausländische Männer noch besser erzogen und integriert werden. Und Frauen sollten allgemein und vorsichtshalber »eine Armlänge Abstand« zu »Fremden« halten um nicht »angegriffen« zu werden.

Was dabei nicht unter den Tisch fallen sollte: Viele dieser Erklärungsmuster und Tipps sind nicht nur intellektuelle Bankrotterklärungen, sondern fester Bestandteil unserer »Rape Culture« (»Vergewaltigungskultur«). Das Bedrohungsszenario dabei ist aktuell das Folgende: In Deutschland gibt es ein Problem mit Männern, die nicht herkunftsdeutsch und wahrscheinlich muslimisch sind, die sich zu »Horden« zusammentun und - bestenfalls noch unter Alkoholeinfluss - Frauen belästigen. Diffuse Ängste werden reproduziert: dass (»deutschen«) Frauen nahezu zwangsläufig »irgendwas« passieren muss, unter »Fremden«, unter »Ausländern«, nachts, bei unübersichtlichen und ungeschützten Veranstaltungen, in Menschenmengen. Es wird dabei jedoch oft nur schwammig bis gar nicht benannt, was zu erwarten ist: Überfälle? Raubüberfälle? Vergewaltigungen? Verbale Belästigungen?

»Rape Culture« ist auch ein System, das sich von genau diesen diffusen Ängsten ernähren muss - nicht nur, um Opfer zu beschuldigen und Mythen zu reproduzieren, sondern auch um zu verhindern, dass eine wirkliche und großflächige Auseinandersetzung mit allen Arten von sexualisierter Gewalt und den Menschen, die diese erleben, stattfindet. Das Täterprofil dabei großflächig auf »ausländische Männer« auszulagern, ist dabei auch wichtiger Teil einer Schutzkultur. So wird erreicht, dass sexuelle Gewalt auf das »Fremde«, auf das »Draußen« reduziert wird - und nicht als etwas identifiziert wird, was in vielen Fällen beispielsweise auch im sozialen Umfeld geschieht, etwa im Falle von weit verbreiteter Beziehungsgewalt. Unsere sexistischen und gewaltvollen Strukturen werden verschleiert und Missstände ethnisiert - etwa dann, wenn davon ausgegangen wird, dass eine Meute betrunkener Männer nur bedrohlich sein kann, wenn diese »arabisch oder nordafrikanisch« (oder einfach: irgendwie ausländisch) aussehen. Es wird verschleiert, wo in unserer Gesellschaft überall Gewalt gegen Frauen ausgeübt, institutionalisiert, legitimiert und bagatellisiert wird. Es wird verschleiert, wie eine patriarchatskritische, antisexistische, emanzipatorische Arbeit aussehen kann und ebensolches Engagement verschiedener Initiativen und Vereine, die sich seit Jahren mit diesen Themen beschäftigen, gar nicht erst sichtbar gemacht. Es werden Feminitätsperformances diskutiert und mit Optimierungsvorschlägen ausgestattet anstatt zu überlegen, wie eine kritische Jungen- und Männerarbeit aussehen muss, die zukünftig gewaltpräventiv sein kann.

Unklar bleibt auch, an wen sich Menschen bei gewalttätigen, sexualisierten, homophoben oder transfeindlichen Übergriffen wenden sollen. An die Polizei, die - so wie es auch in Köln geschehen ist - oftmals nicht eingreift oder nur mäßig bis gar nicht sensibilisiert ist? An konservative Politiker_innen, die sich nicht entscheiden können zwischen bigotter Empörung über Frauenfeindlichkeit, ewig-gestriger politischer Instrumente (»Betreuungsgeld«) oder emanzipationsfeindlicher Aussagen? An Journalist_innen und Autor_innen, die sich vor ein paar Monaten noch über »Genderwahn« echauffierten und nun aber die Geschlechtergerechtigkeit für sich entdecken? Diese Fragen werden kaum bis gar nicht behandelt, da die breite Öffentlichkeit nach Thesen und Erklärungsmustern giert, die möglichst unterkomplex und entsprechend unserer Gesellschaftsmythen funktionieren.

Die Verheißung aber, alles werde mit noch mehr Rassismus, geschlossenen Grenzen und ein paar »Armlängen« wieder gut, ist nicht nur ein läppisches und widerwärtiges Versprechen, sondern ein menschenfeindliches. Und somit ein sehr gefährliches.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal