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Ermittlungen nach Schema F

NSU-Aufklärung: Das Bundeskriminalamt fand manches heraus, doch wie viel übersahen die Kriminalisten?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Faulheit, Schlamperei, unprofessionelles Herangehen – das sind wohl die harmloseren Vorwürfe, die man erheben muss. Nachfragen zur Arbeit des BKA sind geboten, denn die Ermittler übersehen offenbar allzu viel.

Gewiss, die Bundeskanzlerin hat im Moment andere Sorgen, doch das enthebt sie nicht, ein Versprechen einzulösen, das sie Anfang 2012 den Hinterbliebenen der NSU-Opfer und der gesamten deutschen Öffentlichkeit gegeben hat: »Wir werden alles tun, um die Dinge aufzuklären.« Wir, das schließt das Bundeskriminalamt ein. Seit dem 11. November 2011 ist die obersten Ermittlungsbehörde – eingesetzt vom Generalbundesanwalt – zuständig für die Aufklärung der rechtsterroristischen Taten. Neben Lob für tatsächlich fleißige Ermittlungen steht immer mehr Kritik an den Ermittlern an: Faulheit, Schlamperei, Dienst nach Schema F, unprofessionelles Herangehen – das sind wohl die harmloseren Vorwürfe, die man erheben muss.

Beispiel eins: Das BKA sollte die Telefon- und sonstigen Datenverkehre auswerten, die über das Handy der in München als Mittäterin angeklagten Beate Zschäpe liefen. Ihr Handy wurde im Brandschutt der Zwickauer Wohnung gefunden, ihre SIM-Karte war jedoch noch Stunden nach der Brandlegung aktiv. Das offenbar vorhandene zweite Handy hat man nie gefunden. Zur Überprüfung von Zschäpes Telefongesprächen wurden die jeweiligen Provider befragt. Die lieferten – entsprechend der damaligen Gesetzeslage – teilweise nichts oder auch Rufnummern, deren Endzahlen durch XXX anonymisiert waren. Mit Hilfe eines Computers hätte man die Inhaber dieser XXX-Anschlüsse herausfinden und mit Telefondaten von Rechtsextremisten vergleichen können. Von den infrage kommenden 42 XXX-Nummern hätte man eine Reihe irrelevante herausfiltern können. Übrig geblieben wären lediglich 19. Doch dem zuständigen Oberkommissar war der Aufwand zu hoch. Kein Vorgesetzter brachte den »Kriminalisten«, der sonst im Bereich islamistischer Terrorismus arbeitet, in die Spur. Zum Vergleich: Nach einer Blockade in Dresden gegen einen Neonaziaufmarsch überprüfte die Polizei problemlos 33 000 Telefonnummern.

Beispiel zwei: Das NSU-Trio verfügte über ein üppiges Waffenarsenal. Die beiden Polizeiwaffen, die beim Heilbronner Polizistenmord entwendet und im Campingmobil in Eisenach entdeckt wurden, waren übersät mit Fingerabdrücken und DNA-Spuren der beiden NSU-Killer Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. An anderen Waffen fand man gar nichts. Möglicherweise haben die Brände im Wohnwagen und in der Zwickauer Wohnung Spuren verwischt. Doch an einer im Zwickauer Brandschutt entdeckte Tokarew-Pistole – sie soll beim Heilbronner Polizistenmord verwendet worden sein – fanden Kriminaltechniker blitzsaubere DNA-Spuren. Von einem bis heute Unbekannten. Was folgt daraus? Für das BKA nichts.

Beispiel drei: Bereits im November soll der Generalbundesanwalt das BKA angewiesen haben, nicht selber mit Fragen an Verfassungsschutzämter heranzutreten. Der Grund für das Kontaktverbot ist selbst dem damaligen Chefermittler, Kriminaldirektor Frank Heimann, nicht ganz erklärlich. Weshalb er einfach von »Arbeitsteilung« spricht.

Beispiel vier: Liest man mehrere Befragungsprotokolle, so glaubt man bisweilen, man habe es mit Übungsarbeiten blutjunger Polizeischüler zu tun. Doch es kommt noch schlimmer. So erklärten Anwohner des Eisenacher Wohnortes Stregda – dort fand man das Wohnmobil nach einem Banküberfall, an Bord waren die beiden toten NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos –, dass sie gar nicht von der Polizei befragt wurden. Das betrifft, so kam bei Nachfragen des Landtags-NSU-Untersuchungsausschusses in Erfurt heraus, auch einen ehemaligen Soldaten, der drei Schüsse gehört haben will. Nur einer klang so, als käme er aus einer Langwaffe. Wenn der Mann sich nicht irrt, fragt es sich: Wo wurde dann der zweite Terrorist erschossen?

Beispiel fünf: Im Münchner NSU-Prozess hatte in der vergangenen Woche ein BKA-Aktenvermerk für Wirbel gesorgt. Danach sollte Zschäpe am 9. Juni 2004 in Zwickau mit einem Videorekorder manuell aktuelle Fernsehberichte zum Nagelbomben-Anschlag in der Kölner Keupstraße mitgeschnitten haben, die dann in der Bekenner CD auftauchten. Dumm nur, dass die Beamtin nun eingestehen musste: Es gibt keinerlei Belege.

Die Beispiele, die sich jederzeit erweitern ließen, zeigen: Das BKA ermittelt zu oft nach Schema F. Und leidenschaftslos. Auf den Gedanken, die Neonazi-Szene von Blood&Honour und Combat 18 aufzuklären, um Strukturen im Milieu und Verbindungen zur Organisierten Kriminalität zu erkennen, kamen die Ermittlern offenbar nicht. Dabei hätte man so möglicherweise herausbekommen, wie das NSU-Netzwerk funktionierte und wer warum wen als Opfer ausgewählt und ausgespäht hat.

Ein Beitrag dazu kann demnächst in Potsdam geleistet werden. Auch dort wird auf Initiative der CDU ein NSU-Untersuchungsausschuss arbeiten – nachdem die Landesregierung das jahrlang als unnötig abgetan hat.

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