Im Zweifelsfall eine seltene Vogelart entdecken

Büromieter in Treptow wehren sich gegen drohenden Rauswurf - Grüne und LINKE helfen beim Ideensammeln

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Dienstag luden die Mieter des Bürogebäudes in der Lohmühlenstraße in Treptow Politiker ein, um über Strategien gegen ihre drohende Kündigung zu sprechen.

Der Grund für das Treffen im Ausbildungsrestaurant in der Lohmühlenstraße ist schnell benannt: »Mein Ziel ist es, hierzubleiben«, sagte Ulf Heidel, selbstständiger Lektor. »Wir wollen Informationen zusammentragen, auch, um eine bessere Verhandlungsbasis zu haben«, sagt Kevin Stützel, Doktorand der Sozialpädagogik. »Es ist eine moralische Grenze überschritten worden«, sagt ein dritter Mieter. »Es kann nicht sein, dass jemand ein Haus kauft, mit der Absicht, es zu entmieten.«

Doch genau das ist passiert. Die rund 30 Anwesenden erwartet nach Auskunft des neuen Besitzers Ende Juni die Kündigung. Die Stiftung Bildung und Handwerk hatte das Gebäude dem Immobilienspekulanten Boris Gregor Marweld verkauft, inzwischen ist seine Firma in »L65 Grundbesitz GmbH« umbenannt und ein neuer Geschäftsführer eingesetzt worden.

Rein rechtlich, so stellt die Versammlung schnell fest, gibt es kaum Möglichkeiten, gegen die drohende Kündigung vorzugehen. Besitzer können Gewerbe kurzfristig kaufen und verkaufen, sie können Mieter schnell und ohne Angabe von Gründen kündigen. »Da müssen die sich nicht nackig machen«, sagt Katrin Schmidberger, Sprecherin für Stadtentwicklung der Grünen im Abgeordnetenhaus.

Sie ist eine von drei Politikern, die gekommen sind, um über die Möglichkeit des politischen Protests zu reden, der weitaus wahrscheinlicher zu Erfolgen führen wird, zumal Wahlkampf ist. Auch Harald Moritz, Schmidbergers Parteikollege aus dem Abgeordnetenhaus, ist gekommen. Er ist Gründungsmitglied der Kunger-Kiez-Initiative und des Sozialbündnis Alt-Treptow. Ebenso anwesend ist Katalin Gennburg, die als Direktkandidatin der LINKEN im Stadtteil zur Abgeordnetenhauswahl antritt.

Der Lektor Heidel erzählt von seinem Versuch, beim Amt für Denkmalschutz herauszufinden, ob es Bedenken gegen die angekündigte Sanierung gibt. Denn das Fabrikgebäude ist »letzter Zeitzeuge des ehemaligen Areals der AGFA«, wie der Immobilienspekulant Marweld auf seiner Homepage wirbt. Dem gibt die Grüne Schmidberger keine Chance: »Der Denkmalschutz hat noch nie eine Schweinerei verhindert.« Eher noch könne der Naturschutz die Sanierung stoppen: »Wenn Sie hier zum Beispiel eine seltene Vogelart entdecken, das wäre gut.«

Der Mietpreis ist mit sieben bis neun Euro Kaltmiete pro Quadratmeter noch relativ günstig. Deshalb stehen besonders Kleinunternehmer vor dem Problem, eine vergleichsweise kostengünstige Bleibe zu finden. Die Strategien der Mieter, mit der neuen Situation umzugehen, sind unterschiedlich. Ein Mieter sagt, er habe bereits neue Räume in der Wuhlheide gefunden und zu Mitte Juli selbst gekündigt. »Ich habe einen Versand und kann es mir nicht leisten, keine Adresse zu haben.« Eine andere Mieterin sagt, sie habe in ihre Räume eine Werkstatt gebaut. »Ich kann nicht einfach meinen Laptop zuklappen und woanders wieder aufbauen.« Anders der Doktorand Stützel: »Ich werde wahrscheinlich in der Bibliothek arbeiten.«

Trotz der geringen Chance beschließen die Mieter, eine Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen: Allerdings müssen sie dafür auf die offizielle Kündigung warten. »Nicht warten«, sagt Schmidberger, »die Zeit läuft immer gegen die Mieter.« Sie rät, auf das Bezirksamt politischen Druck auszuüben: »Es sagen immer alle, eine gemischte Stadt sei toll, aber wie man das reguliert, ist damit nicht beantwortet.« Ihr Kollege Moritz rät, das Argument in den Vordergrund zu stellen, dass hier auch viele selbstständige Psychologen arbeiten: »Die ärztliche Versorgung ist für die Menschen, die hier wohnen, sehr wichtig.« Der Milieuschutz müsse auch auf Gewerbe ausgeweitet werden, sagt Schmidberger: »Es macht ja keinen Sinn, wenn man die Wohnungen schützt, aber die Leute können nicht mehr zum Arzt gehen.«

Die Mieter wollen dem neuen Besitzer nun Termine für ein Treffen vorschlagen. Am Donnerstag wollen sie in der Bezirksverordnetenversammlung ihren Protest äußern. An den zuständigen Baustadtrat Rainer Hölmer (SPD) wollen sie einen Brief schreiben und ihn vor Ort ansprechen. Am 12. Juli planen sie eine Veranstaltung mit Gregor Gysi. Der Bundestagsabgeordnete will die Lohmühlenstraße, Teil seines Wahlkreises, besuchen und mit den Mietern sprechen.

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