»… die Straßenlaternen zertrümmern«

Ist digital also doch nicht besser? In Köln sucht die Konferenz »Leben ist kein Algorithmus« nach »solidarische Perspektiven gegen technologischen Zugriff«

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Es kommt ein wenig seltsam daher, dass die Ankündigung der Kölner Konferenz »Leben ist kein Algorithmus«, bei der es Ende September, Anfang Oktober um »solidarische Perspektiven gegen den technologischen Zugriff« gehen soll, ausgerechnet mit einem Zitat von Ray Kurzweil aufmacht, das vom realkapitalistischen Hier und Jetzt, also »unserem« Ort sozialer Auseinandersetzungen wegführt in jenen Teil des Denkens des Google-Chefingenieurs und Transhumanismus-Paten, den man für esoterisch halten darf. Sei es drum: Es dürfte in der Domstadt auch gar nicht so sehr über die Kurzweilsche Idee der Sättigung von Materie (und des Raums) mit (Künstlicher) Intelligenz bis zu einer neuen Stufe des »Bewusstseins« gehen. Sondern um die harte Realität einer technologie-getriebenen Entwicklung, die von links aus betrachtet nicht als schöne neue Glitzerwelt der smarten Produkte angesehen werden kann.

»Die Wellen informations-technologischer Entwicklungen greifen in immer kürzeren Abständen in unser Leben ein: Es geht um Daten, Daten und nochmals Daten«, heißt es in der Ankündigung der Kölner Konferenz - und im Fokus steht dann, wie sich die Technik den Imperativen von »Sicherheit«, Markt, Profit, Kontrolle, Herrschaft und so fort unterwerfen lässt, sprich: Wie sie unter bestimmten Produktionsverhältnissen und von wem zu welchen Zwecken eingesetzt wird. Anwendungen als »Spione und Denunzianten im privaten Lebensbereich«, Gadgets als Mittel der totalen Erfassung, Manipulation und Selbstkontrolle, Roboter als Agenten einer massiven Umwälzung der Arbeitsprozesse. Als Oberbegriff soll in Köln Big Data prangen, man will es aber anders verstehen, kritischer: als Big Theft.

Im Malen von Schreckensszenarien will man es in Köln allerdings nicht bewenden lassen, es geht um Analyse - und: »Wir wollen unsere Möglichkeiten des Widerstands gegen den technologischen Zugriff auf unsere Autonomie in den Mittelpunkt stellen.« Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass »das gesellschaftliche Bewusstsein für die Konsequenzen dieses tiefgreifenden Wandels, inklusive der Verstärkung von Abhängigkeiten und Ungleichheiten«, so weit hinterher ist, »dass deren technokratische Macher leichtes Spiel haben«. Gemeint sind hier die Protagonisten des Silicon Valley, wobei das weniger als Ort von Forschung, Entwicklung, Produktion begriffen wird, denn als Chiffre. (Die Frage ist freilich, inwieweit »wir selbst« nicht auch zu den Protagonisten zählen - als Produzenten, Konsumenten und so fort?) Jedenfalls: Es soll in Köln auch um praktische Kritik und konkrete Gegnerschaft gehen.

»Die Verweigerung, am digitalen Dauersenden teilzunehmen und unsere Selbstverteidigungsversuche gegen den digitalen Zugriff sind zwar absolut notwendig, aber definitiv nicht ausreichend, um uns langfristig der weitreichenden Fremdbestimmung zu entziehen«, heißt es im Reader zur Kölner Konferenz. Man will einen Schritt weiter gehen - und das Feld ist weit, sehr weit: Aus der Kritik an digitalen Anwendungen der Gesundheitskontrolle wächst der Wunsch nach der ganz anderen Gesundheitsversorgung; aus der Kritik an den Bedingungen der Produktion von Smartphnones und Co die Suche nach den Widerstandsnischen; die Kritik an noch perfekterer Gentrifizierung die Hoffnung auf Kämpfe gegen Vertreibung in den Smart Cities. Sogar die inzwischen ziemlich populäre (und das keineswegs nur auf der Linken) Kritik an den technischen Alternativen zum Bargeld spielt in dem Reader zur Kölner Konferenz eine Rolle - wegen des darin liegenden Überwachungspotenzials, nicht so sehr offenbar wegen der gesellschaftlichen Funktion von Geld an sich.

Es ist ein ziemlich radikaler Horizont, den die Kölner Konferenz da aufmacht. »Die Frage nach den neuen Technologien ist die Frage nach der Möglichkeit einer sozialen Revolution, die den Wahnsinn stoppt. Denn die Technologien einer Innovationsproresses sind nicht neutral, nicht ›bloß technisch‹. Sie sind Kern einer epochalen Innovationsoffensive zur Zerstörung der alten Gesellschaft und der Unterwerfung der Menschen unter ein neues Regime auf neuem historischem Niveau«, so heißt es in einem der vorbereitenden Texte.

Zitiert wird an anderer Stelle dann auch der Aktivist Jeremy Hammond, der wegen eines Hacks gegen das regierungsnahe Sicherheitsunternehmen Stratfor in den USA im Gefängnis sitzt: »Es reicht also nicht, ihre Aktivitäten zu entlarven, wir müssen diese Geheim- und Nachrichtendienste eigenhändig niederreißen, wir müssen die Straßenlaternen zertrümmern wie in der Französischen Revolution.« Dazu reiche es schon, sich bewusst zu machen, »welche Rolle wir bei der Aufrechterhaltung des Status quo spielen«.

Jeder ein kleiner Edward Snowden in seinem Alltagsleben - »und dann das System zerlegen«? Nun, das erinnert ein wenig an Parolen a la »NATO zerschlagen«, mit denen sich schon in den 1990er Jahren kleine linksradikale Gruppen über ihre eigene Bedeutungslosigkeit hinwegtäuschten. Das ist nicht als abweisende Kritik gemeint an radikalen Vorstellungen von einer besseren Welt. Sondern als skeptischer Gedanke darüber, wie man auf diesem Weg vielleicht etwas besser vorankommt.

Mit den Möglichkeiten, die in den kritisierten Technologien stecken? Oder ist denn da wirklich gar nichts gut in Neuland? An anderer Stelle ist in dieser Zeitung die Überlegung formuliert worden, »wenn die Linken aber vor lauter ökologischen, datenschutzrechtlichen und anderen Bedenken die Möglichkeiten nicht mehr erkennen, die in einer anderen gesellschaftlichen Anwendung neuer Technologien stecken, dann verschwinden sie im Schützengraben einer als besser gedachten Vergangenheit - statt um die neuen Regeln der Zukunft zu ringen«.

Es gibt dazu andere Auffassungen in der Linken, und das ist gut so. Genauso gut, wie es hilfreich ist, auch einmal zu großen Optimismus von Linken kritisch zu hinterfragen, was die Frage der gesellschaftlichen Potenziale technologischer Entwicklung angeht. Die Wahrheit ist immer konkret, also: Manches wird man auch erst später besser erkennen können. Die Debatte allerdings schon jetzt zu führen und das informierter als bisher, ist allerdings eine gute, wichtige Idee.

Die Kölner Konferenz wird von einem »selbstorganisierten Zusammenhang von unterschiedlich technologie-kritischen Leute« und mit Unterstützung der Bundeskoordination Internationalismus BUKO ausgerichtet. Es sind etwa 30 einzelne Veranstaltungen in der Pipeline, das finale Konferenzprogramm soll Ende August stehen. Den Reader (hier) und ergänzende Texte (hier) finden sich im Internet.

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