Deutschland mit vielen Defiziten

Institut für Menschenrechte kritisiert Umgang mit Flüchtlingen und Behinderten

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.

Premiere in der Berliner Bundespressekonferenz: Zum ersten Mal präsentierte das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) seine Bilanz. Seit 2015 ist seine Arbeit gesetzlich geregelt und das Institut verpflichtet, einmal jährlich einen Bericht zu veröffentlichen. Das regierungsunabhängige Institut arbeitet auf Grundlage der »Pariser Prinzipien« der Vereinten Nationen und soll die Menschenrechtslage im Land überwachen.

Die Bilanz des DIMR zur »Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland« fällt bestenfalls gemischt aus. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 habe Deutschland »besser gehandelt als viele andere Länder in Europa« und sei durch die Aufnahme von fast 900 000 Geflüchteten »seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen gerecht« geworden, heißt es im Bericht. Das Institut lobt auch den Abbau bürokratischer Hürden, etwa beim Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete. »Andererseits wurden zahlreiche restriktive Maßnahmen ergriffen, die menschenrechtlich problematisch sind.« Dazu zählt das DIMR die Verlängerung der Residenzpflicht und die Einstufung weiterer Länder als »sichere Herkunftsstaaten«. Außerdem würden die beschleunigten Asylverfahren Fragen »nach der Rechtsstaatlichkeit und Fairness der Verfahren« aufwerfen. Die Aussetzung des Familiennachzugs sei zudem »mit der UN-Kinderrechtskonvention nicht vereinbar«, warnen die Autoren.

Mit Blick auf die vielen Übergriffe auf Flüchtlinge und Asylunterkünfte sagte Institutsleiterin Beate Rudolf: »Ich finde es empörend, dass Menschen das Dach über dem Kopf angezündet wird, die gerade ihre zerbombten Häuser verlassen mussten.« Sie forderte zudem mehr Bildung und Aufklärung in Schulen zum Thema Asyl. Das Thema werde selten und wenn, dann oft über Stereotype behandelt, sagte sie mit Blick auf eine Analyse der Lehrpläne.

Im Bericht wird auf den UN-Fachausschuss gegen rassistische Diskriminierung verwiesen, der sich besorgt darüber gezeigt habe, dass rassistische Positionen »zunehmend im öffentlichen Raum vertreten« würden und der Staat »nicht ausreichend gegen die Verbreitung rassistischen Gedankenguts durch einzelne politische Parteien und Bewegungen« vorgehe. DIMR-Chefin Rudolf kritisierte zudem den EU-Türkei-Deal zur Flüchtlingsabwehr. Dieses Abkommen dürfe keine Blaupause für Verträge mit weiteren Staaten sein, betonte sie.

Der Bericht beschäftigt sich zudem mit jenen 85 000 Bundesbürgern, denen das Wahlrecht vorenthalten wird. So sei es vielen Menschen mit einer geistigen Behinderung oder schuldunfähigen Straftätern nicht möglich, an Wahlen teilzunehmen, kritisierte Rudolf und forderte hier Lösungen.

Lob und Kritik gab es für den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung, der die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen soll. So sei das Ziel der Bundesregierung, dass die Hälfte der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bis 2020 »Elemente einer menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung« in ihre Unternehmenspolitik integrieren, sehr ambitioniert. Allerdings fehlten wirkungsvolle Kontrollen. Zudem bedauern die Autoren, dass es für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen im Ausland keinen erleichterten Zugang zum deutschen Rechtssystem geben soll. Deutsche Textilhändler wie KIK geraten immer wieder in die Schlagzeilen, weil sie bei Produzenten einkaufen, die Arbeitsstandards nicht einhalten und somit auch Menschenrechte verletzen.

Kritik am Aktionsplan kam am Mittwoch auch von Entwicklungsorganisationen. Der Plan bleibe in seinem derzeitigen Entwurf hinter den Erwartungen zurück, sagte Armin Paasch vom katholischen Hilfswerk Misereor. Im Deutschlandfunk bemängelte er, dass etwa eine »Wiedergutmachung der Schäden für Opfer nicht vorgesehen ist«.

Paasch stört sich auch an fehlenden Sanktionsmaßnahmen in dem Aktionsplan, der von fünf Ministerien und Menschenrechtsorganisationen erarbeitet wurde. »Unternehmen, die die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht erfüllen, müssen weder Bußgelder befürchten noch Zivilklagen im Schadensfall, noch werden sie ausgeschlossen von staatlichen Förderungsmechanismen«, so Paasch. Kommentar Seite 4

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