Der Verfassungsschutz war es – oder auch nicht

Roberto J. De Lapuente hinterfragt die Rolle der Medien bei der Berichterstattung über den Berliner Terroranschlag

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen Tag vor Heiligabend war eben dieser gerettet. Gegen die Mittagszeit wurde bekannt, dass der Attentäter von Berlin gefasst wurde. In der bequemsten aller Formen: tot. Zwei Tage vor Heiligabend las ich bei Facebook diverse Statements meiner »Freunde«. Sie ahnten schon, dass wir den vermeintlichen Täter nie lebendig zu Gesicht bekommen würden. Sie ahnten es just von dem Augenblick an, als man ein Ausweisdokument in der Fahrerkabine jenes Lastwagens fand, den er als Waffe missbrauchte. Erfahrungswerte und so. Erst präsentiert man uns Rezipienten den großen Ermittlungserfolg in Gestalt einer liegengelassenen Visitenkarte. Dann gibt man den Tod des Verdächtigen aus, der mit seinem Tod aus dem einstweiligen Verdacht heraustritt, um sprachlich und im Kollektivgedächtnis zum Täter zu werden. Und wie es den Leute in meinem Facebook-Kosmos da so schwante, ärgerten sie sich synchron dazu zur Leistung der Medien in dieser Sache.

Gleich vorweg: Ich habe wenige »Freunde«, die »Lügenpresse, Lügenpresse!« skandieren. Sie sind in der Mehrzahl wohl keine dieser rechtsdümpelnden Gestalten. Trotzdem: Auch sie haben mehr denn je erkannt, dass der Mainstream ein sehr sonderbares Verständnis von Journalismus hat. Das spekulative Element des Journalismus, der Mut offene Fragen mit potenziellen Antworten auszustatten und als Möglichkeit anzubieten, um so als vierte Gewalt jenen Beinen zu machen, die keine Antworten liefern wollen, wendet man immer genau dort an, wo es keine Folgen zeigt.

Als passendes Beispiel für diese These kann man tatsächlich jenen Berliner Anschlag heranziehen. Am Abend des Geschehens, als noch zu einem Zeitpunkt, da man nicht alle journalistischen W-Fragen zufriedenstellend beantworten konnte, weil es schlicht an einer übersichtlichen Faktenlage mangelte bzw. gar keine Fakten vorhanden waren, stocherte man schon spekulativ im Durcheinander der Szenerie. Man wusste noch gar nichts. Was man aber wusste, dass war, wie man das Ereignis gleich mal dem islamistischen Terror zurechnet. Zwar betonte man stets, man könne nichts Genaues sagen, aber prophylaktisch servierte man eine Chronik vergangener Terrortaten.

Dann trudelten Fakten ein. Oder das, was man als Fakt von den Behörden geliefert bekam. Kuriose Geschichten am Rande spielten sich ab. Herr Bachmann, zwar kraft seines Pegida-Amtes ein notorischer Großhans, doch immer gerne zitiert, wusste zum Beispiel schon kurz nach der Sache mehr als die Ermittler nach einem Tag. Dann lag ein Ausweisdokument in der Fahrerkabine und man fühlte sich an Paris und Nizza erinnert, an die Skepsis, die damals schon einen breiten Teil des Publikums aufstieß und die in den Medien eigentlich kaum thematisiert wurde. Die Medien papageiten einfach die offizielle Version nach und unterbreiteten ihrem Publikum etwas nicht mehr: Spekulation. Die gibt es nur in jenen Momenten des frühen Nichtwissens. Treten aber dann fadenscheinige Ermittlungserfolge ein oder kuriose Spuren, dann lehnt man sich in journalistischer Bequemlichkeit zurück und fungiert als plumpes Verlautbarungsorgan.

Den oben gelinkten Text aus meiner Feder (übrigens: von diesem Jahr ab liest man mich bei den neulandrebellen) kritisierten einige wie folgt: Journalismus sei eben auch zu guten Teilen Spekulation. Das könne ich den Berichterstattern am Berliner Weihnachtsmarkt also nicht als Verfehlung anheften. Ja, das stimmt. Journalismus ist Publikative - hin und wieder aber Spekulative. Er ist es aber nicht vom Fleck weg, nicht ad hoc. Er hat es dann zu sein, wenn er ob der offiziellen Versionen, die man ihm zur Hand gibt, ins Zweifeln und Grübeln gerät. Wenn ihm klar wird, dass da unter Umständen etwas faul sein könnte. Dann gehört es für einen Augenblick zu seinem Metier, Suggestivfragen zu stellen. Und alternative Erklärungen anzubieten, die ohne Gewähr als offene Frage formuliert werden, um diejenigen, die offizielle Versionen feilbieten, ein bisschen unter Zugzwang zu bringen.

Man hätte Bachmanns Vorwissen und den Umstand, dass der vermeintliche Attentäter mit dem Verfassungsschutz zu tun hatte, ja durchaus mal spekulativ hinterfragen können. Nach all der NSU-Erfahrung wäre das gar nicht so vermessen. Ich sage ja nicht, dass da der Geheimdienst seine Finger drin hatte. Man weiß ja so wenig. Was ich aber sage, ist: Die wirre Story, die man uns da bot, die drängt einem doch Alternativen auf. Aber dieser Mainstream ist wohl so alternativlos wie seine Kanzlerin.

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